LVwG-840061/5/Kl/IH

Linz, 21.09.2015

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seine Richterin  Dr. Ilse Klempt über den Antrag der H GmbH, Linz, vertreten durch H K Rechtsanwälte GmbH, D K L P, W, auf Nichtig­erklärung der Widerrufsentscheidung im Vergabeverfahren der Auftraggeberin A A K d S L GmbH betreffend das Vorhaben „Umbau Lüftungsanlagen im O-Bereich (Ventilatoren, HD-Klappen) und xbereiche in den Bauten A und B (Mischboxen)“

 

zu Recht   e r k a n n t :

 

I.           Dem Antrag vom 7. August 2015 wird gemäß §§ 1, 2 und 7
Oö. Vergaberechtsschutzgesetz 2006 - Oö. VergRSG 2006,
LGBl. Nr. 130/2006, in der Fassung LGBl. Nr. 90/2013, stattgegeben und die Widerrufsentscheidung  vom 3. August 2015 für nichtig erklärt.

 

II.        Die A A K d S L GmbH als Auf­traggeberin wird verpflichtet, der Antragstellerin die entrichteten Pauschalgebühren in Höhe von 4.500 Euro (für Nachprüfungsver­fahren und einstweilige Verfügung) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

III.      Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. 1. Mit Eingabe vom 7. August 2015 hat die H GmbH,
I-M-S, L (im Folgenden: Antragstellerin), einen Antrag auf  Nichtigerklärung der Widerrufsentscheidung sowie auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, der Auftraggeberin die Widerrufserklärung bis zur Entscheidung im Nachprüfungsverfahren zu untersagen, gestellt. Im Übrigen wurde die Zuerkennung der entrichteten Pauschalgebühren in Höhe von
4.500 Euro beantragt.

 

Begründend führte die Antragstellerin eingangs hierzu aus, die Auftraggeberin habe am 16. März 2015 in einem offenen Verfahren mit Bekanntmachung den Bauauftrag „Umbau Lüftungsanlagen im O-Bereich (Ventilatoren, HD-Klappen) und xbereiche in den Bauten A und B (Mischboxen)“ ausgeschrieben. Die Vergabe erfolge nach den Bestimmungen des BVergG 2006 für den Unterschwellenbereich. Der Zuschlag werde nach dem Billigstbieterprinzip erteilt.

Am 8. April habe die Antragstellerin innerhalb offener Frist ein Angebot eingereicht.

 

Im Zuge der Angebotsöffnung habe sich nachfolgender Preisspiegel der eingereichten Angebote ergeben:

 

Bieter

Angebotspreis netto

Fa. L

€ 676.548,60

Fa. S

€ 516.995,24

Fa. H

€ 723.775,76

Fa. H (Antragstellerin)

€ 579.212,84

Fa. L L

€ 797.135,76

 

Mit Schreiben vom 19. Mai 2015 habe die Auftraggeberin der Antragstellerin mitgeteilt, dass der Zuschlag der „Firma S K L T“ erteilt werden solle (Zuschlagsentscheidung). Begründend wurde ausgeführt, dass die Auswahl nach dem Billigstbieterprinzip erfolgt sei, wobei maßgebend für die Zuschlagsentscheidung der geprüfte Gesamtpreis „und die Erfüllung der Ausschreibungsbedingun­gen“ gewesen sei.

 

Auf Grundlage des von der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 26. Mai 2015 beantragten Nachprüfungsverfahrens habe das Oö. Landesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 10. Juli 2015 (LVwG-840055/10/Kl/AK) die von der Auftraggeberin am 19. Mai 2015 bekanntgegebene Zuschlagsentscheidung für nichtig erklärt, weil es sich beim Angebot der „Firma S K L T“ aufgrund mehrerer unbehebbarer Formmängel um ein den Ausschrei­bungs­bedingungen widersprechendes Angebot gehandelt habe.

 

Durch das Ausscheiden der oben genannten Firma habe die Antragstellerin die Position der Billigstbieterin erlangt. Der Zuschlag sei der Antragstellerin als Billigstbieterin dennoch nicht erteilt worden.

 

Mit Schreiben vom 3. August 2015 habe die Auftraggeberin der Antragstellerin mitgeteilt, dass das gegenständliche Vergabeverfahren widerrufen werden solle. Dies mit der Begründung, dass nach dem Ausscheiden von Angeboten nur mehr das Angebot der Antragstellerin geblieben sei und daher ein Widerrufsgrund gemäß § 139 Abs. 2 Z 2 BVergG vorliege.

 

Die Antragstellerin habe als Unternehmen, dessen Unternehmensgegenstand sämtliche Leistungen der Installations- und Heizungstechnik seien, ein eminentes Interesse am Vertragsabschluss. Dieses Interesse sei im vorliegenden Fall bereits durch die Abgabe eines Angebotes im Vergabeverfahren sowie durch die mit Eingabe vom 19. Mai 2015 erfolgte Bekämpfung der Zuschlagsentscheidung dokumentiert. Darüber hinaus stelle der gegenständliche Auftrag für die Antragstellerin ein Referenzprojekt dar, weshalb diese auch aus diesem Grund ein erhebliches Interesse an einer objektiven, fairen und ordnungsgemäßen Durchführung des Vergabeverfahrens habe.

 

Die zu Lasten der Antragstellerin ergangene Widerrufsentscheidung sei rechts­widrig.

 

Gemäß § 139 Abs. 2 BVergG kann nach Ablauf der Anbotsfrist ein Vergabe­verfahren widerrufen werden, wenn

1.   nur ein Angebot eingelangt ist, oder

2.   nach dem Ausscheiden von Angeboten gemäß § 129 nur ein Angebot bleibt, oder

3.   dafür sachlich Gründe bestehen.

 

Zu berücksichtigen sei, dass der fakultative Widerrufsgrund des § 139 Abs. 2 Z 2 BVergG - auf welchen sich die Auftraggeberin im gegenständlichen Vergabe­verfahren berufe - die Auftraggeberin bloß zum Widerruf der Ausschreibung berechtige, sodass der Auftraggeberin hinsichtlich der Ausübung des Wider­rufsrechts ein Ermessensspielraum eingeräumt sei, welcher von dieser freilich nicht unsachlich ausgeübt werden dürfe.

 

Als im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung agierende Körperschaft bzw. Unternehmung öffentlichen Rechts unterliege die Auftraggeberin dem aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden Sachlichkeitsgebot (vgl. VfSlg. 8457/1978, 11.369/1987, 11.639/1988) sowie dem verfassungsrechtlichen Effizienzgebot (vgl. Korinek/Holoubek, Grundlagen staatlicher Privatwirtschaftsverwaltung, 1993, 173 ff).

 

Unsachlich sei ein Widerruf insbesondere dann, wenn der mit der Ausschreibung angestrebte Wettbewerb tatsächlich stattgefunden habe und die eingelangten Angebote es der Auftraggeberin ermöglicht haben, sie miteinander zu vergleichen und das günstigste Angebot auszuwählen. Der Umstand, dass die übrigen Angebote aus formalen Gründen auszuscheiden waren, ändere in solch einem Fall nichts an der Tatsache, dass das bestbewertete Angebot aus einem echten Wettbewerb als bestes hervorgegangen sei und die Ausschreibung somit ihr Ziel erreicht habe. In solch einem Fall gäbe es daher keinen sachlichen Grund, die Ausschreibung zu widerrufen (vgl. Sturm in Heid/Preslmayr, Handbuch Vergaberecht3, RZ 1504).

 

Im Zuge der gegenständlichen Ausschreibung habe der angestrebte Wettbewerb stattgefunden, zumal seitens der Auftraggeberin der Zuschlag der „Firma S K L T“ erteilt hätte werden sollen. Lediglich aufgrund des Nachprüfungsantrages der Antragstellerin sei die „Firma S K L T“ ausgeschieden. Die dem verfassungsrechtlichen Effizienzgebot entsprechende Konsequenz sei eine Zuschlagsentscheidung bzw. -erteilung gegenüber der Antragstellerin als Billigstbieterin.

 

Das Angebot der Antragstellerin sei als bestes Angebot aus einem echten Wettbewerb hervorgegangen. Die Ausschreibung habe somit ihr Ziel erreicht.

 

Aus welchen Gründen nunmehr alle übrigen preislich teureren Angebote - hinter der Antragstellerin gereihte Angebote - auf (formale) Mängel geprüft worden seien, sei unklar. Fraglich sei, ob alle übrigen Angebote zu Recht ausgeschieden seien.

 

Die getroffene Widerrufsentscheidung stelle einen Verstoß gegen das die Auftraggeberin treffende Sachlichkeitsgebot dar und bewirke die Rechtswidrigkeit der Widerrufsentscheidung.

 

Diese Rechtswidrigkeit sei für den Ausgang des Vergabeverfahrens von wesentlichem Einfluss, da der Antragstellerin der Zuschlag als Billigstbieterin zu erteilen gewesen wäre, hätte sich die Auftraggeberin im Vergabeverfahren rechtmäßig verhalten und hätte sie ihr eingeräumtes Ermessen gesetzeskonform ausgeübt. 

 

Die Antragstellerin würde durch die angefochtene Entscheidung in ihren subjektiven Rechten verletzt. Die angefochtene Entscheidung verletze die Antragstellerin insbesondere in ihren subjektiven Rechten auf eine rechts- konforme und objektiv nachvollziehbare Zuschlagsentscheidung, auf ein Ausscheiden von mangelhaften, weil insbesondere nicht gleichwertigen oder nicht ausschreibungskonformen Angeboten, auf eine ausschreibungskonforme und nachvollziehbare (überprüfbare) Bewertung der Angebote, auf Durchführung eines Vergabeverfahrens gemäß den Bestimmungen des BVergG, insbesondere des § 19 BVergG, wonach die Vergabe unter Beachtung des Diskriminierungs­verbots und entsprechend den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbs durchzuführen sei, sowie auf Zuschlagsentscheidung zu ihren Gunsten.

 

Durch diese Rechtsverletzung sei der Antragstellerin ein Schaden entstanden bzw. drohe ein solcher zu entstehen, da die Antragstellerin ein Erfüllungs­interesse an der Erteilung des gegenständlichen Auftrages habe. Im Rahmen des Vergabeverfahrens seien der Antragstellerin bisher interne und externe Kosten entstanden, die sich im Wesentlichen aus den Kosten für die Angebotserstellung (Kalkulation etc.) zusammensetzen würden. Hinzu würden die Kosten der anwaltlichen Vertretung der Antragstellerin im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Nachprüfungsantrag und die für den Nachprüfungsantrag entrichtete Pauschalgebühr kommen. Schließlich stelle der gegenständliche Auftrag für die Antragstellerin ein Referenzprojekt dar, aufgrund dessen Nichterteilung künftiger Umsatzentgang drohe.

 

Zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung verweist die Antragstellerin zunächst auf die Ausführungen im Hauptantrag. Hinsichtlich der Interessenabwägung wurde ausgeführt, dass der Erlassung einer einstweiligen Verfügung keinerlei öffentliche Interessen entgegenstehen würden. Das ausschreibungsgegenständliche Projekt befinde sich in einer Planungsphase. Eine Verzögerung des Verfahrens um mehrere Wochen sei im Verhältnis zum unwiederbringlichen Interesse der Antragstellerin an einem ausschreibungs- und vergaberechtskonformen Vergabeverfahren von erheblich untergeordneter Bedeutung.

 

2. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat die A A K d S L GmbH (kurz: Auftraggeberin) am Nachprüfungs­verfahren beteiligt. In der Stellungnahme vom 12. August 2015 wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die angefochtene Widerrufsentscheidung deshalb getroffen worden sei, weil nach dem Ausscheiden von Angeboten nur mehr das Angebot der Antragstellerin verblieben sei, sodass das Verfahren gemäß § 139 Abs. 2 Z 2 BVergG widerrufen werden könne. Zu den Gründen der getroffenen Ausscheidensentscheidungen werde auf den im Vergabeakt enthaltenen Wider­rufsvermerk sowie Schriftverkehr mit den übrigen Bietern verwiesen. Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin, dass durch § 139 Abs. 2 Z 2 BVergG ein Ermessensspielraum eingeräumt sei, der nicht unsachlich ausgeübt werden dürfe, und das bestbewertete Angebot aus einem echten Wettbewerb als bestes hervorgegangen sei und die Ausschreibung somit ihr Ziel erreicht habe, und sohin es keinen sachlichen Grund gebe, die Ausschreibung zu widerrufen, entspreche diese Auslegung nicht dem BVergG, welches nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut im Fall eines einzig verbliebenen Angebotes einen speziellen sachlichen Widerrufsgrund verfügt und keine darüber hinausgehenden sachlichen Gründe zur Rechtfertigung des Widerrufs fordert. Wenn nach dem Ausscheiden von Angeboten nur mehr ein Angebot verbleibt, ist dieses einzig verbliebene Angebot zwangsläufig das Best- oder Billigstangebot. Die von der Antragstellerin zitierte Literaturstelle könne daher bei genauerer Betrachtung nur der Fall sein, dass das einzige verbliebene Angebot unabhängig davon das Best- oder Billigst­angebot wäre, ob die übrigen Angebote auszuscheiden sind. In einem solchen Fall möge es tatsächlich bedenklich sein, wenn ein Auftraggeber das Vergabe­verfahren widerrufe, obwohl das einzige verbliebene  Angebot jedenfalls
- unabhängig vom Vorliegen von Ausscheidungsgründen zu Lasten anderer Angebote  - ohnedies das Best- oder Billigstangebot sei. Ein solcher Fall liege hier aber gerade nachweislich nicht vor. Die Ausschreibung werde nach dem Billigstbieterprinzip durchgeführt. Einziges Zuschlagskriterium sei daher der Preis. Das preislich günstigste Angebot sei nicht von der Antragstellerin, sondern vom Bieter Sema gelegt worden. Das einzig verbliebene Angebot der Antragstellerin wäre daher nicht das Billigstangebot, wenn die übrigen Angebote nicht ausgeschieden worden wären. Schon aus diesem Grunde könne keine Rede davon sein, dass die Widerrufsentscheidung unsachlich wäre. Dazu komme, dass im vorliegenden Fall sogar ein Widerrufsgrund nach § 139. Abs. 2 Z 3 BVergG (sonstige „sachliche Gründe“) vorliege, und zwar unabhängig davon, ob die preislich nach der Antragstellerin gereihten Angebote zu Recht ausgeschieden worden seien. Wie die Antragstellerin zutreffend selbst ausgeführt habe, habe das preislich - mit deutlichem Abstand - günstigste Angebot lediglich aufgrund von Formalmängeln ausgeschieden werden müssen. Im Zuge einer neuen Ausschreibung könne ein deutlich besseres Ergebnis schon allein dadurch erzielt werden, dass zuvor von Ausscheidensentscheidungen betroffene Bieter das neuerliche Vorliegen von Ausscheidensgründen bzw. Angebotsmängeln vermeiden, umso mehr dann, wenn es sich lediglich um Formalmängel handle. Ein Widerruf mit anschließender Neuausschreibung würde jedenfalls die Chance eröffnen, aus mehreren ausschreibungskonformen Angeboten wählen zu können, statt das einzige verbliebene Angebot zu beauftragen, welches bei Außerachtlassung formaler Ausscheidensgründe nicht einmal das günstigste Angebot darstelle.

Gleichzeitig wurden die geforderten Unterlagen vorgelegt (öffentliche Bekannt-machung, geschätzter Auftragswert, Protokoll über die Angebotseröffnung, Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung, Ausschreibungsunterlagen, Angebots-unterlagen aller Bieter, Prüfprotokoll, Widerrufsvermerk, Schriftverkehr mit der Antragstellerin).

 

3. Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom
11. August 2015, LVwG-840062/4/KLi/TO, wurde dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung stattgegeben und der Auftraggeberin die Erklärung des Widerrufs bis zur Entscheidung in diesem Nachprüfungsverfahren, längstens aber bis 7. Oktober 2015, untersagt.

 

4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Akteneinsichtnahme, insbesondere in die eingereichten Schriftsätze und vorge­legten Unterlagen. Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte gemäß § 19 Abs. 3 Oö. VergRSG 2006 entfallen, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass dem verfahrenseinleitenden Antrag stattzugeben ist. Insbe­sondere war der Sachverhalt ausreichend geklärt und unstrittig.

 

4.1. Folgender Sachverhalt steht als erwiesen fest und wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

Laut Bekanntmachung auf der Homepage des Landes Oberösterreich sowie weiteren Publikationsmedien wurde der Auftrag „Umbau Lüftungsanlagen im O-Bereich (Ventilatoren, HD-Klappen) und xbereiche in den Bauten A und B (Mischboxen)“ als Bauauftrag im offenen Verfahren im Unterschwellen­bereich nach dem Billigstbieterprinzip ausgeschrieben.

 

Bei der Angebotsöffnung am 9. April 2015 lagen fünf Angebote vor, darunter das Angebot der Antragstellerin mit dem Angebotspreis (exklusive USt) von 579.212,84 Euro und der S K- und L GmbH mit einem Angebotspreis (exklusive USt) von 516.995,24 Euro. Die weiteren Angebote wurden von der Firma L, Firma H und Firma L Lüftung mit einem Angebotspreis von netto 676.548,60 Euro bzw. 723.775,76 Euro bzw. 797.135,76 Euro gelegt.

Mit Schreiben vom 19. Mai 2015 wurde die Zuschlagsentscheidung zugunsten der Firma S K- und L GmbH nach dem Billigstbieterprinzip mit einem geprüften Gesamtpreis (exklusive USt) von 516.995,24 Euro (niedrigster Preis) und bei Erfüllung der Ausschreibungsbedin­gungen mitgeteilt.  Diese Zuschlagsentscheidung wurde von der Antragstellerin mit Antrag vom
26. Mai 2015 angefochten.

Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom
10. Juli 2015, LVwG-840055/10/Kl/AK und LVwG-840057/5/Kl/AK, wurde die Zuschlagsentscheidung vom 19. Mai 2015 für nichtig erklärt. Im Wesentlichen wird die Nichtigerklärung damit begründet, dass nach den unangefochtenen bestandfest gewordenen Ausschreibungsunterlagen das ausgeschriebene Fabrikat in jedem Fall anzubieten ist und Alternativen als Nebenangebote vorzulegen sind, das von der Billigstbieterin S eingereichte - einzige - Angebot aber nur einen Gesamt-Angebotspreis enthalte, und nicht zu entnehmen sei, ob es sich dabei um das Hauptangebot, welches das ausgeschriebene Fabrikat anbietet, oder um das Alternativ-/Nebenangebot handle, welches das von der Billigstbieterin alternativ angebotene Gerät „S“ enthält. Das alternativ angebotene Produkt sei nicht in einem gesonderten Nebenangebot/Alternativangebot angeboten worden. Es liegt daher ein den Ausschreibungsbestimmungen widersprechendes Angebot vor. Darüber hinaus ermangelt es dem Angebot an der geforderten rechtsgültigen Unterfertigung und wurden Textänderungen im Leistungs­verzeichnis vorgenommen, sodass aus diesen Gründen ein den Ausschrei­bungsbestimmungen widersprechendes Angebot vorliegt. Diese Entscheidung wurde am 14. Juli 2015 per E-Mail übermittelt.

 

Mit Schreiben der Auftraggeberin vom 14. Juli 2015 wurde der Firma S im Grunde der Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 10. Juli 2015 mitgeteilt, dass das Angebot ausgeschieden wird, weil es den Ausschreibungsbestimmungen widerspricht. Gleichzeitig wurde zur Information mitgeteilt, „dass die Auftraggeberin nun die Angebotsprüfung hinsichtlich der übrigen Angebote fortsetzen und auch die Angebote der übrigen Bieter einer weiteren Prüfung unterziehen wird, wobei es - abhängig vom Ergebnis dieser Prüfung und allenfalls vorzunehmenden weiteren Angebotsausscheidungen - denkbar ist, dass das Verfahren widerrufen und neu ausgeschrieben wird, wobei sich im Fall einer Neuausschreibung auch solche Bieter beteiligen könnten, die im gegenständlichen Vergabeverfahren ausgeschieden werden“.

Ebenfalls mit 14. Juli 2015 teilte die Auftraggeberin den Bietern H GmbH, L I GmbH und L L-H GmbH & Co KG mit, dass das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die Zuschlagsent­scheidung zugunsten des preislich an erster Stelle liegenden Bieters S K- und L GmbH aufgehoben hat, weil das Angebot des Bieters S auszuscheiden sei. „Die Auftraggeberin sieht sich daher veranlasst, die Angebotsprüfung fortzusetzen und auch die Angebote der übrigen Bieter einer weiteren Prüfung zu unterziehen, wobei es  - abhängig vom Ergebnis dieser Prüfung und allenfalls vorzunehmenden weiteren Angebotsausscheidungen - denkbar ist, dass das Verfahren widerrufen und neu ausgeschrieben wird, wobei sich im Fall einer Neuausschreibung auch solche Bieter beteiligen könnten, die im gegenständlichen Vergabeverfahren ausgeschieden werden“. Für die Prüfung des Angebotes wurden dann konkret bezeichnete Nachweise bzw. Informationen angefordert. Es wurde ersucht, „die oben genannten Unterlagen, Informationen und Aufklärungen bis längstens 20. Juli 2015, 10:00 Uhr (einlangend bei der Einreichungsstelle ...) vollständig vorzulegen, andernfalls Ihr Angebot gemäß
§ 129 Abs. 2 BVergG (nicht erfolgte Aufklärung) bzw. § 68 Abs. 1 Z 7 BVergG (nicht erteilte Auskünfte) im gegenständlichen Vergabeverfahren ausgeschieden wird“.

An die Antragstellerin ist eine Aufforderung zur Aufklärung nicht ergangen.

Mit gleichlautendem Schreiben vom 22. Juli 2015 wurden die zur Aufklärung aufgeforderten Bieter wie folgt verständigt: „Zum oben genannten Vergabe­verfahren haben wir Sie mit Schreiben vom 14. Juli 2015 um Vorlage verschiedener Auskünfte und Nachweise unter anderem betreffend die Eignung Ihres Unternehmens bis längstens 20. Juli 2015 ersucht. Sie haben die verlangten Auskünfte und Nachweise bis heute nicht vorgelegt, sodass Ihr Angebot hiermit gemäß § 129 Abs. 2 BVergG (nicht erfolgte Aufklärung) und
§ 68 Abs. 1 Z 7 BVergG (nicht erteilte Auskünfte betreffend Eignung) ausge­schieden wird.

Informativ und völlig unverbindlich weisen wir darauf hin, dass die Möglichkeit in Betracht gezogen wird, das Verfahren zu widerrufen und neu auszuschreiben.“

Die bekannt gegebenen Ausscheidensentscheidungen wurden nicht bekämpft und wurden bestandfest.

Im Widerrufsvermerk vom 3. August 2015 begründet die Auftraggeberin die Ausscheidung sämtlicher Angebote, ausgenommen jenes der Antragstellerin, einerseits mit dem Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 10. Juli 2015 und andererseits damit, dass die mit Schreiben vom
14. Juli 2015 verlangten Auskünfte betreffend Eignung nicht erteilt und die verlangte Aufklärung zur Aufgliederung der Preise nicht gegeben wurde. Zu den Gründen für den Verzicht auf eine Vergabe (Widerrufsgründe) wird angeführt: „Nach dem Ausscheiden von Angeboten verbleibt nur mehr das Angebot des Bieters H, sodass kein ausreichender Wettbewerb vorliegt und das Verfahren gemäß § 139 Abs. 2 Z 2 BVergG widerrufen werden kann. Dazu kommt, dass das einzige verbliebene Angebot preislich mit Abstand an zweiter Stelle liegt und das preislich an erster Stelle liegende Angebot im Wesentlichen aufgrund von bloßen Formmängeln ausgeschieden wurde. Im Zuge einer Neuausschreibung ist es möglich, den Wettbewerb zu vergrößern und ein besseres Ergebnis zu erzielen. Das Verfahren wird daher widerrufen.“

Mit Schreiben vom 3. August 2015 wurde der Antragstellerin durch die Auftraggeberin mitgeteilt, „dass beabsichtigt ist, das oben genannte Vergabeverfahren zu widerrufen (Widerrufsentscheidung). Zur Begründung der Widerrufsentscheidung teilen wir mit, dass nach dem Ausscheiden von Angeboten nur mehr Ihr Angebot geblieben ist, sodass ein Widerrufsgrund gemäß § 139 Abs. 2 Z 2 BVergG vorliegt. Die Stillhaltefrist endet am
10. August 2015“.

 

4.2. Diese Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf die vorgelegten schriftlichen Unterlagen.

 

5. Hierüber hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich erwogen:

 

5.1. Gemäß § 1 Abs. 1 Oö. Vergaberechtsschutzgesetz 2006
(Oö. VergRSG 2006) regelt dieses Landesgesetz den Rechtsschutz gegen Ent­scheidungen der Auftraggeber im Verfahren nach den bundesrechtlichen Vor­schriften auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens (Vergabeverfahren), die gemäß Art. 14b Abs. 2 Z 2 B-VG in den Vollzugsbereich des Landes fallen.

Die A A K d S L GmbH steht zu 100 % im Eigen­tum der Stadt Linz und liegt im Vollziehungsbereich des Landes im Sinne des Art. 14b Abs. 2 Z 2 lit. c B-VG, sodass das gegenständliche Nachprüfungs­verfahren den Bestimmungen des Oö. VergRSG 2006 unterliegt.

Gemäß § 2 Abs. 1 Oö. VergRSG 2006 obliegt dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die Gewährung von Rechtsschutz gemäß § 1 Abs. 1 leg.cit.

 

5.2. Gemäß § 2 Abs. 3 Oö. VergRSG 2006 ist das Landesverwaltungsgericht Ober­österreich bis zur Zuschlagsentscheidung bzw. bis zum Widerruf eines Ver­gabeverfahrens zum Zweck der Beseitigung von Verstößen gegen die bundes­gesetzlichen Vorschriften auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens und die dazu ergangenen Verordnungen oder von Verstößen gegen unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht zuständig zur Erlassung einstweiliger Verfü­gungen sowie zur Nichtigerklärung gesondert anfechtbarer Entscheidungen (§ 2 Z 16 lit. a BVergG 2006) des Auftraggebers bzw. der Auftraggeberin im Rahmen der vom Antragsteller bzw. der Antragstellerin geltend gemachten Beschwerde­punkte.

 

Der gegenständliche Antrag ist rechtzeitig und zulässig. Aufgrund der Höhe des Auftragswertes des ausgeschriebenen Bauauftrages sind die Bestimmungen für den Unterschwellenbereich anzuwenden.

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Oö. VergRSG 2006 hat das Landesverwaltungsgericht eine im Zuge eines Vergabeverfahrens ergangene gesondert anfechtbare Entscheidung eines Auftraggebers bzw. einer Auftraggeberin für nichtig zu erklären, wenn

1.   sie oder eine ihr vorangegangene nicht gesondert anfechtbare Entscheidung den Antragsteller bzw. Antragstellerin in dem von ihm bzw. von ihr nach § 5 Abs. 1 Z 5 geltend gemachten Recht verletzt und

2.   diese Rechtswidrigkeit für den Ausgang des Vergabeverfahrens von wesent­lichem Einfluss ist.

 

5.3. Gemäß § 19 Abs. 1 Bundesvergabegesetz 2006 - BVergG 2006,
BGBl. I Nr. 17/2006 idgF, sind Vergabeverfahren nach einem in diesem Bundes­gesetz vorgesehenen Verfahren unter Beachtung der unionsrechtlichen Grund­frei­heiten sowie des Diskriminierungsverbotes entsprechend den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbs und der Gleichbehandlung aller Bewerber und Bieter durchzuführen. Die Vergabe hat an befugte, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmer zu angemessenen Preisen zu erfolgen.

 

Gemäß § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 BVergG 2006 sind Vergabeverfahren Verfahren zur Beschaffung von Leistungen im öffentlichen Bereich bzw. Sektorenbereich.

Gemäß § 135 Abs. 1 BVergG 2006 endet das Vergabeverfahren mit dem Zustandekommen des Leistungsvertrages oder mit dem Widerruf des Vergabe­verfahrens.

Gemäß § 139 Abs. 2 BVergG 2006 kann ein Vergabeverfahren widerrufen werden, wenn

1.   nur ein Angebot eingelangt ist, oder

2.   nach dem Ausscheiden von Angeboten gemäß § 129 nur ein Angebot bleibt, oder

3.   dafür sachliche Gründe bestehen.

 

5.4. In den Materialien, RV-Stammfassung BVergG 2006 (1171 BlgNR XXII. GP) ist zu entnehmen, dass ein Widerruf des Vergabeverfahrens nunmehr in jedem Fall zulässig ist, wenn sachliche Gründe dies rechtfertigen. Abs. 2 erstreckt sich auf jene Konstellationen, in denen nachträglich (das heißt, nach der Ausschreibung) sonstige wesentliche Änderungen von für das Vergabeverfahren relevanten Umständen vorliegen. Im Hinblick auf die einschlägige ständige Judikatur des EuGH (Rs C-27/98, C-92/00 und C-244/02) ist darauf hinzuweisen, dass an die Bestimmung kein strenger Maßstab anzulegen ist, denn nach dem EuGH ist der Widerruf eines Vergabeverfahrens nicht vom Vorliegen schwer­wiegender oder gar außergewöhnlicher Umstände abhängig (der EuGH in der
Rs C-244/02 hat ausgesprochen, dass aus den vergaberechtlichen Richtlinien „nicht hervorgehe, dass die in dieser Richtlinie implizit anerkannte Befugnis des öffentlichen Auftraggebers, auf die Vergabe eines öffentlichen Bauauftrages, für den eine Ausschreibung stattgefunden habe, zu verzichten, auf Ausnahmefälle begrenzt sei oder in jedem Fall voraussetze, dass schwerwiegende Gründe angeführt würden“. Weiters hat der EuGH ausgeführt, ......., „dass ein Auftraggeber, der beschließe, die Ausschreibung eines öffentlichen Dienst­leistungsauftrags zu widerrufen, den Bewerbern und Bietern zwar die Gründe für seine Entscheidung mitteilen müsse, dass er danach aber nicht verpflichtet sei, das Vergabeverfahren zu Ende zu führen“. Ein Widerruf ist demnach zulässig, wenn der Auftraggeber die Leistung generell oder in der ausgeschriebenen Form nicht mehr benötigt, Änderungen in den Ausschreibungsunterlagen etwa aufgrund neuer Technologien notwendig werden, die budgetäre Bedeckung nachträglich wegfällt, die Bieteranzahl bzw. Bieterstruktur sich während der Angebotsfrist wesentlich verändert (Extremfall: alle Bieter schließen sich zu einer Arbeits- oder Bietergemeinschaft zusammen), kein oder nur ein Teilnahmeantrag einlangt usw. Ein Widerruf ist etwa auch bei festgestellten generell überhöhten Preisen zulässig, wenn der Auftraggeber etwa Preisabsprachen vermutet oder wenn er Grund zur Annahme hat, dass die Preise aus anderen Gründen nicht die korrekten Marktpreise widerspiegeln (z.B. unvorhersehbare Verknappung von Ressourcen). Damit ist es dem Auftraggeber möglich, im Wege einer neuerlichen Ausschreibung vermuteten Preisabsprachen zu begegnen. .... Hinzuweisen ist aber auch darauf, dass die entsprechenden Bestimmungen auch dem Schutz der Bieter dienen. Jeder Widerruf eines Vergabeverfahrens ist geeignet, beim Bieter „vergebliche“ Aufwendungen zu erzeugen. Die Bindung des Widerrufs eines Vergabeverfahrens an bestimmte - wenn auch nicht allzu strenge - Voraussetzungen soll dazu beitragen, allfällige Kosten und damit verbunden allfällige Schadenersatzansprüche zu vermeiden. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass Gründe gemäß Abs. 1 und 2 auch dann vorliegen können, wenn diese auch durch den Auftraggeber selbst schuldhaft (z.B. grob fahrlässig) verursacht wurden (vgl. dazu auch die Fallkonstellation im Verfahren C-244/02). In diesem Fall ist der Auftraggeber unter Umständen zum Widerruf verpflichtet, wird aber nach den einschlägigen Bestimmungen des Zivilrechts schaden­ersatzpflichtig.

G. Stickler/G. Zellhofer in Schramm/Aicher/Fruhmann/Thienel, Bundesvergabe­gesetz 2006, Kommentar, zu § 139 Rz 27 und 29, führen dazu aus: „Ob ein sachlicher Grund vorliegt, ist objektiv zu beurteilen. Es ist zu fragen, ob der Widerruf für einen besonnenen Auftraggeber in der konkreten Situation eine sinnvolle Handlungsalternative und ein taugliches Mittel zur ‚Problembehebung‘ darstellt. Dabei ist kein strenger Maßstab anzulegen. Dies entbindet den Auftraggeber freilich nicht davon, die faktischen Grundlagen seiner Entscheidung sorgfältig zu ermitteln. .... Ein Widerruf ist jedenfalls nur dann zulässig, wenn er im Einklang mit den Grundsätzen des Vergabeverfahrens (§ 19 Abs. 1) erfolgt. Ein Widerruf, der willkürlich (ohne Bestehen eines sachlichen Grundes) oder missbräuchlich (als ‚Vorwand‘, unter Verstoß gegen die vergaberechtlichen Grundsätze) erfolgt, ist rechtswidrig “.

Im Schlussantrag vom 25. März 1999 in der Rechtssache C-27/98, M F führt der Generalanwalt aus: „Meines Erachtens lässt sich daher im Ergebnis nicht bestreiten, dass der öffentliche Auftraggeber, wenn ein einziges Angebot vorliegt oder übrig ist, die öffentliche Ausschreibung aus Gründen, die im Allgemeininteresse liegen, aufheben oder auf die Vergabe des Auftrages verzichten kann, sofern dies nicht willkürlich, als Vorwand oder unter Verstoß gegen Bestimmungen der Richtlinie oder andere Vorschriften oder Grundsätze des Gemeinschaftsrechts erfolgt.“

Als Beispiele für Fälle, in denen kein sachlicher Grund für einen Widerruf vorliegt, nennen Stickler/Zellhofer unter anderem, dass durch den Widerruf eine Wiederholung des Vergabeverfahrens und damit eine Zuschlagserteilung an den „Wunschbieter“ erreicht werden soll. In § 105 Abs. 2 Z 3 Satz 2 BVergG 2002 war festgelegt, dass ein Widerruf jedenfalls dann nicht sachlich gerechtfertigt ist, wenn er zu dem alleinigen Zweck erfolgt, eine neuerliche Ausschreibung zu ermöglichen, um den Angebotspreis zu reduzieren. Diese „Sonderregel“ wurde im BVergG 2006 nicht übernommen. Dennoch ist auch nach dem BVergG 2006 ein Widerruf zum Zweck des „Preisstechens“ als Verstoß gegen den Grundsatz des lauteren Wettbewerbs nicht zulässig. Zu § 139 Abs. 2 Z 1 und Z 2 BVergG wird in Rz 40 ausgeführt, dass Grund der Regelung ist, dass der Zuschlagsempfänger in einem Vergabeverfahren nach Möglichkeit in einem Bieterwettbewerb ermittelt werden soll. Liegt nur ein zuschlagsfähiges Angebot vor, so fand ein solcher Wettbewerb regelmäßig nicht statt. Der Auftraggeber hat das ihm eingeräumte Ermessen - wie allgemein - im Sinn des Gesetzes auszuüben. Es sind Fälle denkbar, in denen ein Widerruf der Ausschreibung trotz Vorliegens nur eines Angebotes nicht zulässig ist, z.B. wenn mehrere Angebote eingelangt sind und alle bis auf das bestbewertete Angebot aus formalen Gründen ausgeschieden werden.

 

5.5. Erwiesener und entscheidungsrelevanter Sachverhalt ist, dass die ursprüngliche Billigstbieterin S nicht nur aus rein formalen Gründen (Unterschrift), sondern auch aus inhaltlichen Gründen im Hinblick auf ihr Alternativ- bzw. Nebenangebot auszuscheiden war, sodass die Antragstellerin als ursprünglich zweitgereihte Bieterin nunmehr als Billigstbieterin vorliegt. Aus den Unterlagen ersichtlich ist auch, dass im Grunde der Nichtigerklärung der ursprünglichen Zuschlags­entscheidung zugunsten der ausgeschiedenen erstge­reihten Bieterin sodann nachträglich - obwohl das Angebot der zweitgereihten Bieterin, welche nunmehr als Billigstbieterin aufscheint, mängelfrei ist - der Auftraggeber die Beseitigung und Aufklärung von Mängel in den Angeboten der übrigen (nachgereihten) Bieter verlangt. Eine solche Prüfung von nachgereihten Angeboten ist beim ausgeschriebenen Billigstbieterprinzip verwunderlich und nicht erforderlich. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass die Auftraggeberin bereits in dem Aufforderungsschreiben zur Aufklärung auf weitere vorzuneh­mende Angebotsausscheidungen Bezug nimmt und für diesen Fall auch bereits den Widerruf des Verfahrens und die Neuausschreibung ankündigt und für den Fall der Neuausschreibung auch den ausgeschlossenen Bietern in Aussicht stellt, sich bei der Neuausschreibung wieder beteiligen zu können. Wie die Auftraggeberin in ihrer Stellungnahme zum Nachprüfungsverfahren ausführt, erwartet sie sich „ein deutlich besseres Ergebnis“. Es liegt daher auch auf der Hand, dass sämtliche drei aufgeforderten Bieter entsprechend dieser Aufforderung und Ankündigung der Konsequenzen keine Verbesserungen oder Aufklärungen zum Angebot durch­führten und daher - wie im Aufforde­rungsschreiben angekündigt - auch unmittelbar mit Ausscheidensentscheidung vom 22. Juli 2015 ausgeschieden wurden. Keine dieser Ausscheidensent­scheidungen wurde angefochten. Es ist daher - wie bereits von der Antragstellerin angemerkt wurde - nicht von der Hand zu weisen, dass die nachträglich fortgesetzte Angebotsprüfung zum Zweck des Ausscheidens sämtlicher (nachgereihter) Bieter durchgeführt wurde, um in weiterer Folge das Vergabeverfahren zu widerrufen und durch eine Neuaus­schreibung das gewünschte Angebot bzw. einen reduzierten Angebotspreis zu erlangen. Ein anderer Zweck der nachträglichen Aufklärung (und in Folge Ausscheidung) ist hingegen nicht ersichtlich, zumal bei erfolgreicher Nachbringung der Nachweise bzw. erfolgreicher Aufklärung sich am Ergebnis des billigsten Angebotes durch die Antragstellerin nichts geändert hätte.

Eine solche Vorgehensweise widerspricht aber offensichtlich den Grundsätzen des lauteren Wettbewerbs gemäß § 19 Abs. 1 BVergG 2006, was auch in der obzitierten Literatur und Judikatur zum Ausdruck kommt. Das Ermessen des Auftraggebers bei der Widerrufsentscheidung hat dort seine Grenzen, wo gegen Grundsätze des Vergabeverfahrens gemäß § 19 Abs. 1 BVergG 2006 verstoßen wird, also ein Widerruf willkürlich oder missbräuchlich erfolgt.

Es war daher die angefochtene Widerrufsentscheidung als den Vergabe­grundsätzen widersprechend und daher rechtswidrig zu erkennen und für nichtig zu erklären. Die Rechtswidrigkeit ist auch für den Ausgang des Vergabe­verfahrens von wesentlichem Einfluss. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

6. Gemäß § 23 Oö. VergRSG 2006 hat der Antragsteller bzw. die Antragstellerin, der bzw. die vor dem Landesverwaltungsgericht wenn auch nur teilweise obsiegt, Anspruch auf Ersatz der gemäß § 22 entrichteten Gebühren durch den Auftrag­geber bzw. die Auftraggeberin. Der Antragsteller bzw. die Antragstellerin hat ferner Anspruch auf Ersatz der entrichteten Gebühren, wenn er bzw. sie während des anhängigen Verfahrens klaglos gestellt wird. Ein Ausspruch auf Ersatz der Gebühren für einen Antrag auf einstweilige Verfügung besteht nur dann, wenn dem Nachprüfungsantrag (Hauptantrag) stattgegeben wird und dem Antrag auf einstweilige Verfügung stattgegeben wurde.

Da die Antragstellerin vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich obsiegt hat, war gemäß § 23 Abs. 1 und Abs. 2 Oö. VergRSG 2006 die Auftraggeberin zum Ersatz der entrichteten Pauschalgebühren in Höhe von 4.500 Euro (für das Nachprüfungsverfahren und für die einstweilige Verfügung) zu verpflichten.

 

7. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des
Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Recht­sprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Recht­sprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungs­gerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechts­frage vor. Die Entscheidung stützt sich auf eine besondere Fallkonstellation im Einzelfall.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsge­richtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsge­richtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landes­verwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsan­walt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240,- Euro zu entrichten.

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

 Dr. Ilse Klempt