LVwG-050047/2/WEI
Linz, 31.07.2015
I M N A M E N D E R R E P U B L I K
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Dr. Wolfgang Weiß über die Beschwerde des Disziplinaranwaltstellvertreters Dr. K B gegen den Beschluss (Bescheid) des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Oberösterreich und Salzburg, vom 23. September 2014, Zl. Dk-L-11/2014, betreffend Einstellung eines Disziplinarverfahrens gegen Dr. M L gemäß § 154 Abs 3 Ärztegesetz 1998 zu Recht e r k a n n t :
I. Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Beschluss mit der Maßgabe bestätigt, dass er als Rücklegungsbeschluss gemäß § 151 Abs 2 Ärztegesetz 1998 (Beschluss auf Zurücklegung der Anzeige) zu gelten hat, weil kein Grund zur disziplinären Verfolgung des Dr. L besteht.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
II. Gegen diesen Beschluss der Disziplinarkommission für Oberösterreich und Salzburg, zugestellt mit Schreiben vom 30. November 2014, richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Disziplinaranwaltstellvertreters (im Folgenden nur Disziplinaranwalt) vom 12. November 2014, die wie folgt begründet wurde:
„In der Disziplinarsache gegen Dr. M L wird gegen den Beschluss der Disziplinar-kommission für Oberösterreich und Salzburg vom 23.9.2014, Dk-L-11/2014, die
B e s c h w e r d e
an das
Landesverwaltungsgericht für Oberösterreich
erhoben (vierfach).
Mit dem angefochtenen Beschluss wurde entgegen dem ha. Verweisungsantrag vom 06.03.2014 das Disziplinarverfahren gegen Dr. M L gemäß dem § 154 Abs. 3 ÄrzteG 1998 eingestellt.
Angefochten wird die Meinung der Disziplinarkommission, die im gegenständlichen Fall getroffenen Diversionsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft erschöpften den Unrechtsgehalt der Dr. L angelasteten Unterlassung zur Gänze, sodass auf Grund des Verbotes einer Doppelbestrafung kein Raum für die Einleitung eines Diszplinarverfahrens bleibe.
Nach der bisherigen Rechtsprechung erfüllen auch diverse Berufspflichtverletzungen (ungeachtet der Verwirklichung des 136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG) im Einzelfall zusätzlich den Generaltatbestand des § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG. Als Beispiel wird im Kommentar zum Ärztegesetz 1998 von 2004 von Emberger-Wallner ua. die Verletzung des Gebotes der Gewissenhaftigkeit durch Unterlassung einer dringend notwendigen Spitalseinweisung (Disziplinarsenat 17.1.1994, DS 7/1993, RdM1994/2, angeführt.
Nach ha. Auffassung ist die von Dr. L allenfalls zu verantwortende Berufs-pflichtverletzung durchaus ähnlich gelagert und der dadurch entstandene Vertrauensschaden in Bezug auf die Gewissenhaftigkeit der Ärzte durch das Privileg der Diversion noch nicht abgegolten.
Es wird daher der
A n t r a g
gestellt, der Beschwerde Folge zu geben, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und diese Disziplinarsache zur mündlichen Verhandlung zu verweisen.
...“
III. Aus dem Ermittlungsakt 44 BAZ 102/13w der Staatsanwaltschaft Linz ergibt sich für das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich der folgende wesentliche S a c h v e r h a l t :
III.1. Der freiberuflich tätige Dr. M L, Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, hatte als sog. Belegarzt seiner Patientin M F am 8. November 2012 im D Krankenhaus Linz eine Hüftprothese rechts erfolgreich implantiert. Am 11. November 2012 sollte das Mobilisierungsprogramm mit Hilfe des Pflegepersonals beginnen. Frau F suchte an diesem Tag bereits selbständig, ohne das Pflegepersonal zu verständigen, das Badezimmer auf, wo sie beinahe zu Sturz kam und sich das Bein verdrehte. Sie berichtete Dr. L bei der Visite darüber und beschwerte sich über den nicht barrierefreien Einstieg. Laut Pflegebericht (vgl im Akt 44 BAZ 102/13w, ON 6 Seiten 99 f) verordnete er Schmerzmedikamente. Dr. L gab dazu an, dass die Patientin keine außergewöhnlichen Beschwerden äußerte. Auch der Pflegebericht weist für die folgenden Tage keine ungewöhnlichen Beschwerden aus. So war die Patientin etwa am 14. November 2012 mit Krücken im Zimmer selbständig mobil. Am Vormittag des 15. November 2012 wird über Schwindel der Patientin nach dem Duschen berichtet. In der Nacht zum 16. November 2012 wurde dann vom Pflegedienst um 02:00 Uhr „Drainstelle OP Bereich Verband blutig“ und um 05:00 Uhr „Drainstelle serös durchgeblutet“ festgestellt. Der Tagdienst hat am 16. November 2012 um 08:00 Uhr vermerkt, dass die Patientin selbst Duschen ging, sich aber unsicher fühlte und im operierten Bein vermehrt Schmerzen verspürte. Der Verband wurde erneuert.
Für 16. November 2012 gab Dr. L eine Röntgenuntersuchung in Auftrag, die von der Diplomkrankenschwester mit dem Namenskürzel „Puc“ (V P) ins elektronische System eingegeben wurde (vgl Stellungnahme des Krankenhausbetreibers vom 30.08.2013, Seiten 2 u 5). Die bereits um 10:45 Uhr angefertigte Aufnahme wurde von Prim. Dr. E M, dem Leiter der Abteilung für Radiologie, befundet. Die Freigabe des Befundes im elektronischen System erfolgte um ca 13:00 Uhr. Im Laufe des Nachmittags sei der schriftliche Befund zudem auf die Station gebracht worden, wo er abzulegen sei. Die Konsequenzen habe der behandelnde Arzt zu ziehen (Zeuge Dr. M).
Dem Befund des Prim. Dr. M vom 16. November 2012 ist zu entnehmen, dass die rechts implantierte Hüftgelenktotalendoprothese in korrekter Position gewesen sei. Caudal (schwanzwärts) der Spitze der femoralen (zum Oberschenkel gehörenden) Komponente zeigte das Röntgenbild „eine schräg verlaufende, lineare, ossäre Aufhellung (Fissur)“. Diese Verletzung der Frau F wurde später im AKH Linz als periprothetische Fraktur rechts bezeichnet und musste operativ saniert werden (Gesamtaufenthalt im AKH vom 6.12.2012 bis 10.01.2013).
Dr. L gab bei seiner polizeilichen Einvernahme am 14. April 2013 zum normalen Ablauf im Krankenhaus an, dass der (schriftliche) Befund ohne Röntgenbild auf die Station komme und dort vom diensthabenden Stationsarzt angesehen werde. Wenn es Auffälligkeiten gibt, werde der behandelnde Arzt in weiterer Folge verständigt. Das Röntgenbild und den Röntgenbefund habe Dr. L nie gesehen. Seine Frage nach Auffälligkeiten bei der nächsten Visite am 17. November 2012 sei nämlich verneint worden. Er sah daher keinen Handlungsbedarf. Die weitere Mobilisierung der Patientin verlief ohne Auffälligkeiten bis zur planmäßigen Entlassung am 28. November 2012, an welchem Tag sie ins Reha-Zentrum Bad Schallerbach überstellt wurde.
III.2. In der rechtsfreundlich vertretenen Stellungnahme der Klinik D Linz GmbH vom 30. August 2013 wird vom D Krankenhaus Linz als einem sog. Belegspital berichtet, in dem sich jeder Patient vom Arzt seines Vertrauens behandeln lassen könne und den Belegärzten die Infrastruktur zur Verfügung gestellt werde. Zur gegenständlich relevanten Aufgabenverteilung samt dem organisatorischen Ablauf im D Krankenhaus Linz wird vom Krankenhausbetreiber zusammengefasst folgende Darstellung gegeben:
Warum die Anordnung der Röntgenuntersuchung nicht in der „Fieberkurve“ (im Formular betreffend die Behandlung des Patienten) eingetragen war, könne nicht nachvollzogen werden. Dr. L hätte dies als behandelnder Arzt eintragen müssen. Der Befund der Röntgenuntersuchung werde auch in Papierform auf die jeweilige Station gebracht und von der zuständigen Schwester in die Krankengeschichte eingelegt. Zugleich sei der Befund auch elektronisch im System ab dem Zeitpunkt der Freigabe abrufbar. Der behandelnde Facharzt, der mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen täglich Visite zu gehen habe, hätte spätestens bei der Visite am 17. November 2012 das Röntgen kontrollieren müssen. Nur der Facharzt und nicht der Stationsarzt, der ein Arzt für Allgemeinmedizin ist, sei fachlich in der Lage, allfällige Konsequenzen abzuleiten. Fachbezogene Befunde (wie postoperatives Röntgen) würden zu 100 % in das Aufgabengebiet des Facharztes fallen. Allgemeinmedizinische Befunde (zB Bluthochdruck, Unwohlsein, Schmerzen etc.) werden von den Stationsärzten angeordnet.
Die am 16. November 2012 diensthabende Stationsärztin Dr. A hätte mangels Eintragung in die Fieberkurve die angeordnete Röntgenuntersuchung nicht erkennen können. Unabhängig davon sei diese aber ordnungsgemäß durchgeführt und der Befund für den behandelnden Facharzt in der Krankengeschichte im Visitenwagen abgelegt worden. Die Konsequenzen daraus hätte nur Dr. L ziehen können (vgl Stellungnahme Seite 4).
Die Stationsärzte, die die Fachärzte bei deren Visiten nicht begleiten, führen täglich die sog. „Kurvenvisite“ durch und kontrollieren dabei nur, ob angeordnete Untersuchungen durchgeführt wurden, was aber eine entsprechende Eintragung voraussetze. Da die Röntgenuntersuchung aber ohnehin durchgeführt wurde, spiele die unterlassene Eintragung im vorliegenden Fall für den weiteren Ablauf keine Rolle.
III.3. Unter Berücksichtigung der aktenkundigen Beweise und in Würdigung der Stellungnahme des Krankenhausbetreibers ist aus der Sicht des erkennenden Richters Folgendes festzustellen:
Der nachvollziehbaren Darstellung des Krankenhausbetreibers kann zwar weitgehend, aber nicht uneingeschränkt, gefolgt werden. Denn es darf vor dem Hintergrund der naheliegenden Möglichkeit einer zivilrechtlichen Schadenersatzhaftung des Krankenhausbetreibers aus dem gegenständlichen Vorfall der offenkundige Interessenkonflikt im Verhältnis zum Belegarzt Dr. L nicht übersehen werden. Es liegt naturgemäß im wirtschaftlichen Interesse des Krankenhausbetreibers, dass ihm kein Organisationsverschulden nachweisbar und ein Fehlverhalten möglichst nicht dem eigenen Personal, sondern dem selbständig agierenden und haftenden Belegarzt anzulasten ist.
Für die nach „Rekonstruktion anhand der Krankengeschichte“ (vgl Stellungnahme Seite 4) allein den Belegarzt Dr. L belastende Darstellung in der Stellungnahme des Krankenhausbetreibers, wonach der Röntgenbefund vom 16. November 2012 für den behandelnden Facharzt Dr. L in der Krankengeschichte im Visitenwagen abgelegt worden sei, sind aus der Aktenlage tatsächlich keine Beweismittel ersichtlich. Es handelt sich nach Ansicht des erkennenden Richters um eine Zweckbehauptung, die die gesamte Verantwortung für die unterbliebene weitere Behandlung nur beim Facharzt sehen und wohl auch dessen plausibles Argument widerlegen will, dass er bei Auffälligkeiten in dem der Station auch in Papierform für die Krankengeschichte übergebenen Röntgenbefund üblicherweise darüber informiert werde. Denn mit dem (allseits unbestrittenen) Hinweis auf die alleinige Zuständigkeit des behandelnden Facharztes, Konsequenzen aus dem Röntgen zu ziehen, wird die Darstellung Dris. L über den normalen Ablauf nach Röntgenuntersuchungen in tatsächlicher Hinsicht noch nicht widerlegt. Auch wenn ein Stationsarzt als Allgemeinmediziner oder auch eine Diplomkrankenschwester für die fachliche Beurteilung eines Röntgen nicht zuständig sein können, sind diese medizinisch gut ausgebildeten Personen nach allgemeiner Lebenserfahrung und Überzeugung des Richters dennoch in der Lage, dem Röntgenbefund eines Radiologen Auffälligkeiten zumindest insoweit zu entnehmen, dass sie diese Tatsache als solche dem behandelnden Facharzt berichten und zumindest einen nicht spezifizierten allgemeinen Aufmerksamkeitshinweis geben können. Selbst einem interessierten Laien, der manchmal medizinische Fachausdrücke in Lexika nachliest, wäre beim gegenständlichen Befund vom 16. November 2012 zumindest das Wort „Fissur“ (fissura ossium = Spaltbruch) aufgefallen. Eine andere Frage - nämlich Rechtsfrage - ist es, ob sich der Facharzt auf Hinweise des Stationspersonals verlassen darf oder ein Röntgenbild immer selbst kontrollieren muss, weil nur er die fachlichen Konsequenzen zu ziehen hat.
Das auf einem Mangel in der Kommunikation zwischen dem Stationspersonal und dem Belegarzt Dr. L beruhende Informationsdefizit über die Röntgenuntersuchung brauchte nicht thematisiert zu werden, wenn der Röntgenbefund ohnehin am 17. November 2012 im Visitenwagen zur Verfügung und Einsichtnahme des Dr. L gewesen wäre. Dann hätte allein der Belegarzt versagt, der in den bereitliegenden Röntgenbefund nicht Einsicht nimmt. Davon kann aber nicht ausgegangen werden, zumal diese „Rekonstruktion“ vom Krankenhausbetreiber weder bescheinigt werden kann, noch sonst nach den Umständen des Falles naheliegend erscheint.
Die Stationsärztin Dr. M A versah vom 16. November 2012 von 07:00 Uhr bis zum 17. November 2012 um 08:00 Uhr Dienst und verließ nach dem Nachtdienst das Krankenhaus. Sie hatte nach eigenen Angaben keine Kenntnis von der Röntgenuntersuchung, hätte ansonsten den Befund abgezeichnet. Sie wisse auch nicht, wie der Befund in die Krankengeschichte kam, ohne in der Fieberkurve eingetragen bzw von einem Arzt abgezeichnet worden zu sein (vgl Zeugenaussage Dr. A vom 14.05.2013).
Wenn schon die mit den Abläufen vertraute Stationsärztin Dr. A sich nicht erklären kann, wie der von keinem Arzt abgezeichnete (!) Röntgenbefund in die Krankengeschichte kam, dann bietet dieser Umstand wohl hinreichenden Grund für erhebliche Zweifel an der Zweckbehauptung des Krankenhausbetreibers, dass dieser Befund bereits am 16. November 2012 ordnungsgemäß in der Krankengeschichte im Visitenwagen und damit zur Verfügung des Dr. L abgelegt worden sei. Wann diese Ablage in der Krankengeschichte tatsächlich geschah und wer die Verzögerung zu verantworten hatte, kann heute nicht mehr aufgeklärt werden.
Der Aussage Dris. L ist zu entnehmen, dass er auch nach der Visite vom 17. November 2012 nie über einen in der Station aufliegenden schriftlichen Befund der Abteilung Radiologie informiert worden sei. Dies wäre aber nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwarten gewesen, hätte doch ein in der Station aufliegender und noch nicht abgezeichneter Röntgenbefund dem Personal auffallen und dem behandelnden Arzt oder zumindest einem Stationsarzt vorgelegt werden müssen, bevor er abgelegt werden durfte (vgl inzident Aussage Dr. A). Wie schon im Einleitungsantrag des Disziplinaranwalts angemerkt, weist auch der vom Stationssekretariat (laut Fußnote nach Tonband) geschriebene „Ärztliche Bericht/Facharzt“ vom 27. November 2012 falsche Angaben und eine gewisse Oberflächlichkeit auf. Dabei deuten die äußeren Umstände abermals auf Kommunikationsmängel in der Station hin. Es wird nicht nur der Tag des Vorfalls in der Dusche falsch angegeben, sondern auch unzutreffend und pauschal von einem unauffälligen Hüftröntgen berichtet. Die Röntgenuntersuchung mit dem Befund des Radiologen Prim. Dr. M vom 16. November 2012 wird bezeichnender Weise überhaupt nicht erwähnt. Bedenklich ist vor allem, dass dieser Arztbrief nicht von dem als Autor angegebenen Dr. L genehmigt und gefertigt wurde, sondern von einer anderen Person ohne Funktionsangabe (möglicherweise einem Stationsarzt) unleserlich unterschrieben wurde. Bemerkenswert ist der Hinweis: „Dieser Bericht ist ohne Unterschrift des behandelnden Arztes ungültig !“ in einer weiteren Fußnote des Arztbriefes. Dies bedarf wohl keiner weiteren Erörterung.
Die dargelegten Umstände sprechen nach Ansicht des Oö. Landesverwaltungsgerichts nicht für eine zuverlässige Unterstützung des Belegarztes Dr. L im Rahmen der Ablauforganisation der Station des D Krankenhauses Linz und damit auch gegen einen rechtzeitig für ihn bereitgelegten Röntgenbefund im Visitenwagen. Wäre dies der Fall gewesen, hätte Dr. L, der naheliegender Weise das Ergebnis der von ihm beauftragten Röntgenuntersuchung erfahren wollte, anlässlich der Visite am 17. November 2012 nicht nach Auffälligkeiten fragen müssen. Nur wenn man ein geradezu bewusstes Unterlassen der Einsichtnahme in den ohnehin im Visitenwagen in der Krankengeschichte abliegenden Befund durch Dr. L unterstellen würde, wäre die Behauptung des Krankenhausbetreibers plausibel. Ein so krasses Fehlverhalten entspricht aber nicht der allgemeinen Lebenserfahrung. Es könnte nur auf Grund gesicherter Fakten festgestellt werden, die aus dem Ermittlungsakt der Staatsanwaltschaft nicht ansatzweise erkennbar sind.
IV. Das Landesverwaltungsgericht für Oberösterreich hat rechtlich erwogen:
IV.1. Die relevanten Verfahrensbestimmungen des Ärztegesetzes 1998 - ÄrzteG 1998 (StF BGBl I Nr. 169/1998, zuletzt geändert mit BGBl I Nr. 82/2014) lauten:
BGBl. I Nr. 169/1998 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 80/2013
Aus diesen Bestimmungen folgt für das gegenständliche Verfahren:
Alle einlangenden Anzeigen wegen eines Disziplinarvergehens sind gemäß § 150 Abs 1 ÄrzteG 1998 zunächst dem Disziplinaranwalt zur Beurteilung zuzuleiten. Ist dieser der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Disziplinarverfolgung vorliegen, so hat er unter Vorlage der Akten beim Vorsitzenden der Disziplinarkommission die Durchführung von Erhebungen oder, wenn solche nicht erforderlich sind, sogleich die Einleitung des Verfahrens zu beantragen (§ 150 Abs 3). Der Vorsitzende hat dann nach § 151 leg.cit. vorzugehen. Er kann den Untersuchungsführer mit der Durchführung von Erhebungen beauftragen oder die Disziplinarkommission einberufen, wenn er dafür hält, dass Grund zur Zurücklegung der Anzeige besteht.
Im vorliegenden Fall stellte der Disziplinaranwalt unter Vorlage der Anzeige mit den von der Staatsanwaltschaft beigeschafften Akten gemäß § 150 Abs 3 Ärztegesetz 1998 sofort einen Einleitungsantrag, weil er offenbar die Durchführung von Erhebungen für nicht mehr erforderlich hielt. Die Disziplinarkommission sah nach Einsichtnahme in den Akt der Staatsanwaltschaft Linz kein verfolgbares Disziplinarvergehen und damit Grund zur Zurücklegung der Anzeige. Sie hätte daher gemäß § 151 Abs 2 leg.cit. einen Rücklegungsbeschluss zu fassen gehabt. Der Einstellungsbeschluss gemäß dem § 154 Abs 3 leg.cit. kommt nämlich erst nach Abschluss einer förmlichen Untersuchung durch einen im Disziplinarverfahren bestellten Untersuchungsführer in Betracht. Im Ergebnis macht dies allerdings keinen Unterschied, weil die Ansicht der Disziplinarkommission im Einstellungsbeschluss, dass kein Grund zur disziplinären Verfolgung des Beschuldigten vorliegt, auch für den Beschluss auf Zurücklegung der Anzeige die tragende Begründung darstellt.
IV.2. Für die staatsanwaltschaftliche Erledigung einer Strafsache durch Diversion im Strafverfahren nach der Strafprozessordnung 1975 - StPO (WV BGBl Nr. 631/1975, zuletzt geändert mit BGBl I Nr. 85/2015) gelten folgende Bestimmungen:
IV.3. Die zentrale Vorschrift des § 136 ÄrzteG 1998 über Disziplinarvergehen lautet:
§ 139 ÄrzteG 1998 regelt die Verhängung der Disziplinarstrafen und die dabei anwendbaren Grundsätze der Strafbemessung, die weitgehend dem StGB folgen. Die im § 139 Abs 1 leg.cit. aufgelisteten Disziplinarstrafen für Disziplinarvergehen sind der schriftliche Verweis (Z 1), die Geldstrafe bis zum Betrag von 36.340 Euro (Z 2), die befristete Untersagung der Berufsausübung (Z 3) und die Streichung aus der Ärzteliste (Z 4).
IV.4.1. Nach dem § 136 Abs 5 Ärztegesetz 1998 wird die disziplinäre Verantwortlichkeit schlechthin nicht dadurch ausgeschlossen, dass der dem Disziplinarvergehen zugrunde liegende Sachverhalt einen gerichtlichen Straftatbestand oder einen Verwaltungsstraftatbestand bildet. Dabei geht der Gesetzgeber offenbar ganz allgemein davon aus, dass die disziplinäre Verantwortlichkeit speziell dem Schutz des Standesansehens diene und damit regelmäßig etwas anderes sanktioniert werde als in einem Strafverfahren. Zu diesem eine Doppelverfolgung rechtfertigenden Ansatz eines unterschiedlichen Schutzzwecks wurde in der disziplinarrechtlichen Judikatur der Höchstgerichte die Rechtsfigur des sog. disziplinären Überhangs entwickelt.
Der Verfassungsgerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass ein legitimes Interesse der Standesgemeinschaft der Ärzte bestehe, im Falle von schwerwiegenden gerichtlichen Verurteilungen, von denen auch eine Gefährdung des Standesansehens der österreichischen Ärzteschaft ausgeht, sich disziplinarrechtliche Reaktionen in Wahrnehmung des sog. „disziplinären Überhangs“ vorzubehalten. Dabei handelt es sich nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs um einen eigenen, eine gesonderte disziplinäre Bestrafung rechtfertigenden Aspekt, der weder gegen Art 6 EMRK noch gegen Art 4 des 7. ZPEMRK verstößt (vgl mwN VfSlg 18762/2009; 17763/2006; 15543/1999). Auch in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Disziplinarangelegenheiten der Richter (vgl etwa OGH 11.09.2006, Ds 5/06: Diebstahl und Versuch, die Sicherheitsorgane von der Anzeige abzuhalten; OGH 29.09.2009, Ds 9/09: Verursachung eines Verkehrsunfalls mit Verletzungsfolgen in beträchtlich alkoholisiertem Zustand; OGH 04.03.2014, Ds 27/13: Verschuldung eines Verkehrsunfall in beträchtlich alkoholisiertem Zustand mit Nachtrunk) wird es als ein mit dem Verbot der Doppelbestrafung vereinbares legitimes Interesse einer Berufs- oder Standesgemeinschaft angesehen, den sog. disziplinären Überhang eines gerichtlich strafbaren Verhaltens, mit dem eine Gefährdung des Standesansehens einhergeht, disziplinarrechtlich zu ahnden (vgl RIS Justiz RS0121152). Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zum Beamtendienstrecht geht unter dem dargelegten Aspekt des disziplinären Überhangs gleichermaßen von der grundsätzlichen Zulässigkeit einer gesonderten disziplinarrechtlichen Verfolgung von strafrechtlich sanktioniertem Verhalten aus (vgl näher dazu mN Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten3 [2003] 47 ff).
Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem weiterführenden Erkenntnis vom 17. Dezember 2009, Zl. B 446/09 (= VfSlg 18974/2009) unter Hinweis auf Judikatur des EGMR klargestellt, dass auch Disziplinarvergehen, die abstrakt mit schweren Disziplinarstrafen bedroht sind, als strafbare Handlungen im Sinne des Verbots der Doppelbestrafung nach Art 4 des 7. ZPEMRK anzusehen sind. Zur Frage der Auslegung des Begriffs „derselben strafbaren Handlung“ knüpfte der Verfassungsgerichtshof an seine Vorjudikatur an (vgl insb VfSlg 14696/2006 und VfSlg 18833/2009), wonach eine weitere Strafverfolgung unzulässig sei, wenn ein bereits herangezogener Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft hat und damit ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt. In der Verfolgung von in den wesentlichen Aspekten verschiedenen Straftatbeständen liege aber keine Verletzung des Art 4 des 7. ZPEMRK, weshalb auch ein Nebeneinander von Strafrecht und Verwaltungsstrafrecht bzw Disziplinarstrafrecht mit der EMRK grundsätzlich vereinbar sei. Bei Vorliegen eines Sachverhalts, der sich überschneidende Tatbestandsvoraussetzungen verschiedener Normen erfüllt und damit mehr als nur eine Sanktion zur Folge haben kann, haben die Behörden sicherzustellen, dass es zu keiner Doppelbestrafung im Lichte des Art 4 des 7. ZPEMRK kommt.
Dem Erkenntnis VfSlg 18974/2009 lag eine standeswidrige - der Richtlinie „Arzt und Öffentlichkeit“ widersprechende – aufdringliche, marktschreierische Werbung für Botox-Behandlungen zugrunde, die sowohl als Disziplinarvergehen als auch als Verwaltungsübertretung nach § 53 Abs 1 ÄrzteG 1998 zu beurteilen und neben Verwaltungsstrafe auch mit einer Disziplinarstrafe belegt worden war. Im Grunde des Doppelbestrafungsverbotes betrachtete der Verfassungsgerichtshof nach rechtskräftiger Ahndung des standeswidrigen Werbeverhaltens mit Verwaltungsstrafe die nachträgliche Verhängung einer Disziplinarstrafe wegen desselben Verhaltens aus dem Grund der Verletzung der Standesehre nach den Disziplinarvorschriften für nicht mehr zulässig. Selbst bei eindeutig standeswidrigem Werbeverhalten, das typischer Weise eine standesrechtliche Reaktion erfordert, darf eine disziplinäre Verfolgung nicht mehr erfolgen, wenn dasselbe Verhalten verwaltungsstrafrechtlich bedroht ist (vgl § 53 Abs 1 iVm § 199 Abs 3 ÄrzteG 1998) und bereits im Vorfeld als Weitergabe von das Standesansehen beeinträchtigende Informationen geahndet wurde. In einem solchen Fall enthält der Verwaltungsstraftatbestand bereits ein Verbot zum Schutz des Standesansehens, das zusätzlich auch vom allgemeinen Disziplinartatbestand des § 136 Abs 1 Z 1 ÄrzteG 1998 erfasst wird. Deshalb entfällt von vornherein das eine Doppelbestrafung rechtfertigende Argument vom Schutz verschiedener Rechtsgüter, wonach im bisherigen Strafverfahren der spezifisch standesrechtliche Aspekt des ärztlichen Fehlverhaltens noch nicht berücksichtigt worden sei (dazu bspw VfSlg 18762/2009). Der Verfassungsgerichtshof hat daher im oben zitierten Erkenntnis VfSlg 18974/2009 konsequent im Sinne der „same-essential-elements“-Doktrin (dazu näher VfSlg 18833/2009) eine zusätzliche Bestrafung zum Schutz desselben Rechtsguts der Standesehre abgelehnt (unberechtigt die Kritik bei Wallner, Ärztliches Berufsrecht [2011], 286 FN 1331, wo dies übersehen wird).
IV.4.2. Bei der Handhabung des sog. disziplinären Überhangs geht es um die Beantwortung der Frage, ob das pflichtwidrige Verhalten eines Arztes im Besonderen auch das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft (§ 136 Abs 1 Z 1 Ärztegesetz 1998) beeinträchtigt hat und insoweit eine standesrechtliche Reaktion erfordert, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität der ärztlichen Berufsausübung zu wahren. Im Zusammenhang mit Berufspflichtverletzungen nach § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG 1998, die wegen desselben Sachverhalts auch allgemeine strafrechtliche Sanktionen zur Folge haben, wird im pflichtwidrigen Verhalten eines Arztes dann ein sog. disziplinärer Überhang enthalten sein, wenn das ärztliche Fehlverhalten nach Art und Ausmaß zusätzlich eine konkret begründete Beeinträchtigung des Standesansehens der in Österreich tätigen Ärzteschaft gemäß § 136 Abs 1 Z 1 leg.cit. erkennen lässt (vgl auch Wallner, Ärztliches Berufsrecht [2011], 285). In diesem Zusammenhang kann die pauschale Begründung, dass die Berufspflichtverletzung „auch dem Ansehen der Ärzteschaft allgemein als abträglich gewertet werden muss“ weder überzeugen noch genügen, zumal mit Hilfe einer solchen Leerformel die Verletzung von Berufspflichten in rechtsstaatlich bedenklicher Weise nach Bedarf und somit willkürlich auch unter den allgemeinen Disziplinartatbestand des § 136 Abs 1 Z 1 ÄrzteG 1998 subsumiert werden könnte (mit Recht kritisch Zahrl/HinterbA, Entwicklungstendenzen im ärztlichen Disziplinarrecht, RdM 2014/81, 80 ff, 82).
Eine begründete Beeinträchtigung des Standesansehens wird erst ab einer gewissen Schwere des Fehlverhaltens, mit dem eine ärztliche Berufspflicht verletzt wurde, angenommen werden können. Wie sich aus der oben angeführten höchstgerichtlichen Judikatur zum disziplinären Überhang ableiten lässt, geht es um besondere Fehlleistungen in Fallkonstellationen, deren Gewicht eine standesspezifische Distanzierung zur Wahrung des Vertrauens der Bevölkerung in die ärztliche Pflicht zur gewissenhaften Patientenbetreuung (§ 49 Abs 1 Ärztegesetz 1998) erforderlich erscheinen lässt (instruktiv VfSlg 18762/2009). Die mit der Rechtsfigur des sog. disziplinären Überhangs angesprochene Gefahr des Vertrauensverlustes in die Integrität der ärztlichen Berufsausübung ergibt sich entweder aus schwerwiegenden strafrechtlichen Verurteilungen (zB VfSlg 15543/1999: Betrug, Verleumdung und versuchte schwere Nötigung; VfSlg 17763/2006 Verbrechen der Untreue) oder aus Fahrlässigkeitsdelikten von erheblichem Gewicht, denen meist gravierende ärztliche Fehleinschätzungen und/oder auffallende Sorglosigkeit zugrunde liegen (vgl zB VfSlg 18762/2009: Missachtung einer Indikationskette von alarmierender Bedeutung; weiter VwGH 10.12.2014, Zl. Ro 2014/09/0056: Verurteilung nach § 81 Z 1 StGB wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen wegen einer mangels Gabe von Antibiotika nicht lege artis durchgeführten Behandlung eines Kindes mit schwerem Immundefekt und Belassung in häuslicher Pflege).
IV.5.1. Im vorliegenden Fall weist die Disziplinarkommission zunächst darauf hin, dass die Verletzung des § 49 Abs 1 ÄrzteG 1998 durch Unterlassung der Überprüfung des Röntgen und der dadurch indizierten Behandlung vom Disziplinaranwalt selbst im Einleitungsantrag (nur) als Berufspflichtverletzung nach § 136 Abs 1 Z 2 leg.cit. beurteilt wurde. Die darin gelegene fahrlässige Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 1. Fall StGB sei von der Staatsanwaltschaft diversionell erledigt und das Verfahren nach Zahlung einer Geldbuße nach § 200 Abs 5 StPO eingestellt worden. Aus dem Sachverhalt ergäben sich keine Anhaltspunkte, dass daneben noch der disziplinarrechtliche Tatbestand der Beeinträchtigung des Standesansehens § 136 Abs 1 Z 1 Ärztegesetz 1998 verwirklicht worden sei. Im Hinblick auf die Diversionsmaßnahme der Staatsanwaltschaft würde das Verbot der Doppelbestrafung des Art 4 Abs 1 7. ZPEMRK einer Disziplinarstrafe entgegenstehen, zumal dieses Verbot auch für zum Anklageverbrauch führende Verfahren gelte, in denen die Staatsanwaltschaft ein eingeleitetes Strafverfahren ohne Mitwirkung des Gerichts nach Entrichtung eines Geldbetrags einstellt (Hinweis auf OGH 17.06.2004, Zl. 12 Os 23/04).
Die Beschwerde des Disziplinaranwalts tritt dem im Wesentlichen mit dem Argument entgegen, dass in der bisherigen Rechtsprechung angenommen worden sei, dass diverse Berufspflichtverletzungen zusätzlich auch den Generaltatbestand des § 136 Abs 1 Z 1 ÄrzteG 1998 erfüllen können. Als Beispiel sei die Verletzung des Gebots der Gewissenhaftigkeit durch Unterlassung einer dringend notwendigen Spitalseinweisung (Hinweis auf Disziplinarsenat 17.1.1994, DS 7/1993, RdM 1994/2) zu nennen, wobei die gegenständliche Berufspflichtverletzung durchaus ähnlich gelagert sei. Der entstandene Vertrauensschaden sei durch das Privileg der Diversion noch nicht abgegolten.
IV.5.2. Der in der Beschwerde zitierte Fall einer Entscheidung des vormals als Berufungsbehörde zuständigen Disziplinarsenats beim Bundesministerium für Gesundheit (BMGSK 17.01.1994, Ds 7/93) wurde in der Zeitschrift „Recht der Medizin“ (Fundstelle RdM 1994/19) veröffentlicht. Die Annahme des Disziplinaranwalts, dass dieser Fall dem gegenständlichen durchaus ähnlich gelagert wäre, hält einer näheren Überprüfung nicht stand.
Im damaligen Disziplinarfall nahm der Disziplinarsenat einen Verstoß gegen das Gebot der Gewissenhaftigkeit und zusätzlich eine Beeinträchtigung des Standesansehens an, wobei es nach den Umständen des Falles um ein schwerwiegendes ärztliches Fehlverhalten ging, das auch nach Ansicht des erkennenden Richters eine standesrechtliche Missbilligung zum Schutz der Standesehre erforderte. Nach den Feststellungen der Berufungsbehörde behandelte ein Facharzt für Urologie in Fachüberschreitung (zuständig wäre ein Kinderarzt oder ein auf Nephrologie spezialisierter Internist gewesen) eine 20 Monate alte Patientin, die an einem kortikoidsensiblen nephrotischen Syndrom litt, nur homöopathisch und mit sog. Nosodentropfen energetisch, wodurch er dem Kind entgegen der anerkannten Schulmedizin eine Kortikoidtherapie vorenthielt. In weiterer Folge wies er das Kind trotz dramatischer Verschlechterung des Gesamtzustandes mit Ödembildung und höchster Lebensgefahr nicht sofort in ein geeignetes Krankenhaus ein, sondern hielt an seiner Methode der energetischen Medizin fest, versprach den Eltern ohne Untersuchung des Kindes eine baldige Besserung des Zustandes und empfahl bloß die Dosis an Nosodentropfen zu erhöhen.
In diesem außergewöhnlichen Fall hatte der Arzt eine unvertretbare Vorgangsweise entgegen der Schulmedizin gewählt und selbst nach eindeutiger Verschlechterung des Zustands des Kindes und trotz Lebensgefahr seine Haltung grob fahrlässig nicht revidiert und keine Einweisung ins Krankenhaus veranlasst. Dadurch wurde die Berufspflicht der Gewissenhaftigkeit in mehrfacher Hinsicht verletzt. Dieser Sachverhalt kann mit dem gegenständlichen Fall einer fehlerhaften Nachbehandlung bzw Betreuung einer erfolgreich operierten Patientin im Zusammenwirken zwischen Belegarzt und dem Personal des Belegspitals nicht verglichen werden. Dies aus folgenden Gründen:
Beim Belegarztsystem ist grundsätzlich von einer Aufgabenteilung auszugehen, bei der der Belegarzt die Behandlung des Patienten, im Regelfall die Operation samt Nachbehandlung, und das Belegspital die damit verbundenen krankenhausspezifischen Hilfs- und Zusatzdienste einschließlich der sog „Hotelkomponente“ schuldet (vgl dazu OGH 02.02.2005, Zl. 9 Ob 152/04z; 18.10.2005, Zl. 10 ObS 235/03m). Dabei ist es auch möglich, dass die Pflichtenkreise des Belegarztes und des Belegspitals einander überschneiden. Dies gilt auch für die Nachbehandlung des operierten Patienten, zu der dessen ständige Betreuung und Überwachung gehört und in deren Rahmen eine säuberliche Trennung zwischen den Pflichten des Belegarztes und jenen des Belegspitals nicht möglich ist (vgl mwN OGH 29.09.2009, Zl. 8 Ob 103/09v).
Auf Basis dieser zivilrechtlichen Judikatur des OGH zum Belegarztsystem ist zunächst der apodiktischen Auffassung des Betreibers des Diakonissen Krankenhauses entgegenzutreten, dass fachbezogene Befunde wie postoperatives Röntgen ausschließlich in das Aufgabengebiet des Facharztes fallen würden, der allein für die Überprüfung des Röntgen zuständig sei und sich darum kümmern müsste. Auch wenn es unbestritten Sache des behandelnden Belegarztes ist, diese fachlichen Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen, geht es doch bei der Nachbehandlung und Betreuung von Patienten auch um arbeitsteilige Prozesse, in denen der behandelnde Arzt auf die fachkundige Mitwirkung des Stationspersonals angewiesen ist. Diesem kommt die Aufgabe zu, den Belegarzt im Rahmen der Möglichkeiten zu unterstützen und die erforderlichen Hilfs- und Zusatzdienste zu leisten. Deshalb war auch das medizinisch geschulte Personal verpflichtet, den der Station übergebenen Röntgenbefund des Prim. Dr. M zur Kenntnis zu nehmen und dem behandelnden Arzt zukommen zu lassen bzw ihn wahrheitsgemäß darüber zu informieren.
Im vorliegenden Fall stand Dr. L der Röntgenbefund anlässlich der Visite vom 17. November 2012 nicht zur Verfügung, weshalb er nachfragte, ob es Auffälligkeiten beim Röntgen gab. Dies wurde verneint und Dr. L machte den Fehler, sich im Vertrauen auf die fachkundige Kooperation des Stationspersonals auf diese unzutreffende Auskunft zu verlassen. Er unterließ es pflichtwidrig, den schriftlichen Röntgenbefund, der in der Station aufliegen musste, zu verlangen und sich selbst ein Bild vom Ergebnis der Röntgenuntersuchung zu verschaffen.
Nach der Aktenlage und den getroffenen Feststellungen ist allerdings zugunsten des Belegarztes Dr. L davon auszugehen, dass sein andAndes Informationsdefizit nicht nur seiner eigenen Nachlässigkeit, sondern offensichtlich auch einem Mangel in den Abläufen auf der Station zuzuschreiben war. Denn die von Dr. L in Auftrag gegebene Röntgenuntersuchung war nicht nur elektronisch im System abrufbar, was im Übrigen als „elektronischer Posteingang“ in der Station schon hätte auffallen können. Der schriftliche Röntgenbefund wurde nach Aussage des Prim. Dr. M noch am 16. November 2012 der Station übergeben und hätte dort zugeordnet und einem Arzt zur Kenntnis gebracht werden müssen! Dies ist offenbar nicht geschehen, weil der Röntgenbefund weder vom behandelnden Facharzt Dr. L, noch von einem Stationsarzt abgezeichnet worden ist. Deshalb konnte sich die Stationsärztin Dr. A gar nicht erklären, wie er ohne eine ärztliche Abzeichnung in die Krankengeschichte kam. Schon die Kenntnisnahme des kurzen schriftlichen Befundes Dris. M hätte mit dem Hinweis auf eine schräge ossäre Aufhellung (Fissur) im Bereich der femoralen Komponente des Implantats eine Auffälligkeit erkennen lassen, die eine Überprüfung durch den behandelnden Facharzt erforderte. Diesen schlichten Handlungsbedarf hätte das medizinisch ausgebildete Personal (Diplomkrankenpflegepersonal oder Stationsarzt) des Belegspitals bei Beachtung des Röntgenbefundes erkennen und nach Überzeugung des erkennenden Richters zumindest durch einen Aufmerksamkeitshinweis dem behandelnden Arzt kommunizieren können, ohne dass dabei eine Vorwegnahme der dem Belegarzt vorbehaltenen fachlichen Beurteilung notwendig gewesen wäre. Gerade weil nur der behandelnde Facharzt Dr. L zuständig war, die fachlichen Konsequenzen aus dem Röntgenbefund zu ziehen, hätte ihm dieser vom zuständigen Stationspersonal nachweislich (gegen Abzeichnung!) zur Kenntnis gebracht werden müssen. Auf Grund der im Punkt III.3 dargelegten Umstände ist weiter anzunehmen, dass der Frau F betreffende Röntgenbefund auch nach der Visite vom 17. November 2012 dem behandelnden Facharzt Dr. L nicht zur Kenntnis gelangte. Da die Beschwerden der Patientin nach einer Hüftoperation nicht ungewöhnlich waren und ihre weitere Mobilisation bis zur Entlassung am 28. November 2012 ohne besondere Auffälligkeiten verlief, wurde die später als periprothetische Fraktur bezeichnete Verletzung der Patientin von ihm nicht erkannt und behandelt.
Abgesehen davon, dass die Berufspflichtverletzung im vorliegenden Fall weder qualitativ noch quantitativ auch nur annähernd ein Ausmaß wie im oben dargestellten Disziplinarfall RdM 1994/19 erreicht, ist auch die Dringlichkeit der unterlassenen Behandlung in keiner Weise vergleichbar, ging es doch seinerzeit um einen Notfall mit Spitalseinweisung in höchster Lebensgefahr nach dramatischer Verschlechterung des Gesamtzustands eines Kleinkindes, dessen akute Nierenerkrankung vom Arzt nicht lege artis, sondern mit weitgehend wirkungslosen Nosodentropfen „energetisch“ behandelt worden war.
Die Verletzung der Berufspflicht der gewissenhaften Patientenbetreuung durch Dr. L erreicht angesichts des festgestellten Sachverhalts nicht den Bereich einer schwerwiegenden Fahrlässigkeit. Seine Nachlässigkeit wird im Hinblick auf Kommunikationsfehler und die mangelhafte Unterstützung durch Personal der Station relativiert und erscheint daher nicht so erheblich. Wäre ihm der Befund wenigstens nach der Visite vom 17. November 2012 noch vorgelegt worden, hätte er voraussichtlich den Handlungsbedarf erkennen und seine Patientin noch richtig behandeln können. Das sorgfaltswidrige Fehlverhalten des Dr. L ist nach Art und Ausmaß nicht von einer Qualität, die eine Beeinträchtigung des Standesansehens der Ärzteschaft und damit einen disziplinären Überhang begründet erscheinen lässt.
Im Ergebnis teilt daher das Landesverwaltungsgericht für Oberösterreich die Ansicht der Disziplinarkommission für Oberösterreich und Salzburg, dass sich aus dem gegenständlichen Sachverhalt keine (ausreichenden) Anhaltspunkte für die zusätzliche Verwirklichung des Tatbestandes nach § 136 Abs 1 Z 1 ÄrzteG 1998 neben dem der Berufspflichtverletzung nach § 49 Abs 1 iVm 136 Abs 1 Z 2 leg.cit. ableiten lassen.
IV.6. Wegen der Verletzung der Berufspflicht zur gewissenhaften Patientenbetreuung iSd § 49 Abs 1 ÄrzteG 1998 wurde gegen Dr. L ein Strafverfahren nach der Strafprozessordnung wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 Fall 1 StGB geführt, das von der Staatsanwaltschaft Linz nach Bezahlung einer Geldbuße durch Rücktritt von der Verfolgung gemäß § 200 Abs 5 StPO diversionell erledigt worden ist. Nach einem solchen nicht bloß vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung des Beschuldigten ist gemäß § 205 Abs 1 Satz 1 StPO eine Fortsetzung des Strafverfahrens nur unter den besonderen Voraussetzungen der ordentlichen Wiederaufnahme (vgl dazu § 352 StPO) zulässig. Es handelt sich demnach um eine endgültige Erledigung des Strafverfahrens, die entsprechend dem Grundsatz „ne bis in idem“ Sperrwirkung entfaltet (vgl Schroll in WK2 StPO § 205 Rz 3).
Wie schon die Disziplinarbehörde zutreffend ausführte, steht einem Schuldspruch nach dem Disziplinartatbestand des § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG 1998 wegen der auf denselben Sachverhalt gestützten Berufspflichtverletzung des Dr. L, die bereits Gegenstand eines abgeschlossenen Strafverfahrens war, das Verbot der Doppelbestrafung des Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK entgegen. Dieses verfassungsrechtliche Verbot greift bei „reinen“ (ohne Beeinträchtigung des Standesansehens) Berufspflichtverletzungen, die bereits in einem Strafverfahren sanktioniert wurden (vgl Wallner, Ärztliches Berufsrecht [2011], 285 f).
Der Verfassungsgerichtshof hat im grundlegenden Erkenntnis vom 2. Juli 2009, Zl. B 559/08 (= VfSlg 18833/2009), das in Auseinandersetzung mit der EGMR-Entscheidung im Fall Zolothukin (EGMR 10.2.2009, 14939/03) zum Verbot des Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK ergangen ist, im Ergebnis auf die Prüfung abgestellt, ob der Beschwerdeführer für dasselbe - in den wesentlichen Elementen - strafbare Verhalten, für das er bereits rechtskräftig freigesprochen oder verurteilt wurde, neuerlich verfolgt oder bestraft wurde. Dabei nahm er unter Hinweis auf Materialien zur EMRK und die Judikatur des EGMR an, dass eine Entscheidung iSd Art 4 7. ZPzEMRK dann „rechtskräftig“ sei, wenn sie unwiderruflich ist. Dies ist im Wesentlichen der Fall, wenn keine Rechtsmittel (mehr) zur Verfügung stehen. Die gerichtliche Einstellung gemäß dem § 227 StPO nach Zurückziehung des Strafantrags der Staatsanwaltschaft wurde vom Verfassungsgerichtshof als ein solcher "Freispruch" iSd des Art 4 7. ZPzEMRK gewertet.
Da eine Fortsetzung des Strafverfahrens gegen Dr. L nur unter den Voraussetzungen der ordentlichen Wiederaufnahme zulässig wäre, liegt mit der Diversion durch Rücktritt von der Verfolgung nach Bezahlung einer Geldbuße so eine „rechtskräftige“ Entscheidung iSd Art 4 des 7. ZPEMRK vor. Das staatsanwaltschaftliche Diversionsverfahren gemäß §§ 198 ff StPO setzte für den Rücktritt von der Verfolgung voraus, dass die Schuld des Beschuldigten nicht als schwer anzusehen wäre (§ 198 Abs 2 Z 2 StPO) und dass der Beschuldigte eine vom Staatsanwalt vorgeschlagene Geldbuße leistet. Daraus folgt, dass der Diversionsmaßnahme die Annahme der grundsätzlichen Strafbarkeit des Verhaltens des Beschuldigten zugrunde liegt, der dies zumindest stillschweigend anerkennt. Der bezahlten Geldbuße kommt Sanktionscharakter zu. Sie entspricht inhaltlich einer Auflage und damit einer strafgerichtlichen Maßnahme, die dazu beiträgt, Sanktionszwecke zu verstärken oder zu ersetzen (vgl mwN Schroll in WK2 StPO § 200 Rz 1 und denselben in WK2 StGB § 50 Rz 5).
Ein solcher Fall der Beendigung des Strafverfahrens durch eine staatsanwaltschaftliche Diversionsmaßnahme mit Sanktionscharakter gilt auch als „rechtskräftige Aburteilung“ iSd europäischen Doppelbestrafungsverbotes nach dem Art 54 SDÜ (vgl dazu OGH 17.06.2004, Zl. 12 Os 23/04 und RIS-Justiz RS0119098 und RS0117954).
IV.7. Aus den dargelegten Gründen war die Beschwerde des Disziplinaranwalts als unbegründet abzuweisen und der Einstellungsbeschluss der Disziplinarbehörde mit der Maßgabe zu bestätigen, dass er als Beschluss auf Zurücklegung der Anzeige gemäß § 151 Abs 2 ÄrzteG 1998 zu gelten hat, weil kein Grund zur disziplinären Verfolgung des Dr. L besteht.
V. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat zur Relevanz des verfassungsrechtlichen Doppelbestrafungsverbots in Disziplinarsachen im Zusammenhang mit der allgemein anerkannten Figur des sog. disziplinären Überhangs die jüngste Judikatur des Verfassungsgerichtshofs, dem das Monopol in Fragen der Verfassungsauslegung zukommt, berücksichtigt. Dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs zu einem vergleichbaren Sachverhalt noch nicht vorliegt, bedeutet noch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Der Verwaltungsgerichtshof wäre sonst häufig zur Entscheidung berufen, obwohl die Rechtslage geklärt ist und es - wie im gegenständlichen Fall – im Wesentlichen um Wertungsfragen geht, die die Einzelfallgerechtigkeit berühren. (vgl VwGH 23.9.2014, Ro 2014/01/0033). Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung von Rechtsfragen vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen – von Ausnahmen (vgl § 24 Abs 2 VwGG und § 24 Abs 2 VfGG) abgesehen - durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240 Euro zu entrichten.
Landesverwaltungsgericht Oberösterreich
Dr. W e i ß
LVwG-050047/2/WEI vom 31. Juli 2015
Erkenntnis
Art 4 Abs 1 7. ZPEMRK
§ 136 Abs 1 Z 1 und Z 2 ÄrzteG
§ 49 Abs 1 ÄrzteG
§§ 200 Abs 5, 205 Abs 1 StPO
In der disziplinarrechtlichen Judikatur der Höchstgerichte wird mit der Rechtsfigur des sog. „disziplinären Überhangs“ zum Ausdruck gebracht, dass ein meist gerichtlich strafbares Verhalten auch noch im legitimen Interesse einer Standesgemeinschaft eine disziplinarrechtliche Reaktion zum Schutz des Standesansehens erfordert, was im Hinblick auf den spezifisch standesrechtliche Aspekt im Disziplinarverfahren mit dem Verbot der Doppelbestrafung vereinbar sei.
Der VfGH hat in seinem weiterführenden Erkenntnis VfSlg 18974/2009 unter Hinweis auf Judikatur des EGMR klargestellt, dass auch Disziplinarvergehen, die abstrakt mit schweren Disziplinarstrafen bedroht sind, strafbare Handlungen sind, die dem Verbot der Doppelbestrafung nach Art 4 Abs 1 7. ZPEMRK unterliegen, soweit der bereits herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft hat und damit ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt. Zur Frage der Auslegung des Begriffs „derselben strafbaren Handlung“ knüpfte der VfGH an seine Vorjudikatur an (vgl insb VfSlg 14696/2006 und VfSlg 18833/2009). Danach liege in der Verfolgung von in den wesentlichen Aspekten verschiedenen Straftatbeständen keine Verletzung des Art 4 des 7. ZPEMRK, weshalb auch ein Nebeneinander von Strafrecht und Verwaltungsstrafrecht bzw Disziplinarstrafrecht mit der EMRK grundsätzlich vereinbar sei.
Im Zusammenhang mit Berufspflichtverletzungen nach § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG, die wegen desselben Sachverhalts auch allgemeine strafrechtliche Sanktionen zur Folge haben, wird im pflichtwidrigen Verhalten eines Arztes dann ein sog. disziplinärer Überhang enthalten sein, wenn das ärztliche Fehlverhalten nach Art und Ausmaß zusätzlich eine konkret begründbare Beeinträchtigung des Standesansehens der in Österreich tätigen Ärzteschaft gemäß § 136 Abs 1 Z 1 leg.cit. erkennen lässt. In der Judikatur ergibt sich der disziplinäre Überhang häufig aus schwerwiegenden strafrechtlichen Verurteilungen (Vorsatzdelikte) oder aus Fahrlässigkeitsdelikten von erheblichem Gewicht, in denen es um besondere ärztliche Fehlleistungen mit meist gravierenden Fehleinschätzungen und/oder auffallende Sorglosigkeit geht.
Beim Belegarztsystem ist grundsätzlich von einer Aufgabenteilung auszugehen, bei der der Belegarzt die Behandlung des Patienten, im Regelfall die Operation samt Nachbehandlung, und das Belegspital die damit verbundenen krankenhausspezifischen Hilfs- und Zusatzdienste einschließlich der sog „Hotelkomponente“ schuldet. Die Pflichtenkreise können sich dabei auch überschneiden. Auch bei der Nachbehandlung und Betreuung von Patienten geht es um arbeitsteilige Prozesse, in denen der behandelnde Arzt auf die fachkundige Mitwirkung des Stationspersonals angewiesen ist.
Ein nach angeforderter Röntgenuntersuchung der zuständigen Station im Belegspital zugegangener Röntgenbefund in Papierform ist dort einer Krankengeschichte zuzuordnen und dem behandelnden Arzt nachweislich zur Kenntnis zu bringen, der allein die fachlichen Konsequenzen aus der Röntgenuntersuchung zu ziehen hat. Auch das medizinisch geschulte Personal (Diplomkrankenpflegepersonal oder Stationsarzt) kann idR aus einem Befund des Radiologen Auffälligkeiten erkennen und diesen schlichten Umstand dem behandelnden Belegarzt kommunizieren, ohne eine diesem vorbehaltene fachliche Beurteilung vornehmen zu müssen. Der behandelnde Arzt darf sich aber auf die (falsche) Auskunft, dass keine Auffälligkeiten vorliegen, nicht verlassen, sondern hat sich grundsätzlich selbst ein Bild vom Ergebnis der Röntgenuntersuchung zu verschaffen. Seine diesbezügliche Unterlassung verletzt die ärztliche Pflicht zur gewissenhaften Patientenbetreuung nach dem § 49 Abs 1 ÄrzteG, wird aber im Hinblick auf mangelhafte Unterstützung und wesentliche Kommunikationsfehler (Röntgenbefund wurde ihm nie vorgelegt) durch das Personal der Station des Belegspitals so weit relativiert, dass keine schwerwiegende Sorgfaltswidrigkeit mit einem disziplinärer Überhang angenommen werden kann.
Durch den vorbehaltlosen Rücktritt des Staatsanwalts von der Verfolgung gemäß § 200 Abs 5 StPO nach Bezahlung einer Geldbuße wird ein eingeleitetes Strafverfahren wegen § 88 Abs 1 und 4 1. Fall StGB endgültig und mit Sperrwirkung erledigt, weil gemäß dem § 205 Abs 1 StPO eine Fortsetzung des Strafverfahrens nur unter den Voraussetzungen der ordentlichen Wiederaufnahme zulässig ist. Dieser Diversionsmaßnahme kommt Sanktionscharakter zu und sie steht als „rechtskräftige“ Entscheidung iSd Verbots der Doppelbestrafung nach Art 4 Abs 1 7. ZPEMRK einem Schuldspruch wegen des alleinigen Disziplinartatbestands der Berufspflichtverletzung nach § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG entgegen.
RIS = JA
Beschlagwortung:
Disziplinärer Überhang; ne bis in idem (Doppelbestrafungs- und –verfolgungsverbot); Belegarzt – Stationspersonal – Aufgabenteilung; Kommunikationsfehler; Diversion als rechtskräftige Verfahrenserledigung