LVwG-300079/8/WG
Linz, 03.02.2014
I M N A M E N D E R R E P U B L I K
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Mag. Wolfgang Weigl über die Beschwerde des x, vertreten durch x, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 27. August 2013, GZ Ge96-137-2011, betreffend eine Übertretung des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, nach Durchführung einer öffentlichen Verhandlung am 29. Jänner 2014,
zu Recht e r k a n n t:
I. Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben. Das bekämpfte Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 VStG eingestellt.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) wendet sich gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gmunden (im Folgenden: belangten Behörde) vom 27. August 2013, GZ Ge96-137-2011. Darin wird über Antrag des Arbeitsinspektorates Vöcklabruck wegen einer Übertretung des § 60 Abs 1 und 3 Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) iVm § 130 Abs 5 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz eine Geldstrafe von 4.000 Euro sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe von 186 Stunden verhängt. Die belangte Behörde wirft dem Bf vor, er habe es zu verantworten, dass am 1.9.2011 ein Arbeitnehmer der x einen ca 5 m hohen Behälter betreten habe, ohne dass die Vorschriften des § 60 Abs 1 AAV eingehalten worden wären. § 60 Abs 1 AAV spreche von „Betriebseinrichtungen“, worunter – so die belangte Behörde – nunmehr „Arbeitsmittel“ zu verstehen wären.
2. Der Bf bringt demgegenüber vor, bei dem Behälter handle es sich nicht um eine Betriebseinrichtung iSd § 60 Abs 1 AAV, sondern um einen Arbeitsstoff iSd § 2 Abs 6 ASchG. Der Tatbestand des § 60 Abs 1 AAV sei nicht erfüllt. Weiters wendet er den Eintritt der Verfolgungsverjährung und mangelndes Verschulden ein.
3. Das Arbeitsinspektorat Vöcklabruck vertritt demgegenüber die Auffassung, es handle sich bei dem verfahrensgegenständlichen Behälter weder um einen Arbeitsstoff noch um ein Arbeitsmittel. Es handle sich um eine Betriebseinrichtung. § 60 Abs 1 AAV sei anwendbar, man hätte sonst keine Bestimmung, um Silos und ähnliche Gegenstände zur regeln.
4. Das Landesverwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch die mündliche Verhandlung am 29. Jänner 2014. In der mündlichen Verhandlung wurden die Verfahrensakte einschließlich aller darin befindlicher Beweismittel einvernehmlich verlesen. Die Vertreter des Arbeitsinspektorates wurden als sachkundige Parteienvertreter sowie der nunmehrige handelsrechtliche Geschäftsführer der x als Zeuge befragt. Abschließend verzichteten die Verfahrensparteien auf eine weitere Beweisaufnahme.
I. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens steht folgender Sachverhalt fest:
5. Der Bf war im Tatzeitpunkt 1.9.2011 handelsrechtlicher Geschäftsführer der x mit Sitz in x.
6. Die x produziert seit Jahrzehnten am Standort x unterschiedliche Behälter und Apparate zum Einsatz in Industriebetrieben. Insbesondere für die Herstellung der Behälter sind regelmäßig umfassende Schweißarbeiten erforderlich, die teilweise von einem Schweißer alleine, teilweise von zumindest 2 Schweißern durchgeführt werden. Aus Sicherheitsgründen und zur Erleichterung des praktischen Arbeitsablaufes sind die Schweißarbeiten teilweise bei liegendem Behälter, teilweise bei stehendem Behälter durchzuführen. Zur Gewährleistung eines durchgehenden Arbeitsablaufes werden regelmäßig 2 Behälter abwechselnd bearbeitet, um Stillstandszeiten aufgrund einer Auskühlungsphase zu vermeiden (Pkt 2 Berufungsschriftsatz).
7. Am 30. und am 31.8.2011 arbeiteten die Arbeitnehmer der x, x und x in der Arbeitsstätte x an einem Edelstahlsilo. Nach Beendigung der Arbeiten wurde der Behälter von x aufgestellt. Da x den Behälter aufstellte, ging der Produktionsleiter davon aus, dass die bei liegendem Behälter zu verrichtenden Arbeiten beendet waren und dass von x nur noch Schweißarbeiten am Äußeren des Behälters durchzuführen waren, für die kein zweiter Mitarbeiter benötigt wird (Pkt 4 Berufungsschriftsatz).
8. x setzte am 1.9.2011 die Arbeiten an diesem Edelstahlsilo fort und brachte Schweißnähte an den einzelnen Bauteilen an. Beim Verschweißen von Edelstahl wird das Edelgas Argon (Formiergas) verwendet. In diesem Fall wurde der untere Teil eines geteilten Edelstahlsilos durch eine Versorgungsleitung mehrere Stunden mit Argon befüllt, um im Außenbereich Schweißarbeiten durchführen zu können. Der geteilte Silo ist konstruktionsbedingt durch eine im Durchmesser ca. 30 cm große Rundlochbohrung verbunden. Dieses Loch war zwar mit einer Metallplatte verschlossen, jedoch an den Rändern nur mit Klebebändern provisorisch befestigt. Zur weiteren Bearbeitung stieg der Arbeitnehmer um ca. 10:30 Uhr in den oberen Teil des, nach oben offenen Silos mit einer Leiter ein. Die Wandhöhe des oberen Teiles war 2,2 m hoch. In diesem Bereich dürfte jedoch durch das Einleiten von Argon in den unteren Teil des Silos durch die undicht verschlossene Bohrung in der Mitte bereits der notwendige Sauerstoff verdrängt worden sein. Der Arbeitnehmer verlor dadurch binnen kurzer Zeit das Bewusstsein. x war im Unfallzeitpunkt alleine. (Strafantrag des AI Vöcklabruck vom 7.9.2011).
9. Erst gegen 13:00 Uhr bemerkte ein Arbeitskollege, dass der Schweißer bewusstlos im Silo lag. Der Kollege x alarmierte daraufhin die anwesenden Arbeiter in der Produktionshalle und stieg zu dem Verunglückten in den Silo, um ihm zu Hilfe zu kommen, und verlor ebenfalls binnen weniger Augenblicke das Bewusstsein. Es wurde zur Bergung der verunfallten Personen der Silo mit dem Hallenkran umgelegt und mit Druckluft „gespült“, um das Edelgas aus dem Behälter zu verdrängen. Beiden Personen wurde durch die Arbeitskollegen Erste Hilfe geleistet. Durch die eintreffenden Sanitäter des Roten Kreuzes und den Notarzt wurden die Wiederbelebungsversuche bei Herrn x fortgesetzt, waren aber vergebens. Er verstarb an der Unfallstelle. Herr x kam nach kurzer Zeit wieder zu Bewusstsein. Er wurde nur zu Beobachtung in das LKH Gmunden eingeliefert. (Strafantrag des AI Vöcklabruck vom 7.9.2011).
10. Für die unfallgegenständlichen Schweißarbeiten war keine fachkundige Person bestellt, die Schutzmaßnahmen schriftlich angeordnet hätte. Es war auch keine Aufsichtsperson anwesend. Nach Ansicht der Unternehmensleitung war dies auch nicht erforderlich, da derartige Schweißarbeiten am liegenden Behälter durchgeführt hätten werden sollen. Es ist für die Unternehmensleitung nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund x diese Schweißarbeiten bei stehendem Behälter durchgeführt hat. Es wäre in keiner Weise notwendig gewesen, den Behälter dazu aufzustellen bzw diese Arbeiten im stehenden Zustand durchzuführen. Bei liegendem Behälter bestehen für die Arbeitnehmer keine Gefahrenmomente (Zeugenaussage x).
11. Das Arbeitsinspektorat Vöcklabruck brachte den Vorfall mit Eingabe vom 7. September 2011, GZ 041-41/1-18/11, bei der belangten Behörde zur Anzeige und beantragte wegen Übertretung des § 60 AAV Abs. 1 und Abs. 3 gemäß § 130 Abs. 5 ASchG gegen den strafrechtlich Verantwortlichen eine Geldstrafe in Höhe von € 4000 zu verhängen.
12. Die belangte Behörde setzte das zu Ge96-137-2011 gegen den Bf eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren mit Bescheid vom 8. November 2011 bis zum Abschluss des beim Landesgericht Wels gegen ihn in dieser Angelegenheit anhängigen gerichtlichen Strafverfahrens aus.
13. Die Staatsanwaltschaft Wels teilte der belangten Behörde dazu mit Schreiben vom 19. Jänner 2012 mit, dass das Strafverfahren gegen den Bf gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt worden war, weil kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung bestand. Weiters wird in dieser Benachrichtigung ausgeführt: „Die Einstellung erfolgte, da § 60 AAV keinen Beurteilungsmaßstab bildet, und es sich bei dem durch den Verunglückten bearbeiteten Objekt nicht um eine Betriebseinrichtung im Sinne des Gesetzes handelt. Selbst wenn man mit dem Sachverständigen die jährliche Sicherheitsunterweisung als nicht ausreichend erachtet, kann mit Blick auf die fundierte Ausbildung, die Berufserfahrung und Routine des Verunglückten, nicht von einem kausalen Sorgfaltsverstoß eines Entscheidungsträgers ausgegangen werden, weshalb das Verfahren gemäß § 190 Z 2 StPO einzustellen war.“
14. Nach ergänzender Wahrung des Parteiengehörs lastete die belangte Behörde dem Bf mit eingangs erwähnten Straferkenntnis vom 27. August 2013, GZ Ge96-137-2011, folgende Verwaltungsübertretung an: „Sie haben es als handelsrechtlicher Geschäftsführer der x mit Sitz in x, und damit als nach Außen berufenes Organ gemäß § 9 VStG strafrechtlich zu verantworten, dass – wie vom Arbeitsinspektorat auf Grund einer Unfallerhebung festgestellt – am 1.9.2011 in der Arbeitsstätte der x ein in der Werkstätte stehender ca 5 m hoher Behälter von einem Arbeitnehmer betreten wurde, um Arbeiten durchzuführen, ohne dass eine geeignete, fachkundige Person bestellt wurde, die die notwendigen Schutzmaßnahmen für die Durchführung der Arbeiten schriftlich angeordnet hat, obwohl bei der Durchführung von Arbeiten in Behältern, Silos, Schächten, Gruben, Kanälen oder Rohrleitungen, eine geeignete, fachkundige Person zu bestellen ist, welche die notwendigen Schutzmaßnahmen für die Durchführung der Arbeiten schriftlich anordnet. Eine ständig anwesende Aufsichtsperson war ebenfalls nicht vorhanden. Weiters gab es keine schriftliche Erlaubnis für den Beginn der Arbeiten. In weiterer Folge ist ein Arbeitnehmer, der Schweißnähte an diesem Behälter (2-geteilter Edelstahlsilo) anbrachte, in den stehenden Behälter eingestiegen und auf Grund des darin enthaltenen und Sauerstoff verdrängenden Argons bewusstlos geworden und verstorben.“ Als übertretene Rechtsvorschrift wird in diesem Straferkenntnis angegeben: „§ 130 Abs 5 Arbeitnehmerinnenschutzgesetz iVm § 109 Abs 2 ASchG und § 60 Abs 1 und 3 Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV)“.
15. Dagegen richtet sich die Berufung vom 17.9.2013. Der Bf stellt darin den Antrag, die Berufungsbehörde wolle nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, das erstinstanzliche Straferkenntnis ersatzlos beheben, in eventu die Strafe nach § 20 VStG außerordentlich mildernd, in eventu das über den Berufungswerber verhängte Strafmaß verschuldensabhängig reduzieren.
16. Die belangte Behörde legte dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oö. (im Folgenden: UVS) den Verfahrensakt zur Entscheidung vor. Mit 1.1.2014 trat das LVwG an die Stelle des UVS. Das LVwG führte am 29.1.2014 eine mündliche Verhandlung durch.
II. Beweiswürdigung
17. zu den Pkt 5. bis 10: Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den jeweils in Klammer angegebenen Beweismitteln. Ob die x im Ergebnis gegen § 60 AAV verstoßen hat, ist auf Ebene der rechtlichen Beurteilung zu behandeln.
18. Zu Pkt 11 bis 16: Die Feststellungen beschränken sich auf die Darstellung des Verfahrensablaufes.
III. Rechtliche Beurteilung
19. Mit 1.1.2014 trat das Landesverwaltungsgericht Oö. (im Folgenden: LVwG) an die Stelle des UVS. Das LVwG entscheidet gem § 2 VwGVG durch einen Einzelrichter. Die Berufung gilt gem § 3 Abs 1 letzter Satz Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz als Beschwerde iSd Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG.
20. Die in der Sache maßgeblichen Rechtsvorschriften ergeben sich aus folgenden Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) und der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV):
§ 2 Abs 5 ASchG lautet:
(5) Arbeitsmittel im Sinne dieses Bundesgesetzes sind alle Maschinen, Apparate, Werkzeuge, Geräte und Anlagen, die zur Benutzung durch Arbeitnehmer vorgesehen sind. Zu den Arbeitsmitteln gehören insbesondere auch Beförderungsmittel zur Beförderung von Personen oder Gütern, Aufzüge, Leitern, Gerüste, Dampfkessel, Druckbehälter, Feuerungsanlagen, Behälter, Silos, Förderleitungen, kraftbetriebene Türen und Tore sowie Hub-, Kipp- und Rolltore.
§ 60 Abs 1, 2 und 3 AAV lautet unter der Überschrift „Arbeiten in oder an Behältern, Silos, Schächten, Gruben, Rohrleitungen und ähnlichen Betriebseinrichtungen“:
21. Der Anwendungsbereich des § 60 Abs 1 AAV beschränkt sich auf „Betriebseinrichtungen“, einen Begriff, der ursprünglich in § 1 Z 9 AAV definiert wurde. Mit § 124 Abs 3 Z 14 ASchG idF BGBl Nr 450/1994 wurde § 1 Z 9 der AAV aufgehoben.
22. § 2 Abs 5 ASchG idF BGBl Nr 450/1994 enthält eine Definition des Begriffes „Arbeitsmittel“. Laut den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage soll der Begriff „Arbeitsmittel“ insbesondere „Betriebseinrichtungen, sonstige mechanische Einrichtungen und Betriebsmittel“ im Sinne des § 1 Z 9 AAV umfassen. Der Begriff „Arbeitsmittel“ ist folglich weiter gefasst als der Begriff „Betriebseinrichtung“. Betriebseinrichtungen iSd § 60 Abs 1 AAV bilden eine Untergruppe der Arbeitsmittel iSd § 2 Abs 5 ASchG.
23. Ein Silo, der Bestandteil einer ortsfesten Anlage iSd § 74 Gewerbeordnung (GewO) ist, stellt zweifelsohne ein Arbeitsmittel iSd § 2 Abs 1 AM-VO sowie auch eine „Betriebseinrichtung“ iSd § 60 Abs 1 AAV dar. Davon zu unterscheiden ist der im ggst. Fall zu beurteilende Fertigungsprozess. Es handelt sich um ein in Bearbeitung befindliches Werkstück und damit – wie bereits die Staatsanwaltschaft zutreffend ausführte – um keine Betriebseinrichtung iSd § 60 Abs 1 AAV. Das Bestimmtheitsgebot des Art. 18 Abs 1 B-VG verlangt für Strafbestimmungen – aus dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzbedürfnisses – eine besonders genaue gesetzliche Determinierung des unter Strafe gestellten Verhaltens (vgl VwGH vom 26.11.2010, GZ 2010/02/0237). Eine Ausdehnung des Begriffes „Betriebseinrichtung“ auf das ggst. Werkstück würde einen – im Strafverfahren unzulässigen - Analogieschluss darstellen. Dem Bf kann keine Übertretung des § 60 AAV angelastet werden.
Aus diesem Grund war spruchgemäß zu entscheiden.
IV. Zulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil keine Rechtsprechung des VwGH zur Definition des Begriffes „Betriebseinrichtung“ iSd § 60 AAV vorliegt.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen dieses Erkenntnis besteht die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer ordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Die Beschwerde bzw. Revision ist innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung des Erkenntnisses durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. einer bevollmächtigte Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.
Landesverwaltungsgericht Oberösterreich
Wolfgang Weigl
Beachte:
Revision wurde als unbegründet abgewiesen.
VwGH vom 31.07.2014, Zl.: Ro 2014/02/0099-3