LVwG-850348/3/Re
Linz, 01.07.2015
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter
Dr. Werner Reichenberger über den von Frau Dr. S W, B, vertreten durch die x Rechtsanwälte GmbH, S, zugleich mit der Beschwerde gegen den Genehmigungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 15. April 2015, GZ: Ge20-9-2015, gestellten Antrag, gemäß § 78 Abs. 1 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) die Inanspruchnahme des Rechts auf vorzeitige Errichtung und Betrieb der Anlage auszuschließen, den
B E S C H L U S S
gefasst:
I. Dem Antrag, die Inanspruchnahme des Rechts des Konsenswerbers auf vorzeitige Errichtung und Betrieb der Anlage auszuschließen, wird im Grunde des § 78 Abs. 1 GewO 1994 iVm mit § 31 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) keine Folge gegeben.
II. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. 1. Die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn hat mit dem Bescheid vom 15. April 2015, GZ: Ge20-9-2015, über Antrag des Herrn T A, G, die gewerbebehördliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb eines Gastgewerbebetriebes mit Restaurant, Küche, Cafe, Bar, SB-Counter und Gastgarten im neu zu errichtenden Kinocenter „S B“ auf den Grundstücken Nr. x und x, KG O, B, sowie die Ableitung der vorgereinigten Niederschlagswässer unter Vorschreibung von Auflagen erteilt. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung vom
9. April 2015, der Gutachten des brandschutztechnischen Sachverständigen und des wasserbautechnischen Amtssachverständigen sowie insbesondere des Gutachtens des gewerbetechnischen und lärmtechnischen Amtssachverständigen als erwiesen anzusehen ist, dass bei konsensgemäßem Betrieb der geplanten Gaststättenbetriebsanlage samt Gastgarten und Parkplatz keine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Nachbarn oder eine Gefährdung des Eigentums oder sonstiger dinglicher Rechte derselben herbeigeführt werde und keine das zumutbare Maß überschreitenden Belästigungen oder Beeinträchtigungen zu erwarten seien.
Zu den Einwendungen der Antragstellerin verweist die Behörde zunächst auf das als Projektbestandteil vorgelegte lärmtechnische Projekt der x B GmbH, L. Dieses wurde demnach von einem gerichtlich beeideten Sachverständigen erstellt. In diesem Projekt wurden sämtliche betriebsbedingten Immissionen wie haustechnische Anlagen, Parkplatzverkehr, Gastgarten, LKW- und Lieferverkehr usw. berücksichtigt. Es wurden mehrtägige Bestandsmessungen durchgeführt, welche sowohl Wochentag als auch Wochenende beinhalten. Diese schalltechnische Berechnung wurde im Zuge des Ermittlungsverfahrens vom beigezogenen gewerbetechnischen Amtssachverständigen überprüft und für schlüssig befunden; es ergibt sich daraus, dass betriebsbedingte Immissionen bei den nächstgelegenen Nachbarn im ungünstigsten Nachtzeitraum, mindestens
7 dB unter der schalltechnischen Ist-Situation liegen. Auch anderen von der Antragstellerin im Verfahren vorgebrachten Immissionen, wie zum Beispiel Blendwirkung, wurden durch Barrieren (2 m hohe Holzwand) begegnet. Zum Vorbringen betreffend Reflexionen des Straßenlärms auf bestehender öffentlicher Straße liegt darüber hinaus eine Äußerung eines Amtssachverständigen der Oö. Landesregierung vor, wonach gutachtlich bestätigt lediglich eine unter dem Wert von 1 dB und als solche als irrrelevant zu bezeichnende Veränderung der Lärmsituation, welche messtechnisch nicht nachweisbar ist, vorliegen kann.
Gegen die bescheidmäßig ausgesprochene gewerbebehördliche Betriebsanlagengenehmigung richtet sich eine innerhalb offener Frist erhobene Bescheidbeschwerde, in welcher im Wesentlichen die lärmtechnische Beurteilung bekämpft wird, dies verbunden mit dem Antrag auf Behebung des Bescheides und Abweisung des Antrages, allenfalls Zurückverweisung an die Behörde.
Mit selben Schriftsatz wird von der Beschwerdeführerin der Antrag gestellt, gemäß § 78 Abs. 1 dritter Satz GewO die Inanspruchnahme des Rechts des Genehmigungswerbers auf vorzeitige Errichtung und Betrieb der Anlage auszuschließen.
I. 2. Erwägungen des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich:
Gemäß § 78 Abs. 1 GewO 1994 dürfen Anlagen oder Teile von Anlagen vor Eintritt der Rechtskraft des Genehmigungsbescheides errichtet und betrieben werden, wenn dessen Auflagen bei der Errichtung und beim Betrieb der Anlage eingehalten werden. Dieses Recht endet mit der Erlassung des Erkenntnisses über die Beschwerde gegen den Genehmigungsbescheid, spätestens jedoch 3 Jahre nach der Zustellung des Genehmigungsbescheides an den Genehmigungswerber. Die zur Entscheidung berufene Behörde hat die Inanspruchnahme dieses Rechtes auszuschließen, wenn der Begründung der Beschwerde zu entnehmen ist, dass auf Grund der besonderen Situation des Einzelfalles trotz Einhaltung der Auflagen des angefochtenen Bescheides eine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit zu erwarten ist.
Eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerde, Anm. LVwG) hat gemäß § 13 Abs. 1 VwGVG aufschiebende Wirkung.
Gemäß Abs. 2 leg.cit. kann die Behörde die aufschiebende Wirkung mit Bescheid ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr in Verzug dringend geboten ist. Ein solcher Ausspruch ist tunlichst schon in den über die Hauptsache ergehenden Bescheid aufzunehmen.
Dem oben zitierten § 78 Abs. 1 GewO 1994 ist, abweichend von § 13 Abs. 1 VwGVG, zu entnehmen, dass einer Beschwerde im Verfahren betreffend die Errichtung und Betrieb einer gewerblichen Betriebsanlage eine aufschiebende Wirkung ex lege nicht zukommt. Vielmehr ermöglicht § 78 Abs. 1 GewO 1994 dem Konsenswerber die Errichtung und den Betrieb einer Anlage trotz eingebrachter Beschwerde, wenn er dies projektgemäß und unter Einhaltung sämtlicher behördlich vorgeschriebener Auflagen macht. Die Betriebsanlage darf demnach auch bei noch nicht vorliegender formeller Rechtskraft vorläufig im Rahmen des behördlichen Konsenses betrieben werden.
Demnach entspricht die Spezialnorm des § 78 Abs. 1 GewO 1994 in Bezug auf das Nichtvorliegen einer aufschiebenden Wirkung von dagegen eingebrachten Beschwerden in etwa dem § 13 Abs. 3 sowie § 22 Abs. 1 VwGVG. In diesen Fällen hat die Behörde jedoch ausschließlich auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung mit Bescheid zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit der sofortigen Verbindlichkeit der Weisung oder mit dem Andauern des Verhaltens der Behörde für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.
Gemäß § 78 Abs. 1 GewO 1994 jedoch hat die Behörde - ausschließlich von Amts wegen - diese aufschiebende Wirkung auszuschließen, ein Recht einer Antragstellung des Beschwerdeführers ist hier nicht vorgesehen und demnach nicht zulässig. Nach dem § 78 Abs. 1 GewO gegenüber § 13 Abs. 1 VwGVG die Spezialnorm darstellt, derogiert sie der verfahrensrechtlichen Bestimmung.
Da somit nach der Sach- und Rechtslage eine gesetzliche Grundlage für den gestellten Antrag auf Ausschluss des Rechts zur Errichtung und zum Betrieb der Anlage gemäß § 78 Abs. 1 GewO 1994 nicht vorliegt, konnte diesem schon aus diesem Grunde keine Folge gegeben werden.
Unabhängig von diesem rechtlichen Ergebnis zum Antrag nach § 78 Abs. 1 GewO 1994 findet das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich keinen Anlass, unabhängig vom Vorliegen eines Antrages von Amtswegen die Rechtswirkungen des § 78 Abs. 1 1. Satz GewO 1994 auszuschließen. Dies mit der Begründung, als eine offenkundige Unschlüssigkeit der lärmtechnischen Beurteilung in Bezug auf die Bf im Beschwerdevorbringen nicht dargelegt bzw. erwiesen werden konnte. Dies darüber hinaus unabhängig von der Tatsache, dass der lärmtechnischen Beurteilung ein lärmtechnisches Projekt eines gerichtlich beeideten Sachverständigen zugrunde liegt und diese Expertise vom lärmtechnischen Amtssachverständigen der Behörde auf Richtigkeit und Schlüssigkeit mit positivem Ergebnis beurteilt wurde. Diesen gutachtlichen Ausführungen ist die Beschwerdeführerin nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten.
Die Behauptung von Unrichtigkeiten und Unschlüssigkeiten ohne schlüssiger Begründung kann den vorliegenden Sachverständigenbeurteilungen nicht mit Erfolg entgegentreten. Die Forderung nach einer individuellen Beurteilung in Bezug auf Rechenpunkte des schalltechnischen Projektes, die sich in keiner Weise auf das Objekt der Bf beziehen, sondern sich südwestlich der Anlage und nicht nördlich davon befinden, geht ins Leere.
Die Antragstellerin hat im Übrigen auch nicht eine konkrete bzw. besondere Situation des Einzelfalles dargetan, wonach trotz Einhaltung der mit dem bekämpften Bescheid vorgeschriebenen Auflagen eine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit zu erwarten ist. Projektgemäß beabsichtigt ist die Errichtung und der Betrieb einer üblichen gastgewerblichen Betriebsanlage, welche mit konkret vorgegeben und beschränkten Betriebszeiten in einem Kinocenter eingebaut und betrieben werden sollen. Es wurden auch von der Antragstellerin keinerlei, einen besonderen Einzelfall begründenden, Projektbestandteile dargelegt, welche das Vorliegen einer derartigen besonderen Situation des Einzelfalls begründen könnten.
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat somit auch unabhängig vom Antrag keine ausreichenden Gründe gefunden, die Inanspruchnahme des Rechts des § 78 Abs. 1 GewO 1994 auszuschließen.
Weiteres detailliertes Beschwerdevorbringen wird im Rahmen des weiteren Beschwerdeverfahrens im Lichte der einschlägigen Bestimmungen der §§ 74 und 77 GewO 1994 zu beurteilen sein, dies letztlich unabhängig von der beschlussmäßigen Zurückweisung des Antrages nach § 78 GewO 1994.
Eine öffentliche mündliche Verhandlung wird im Rahmen des Beschwerdeverfahrens, soweit beantragt, durchzuführen sein.
II. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist im gegenständlichen Fall zulässig. Eine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob beschwerdeführende Nachbarn zur Frage des Ausschusses der aufschiebenden Wirkung im Grunde des § 78 Abs. 1 GewO 1994 ein Recht auf Antragstellung zukommt oder nicht, liegt derzeit nicht vor. Nach Auffassung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich kommt dieser Frage, bezogen auf die Auswirkungen des Ausschusses der aufschiebenden Wirkung, grundsätzliche Bedeutung zu.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diesen Beschluss besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer ordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240,- Euro zu entrichten.
Landesverwaltungsgericht Oberösterreich
Dr. Reichenberger