LVwG-750279/2/BP/BD

Linz, 29.06.2015

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter
Mag. Dr. Bernhard Pree über die Beschwerde des L. K.,
geb. x, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. B. W., x, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schärding vom 19. Mai 2015, GZ: Pol18-14674, mit dem ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltskarte wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde,

 

zu Recht   e r k a n n t :

 

I.         Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG iVm. § 68 AVG wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

 

II.       Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

 

 


 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.

 

1. Mit Bescheid vom 19. Mai 2015, GZ: Pol18-14674, wies die Bezirkshauptmannschaft Schärding (im Folgenden: belangte Behörde) den quotenfreien Erstantrag des Beschwerdeführers (im Folgenden: Bf) auf Erteilung einer Aufenthaltskarte gem. § 54 und § 30 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, (im Folgenden: NAG) zurück.

 

Begründend führt die belangte Behörde zunächst Folgendes aus:

 

Ihr Ansuchen vom 26.11.2013 um Erteilung einer Aufenthaltskarte wurde mit Bescheid der BH Ried im Innkreis vom 28.03.2014 gem. § 54 und § 30 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zurückgewiesen. Diese Entscheidung ist mit 30.04.2014 in Rechtskraft erwachsen. In der Folge haben sie den Wohnsitz von N., x nach R., x verlegt. Mit 13.01.2015 haben sie dann neuerlich einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltskarte gestellt.

 

(...)

 

Die Behörde hat erwogen:

Da sich in ihrem Ansuchen das Begehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt, sich nur der Wohnsitz geändert hat, war spruchgemäß zu entscheiden.

 

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Beschwerde des Rechtsvertreters des Bf vom 16. Juni 2015, worin ua. zunächst zum Sachverhalt ausgeführt wird:

 

Der Beschwerdeführer stellte bereits am 26.11.2013 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltskarte. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis vom 28.3.2014 wurde dieser Antrag zurückgewiesen und festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes falle. In der Bescheidbegründung heißt es: „Es ist zwar erkennbar, dass Frau S. als langjährige Freundin ihres Bruders B. K., Ihnen ein Aufenthalts- und Arbeitsrecht vergönnen würde, aber sie mit ihnen, aufgrund der Beziehung zu Ihrem Bruder, kein gemeinsames Familienleben im Sinne vom § 30 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) führt und auch keines führen will." Dieser Bescheid erwuchs am 29.4.2014 in Rechtskraft, nachdem er am 1.4.2014 zugestellt worden war.

In der Folge verlegte der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Gattin den Wohnsitz von N., x nach R., x. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.12.2014 wurde seine Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. des Bescheides des Bundesamtes vom 24.10.2014 als unbegründet abgewiesen. In der Begründung heißt es unter anderem, dass der Beschwerdeführer und seine Gattin auch weiterhin die Möglichkeit hätten, ihre Beziehung in Form von Besuchen, Internetverbindungen oder Telefonaten sowie des anfälligen Nachzuges der Frau in den K., aufrecht zu erhalten. Die Familie wäre bis dato auch kinderlos geblieben, sodass sich auch dadurch keine weiteren Hindernisse für allfällige Treffen ergeben würden. Nach Zustellung dieser Entscheidung stellte der Beschwerdeführer am 13.1.2015 einen weiteren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltskarte, zumal sich der Sachverhalt seit April 2014 maßgeblich verändert hatte.

Etwa vier Monate später, nämlich am 4.5.42015 besuchte der Beschwerdeführer gemeinsam mit Freunden ein Fitnessstudio in der Nähe von R., als die Polizei zu seiner Ehegattin mit der Mitteilung kam, es wäre ein Brief gekommen. Nach der Rückkehr aus dem Fitnessstudio fuhren die Ehegatten gemeinsam zur Polizeiinspektion Riedau, wo der Beschwerdeführer festgenommen und nach S. verbracht wurde. Von S. wurde er nach L. transportiert, von dort nach W., von W. mit dem Bus nach B. und dort wurde er am Luftweg nach P. ausgeflogen. Dort wartet er auf seine Rückkehr nach Österreich. Etwa 14 Tage später wurde der bekämpfte Bescheid erlassen, der einige orthographische Fehler aufweist. Jene Person, die den Bescheid am PC geschrieben hat, war nicht in der Lage, die dritte Person Plural von der Höflichkeitsform zu unterscheiden. Auch die Verwendung des Kommas erfolgt fehlerhaft (wenn weder in der Rechtslage, noch in den... eine Änderung eingetreten ist).

Ein Ermittlungsverfahren hatte zwischen 13. Jänner und 19. Mai nicht stattgefunden, auch das Parteiengehör wurde nicht gewahrt.

 

(...)

 

Während der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis vom 28.3.2014 noch acht Seiten aufweist, wovon der Großteil, nämlich rund sechs Seiten Begründung sind, beschränkt sich der bekämpfte Bescheid auf knapp eine Seite, weil die zweite Seite durch die Rechtsmittelbelehrung ausgefüllt wird. Die wesentlichen Erwägungen der Erstbehörde beschränken sich auf einen Satz.

Zwischen der rechtskräftigen Entscheidung der BH Ried vom 30.4.2014 und der nunmehrigen Entscheidung nach § 68 AVG liegen mehr als ein Jahr. In dieser Zeit hat sich mehr als bloß der Wohnsitz geändert. Die bloße Verlegung des Wohnsitzes mag für sich tatsächlich nicht ausreichend sein, um einen geänderten Sachverhalt herbeizuführen. Auszugehen ist bei der Prüfung, ob sich der Sachverhalt maßgeblich geändert hat, vom rechtskräftigen Vorbescheid, ohne dabei dessen sachliche Richtigkeit (nochmals) zu ergründen. Die Rechtskraftwirkung besteht darin, dass die von der Behörde entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf. Nur ein zeitlich, örtlich oder sachlich differentes Geschehen kann als anderer Sachverhalt angesehen werden. Beispielweise geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, das ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung von der Behörde nur für den Entscheidungszeitpunkt abgewiesen wird und dies einem späteren neuen Antrag nicht entgegensteht (Hengstschläger/Leeb, AVG § 68 Randziffer 25).

Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung, ob der neuerliche Antrag zulässig oder wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen ist, mit der Glaubwürdigkeit des neuen Vorbringens betreffend die Änderung des Sachverhalts „beweiswürdigend" auseinanderzusetzen (Hengstschläger/Leeb , § 68 Randziffer 27).

Es wäre also Aufgabe der Erstbehörde gewesen, festzustellen, ob es nach dem 28.3.2014 zu einem gemeinsamen Familienleben des Beschwerdeführers mit N. kam. Nach § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahren, nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Nur Tatsachen, die bei der Behörde offenkundig sind, und solche, für deren Vorhandensein das Gesetzt eine Vermutung aufstellt, bedürfen keines Beweises. Im Übrigen ist der Partei Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.

Die Behörde ist also verpflichtet, von Amtswegen ein Beweisverfahren durchzuführen. Dies hat sich die Bezirkshauptmannschaft Schärding offenbar erspart. Es gibt zwar eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in der Asylsache des Beschwerdeführers vom 16.12.2014. Doch auch diese Vorarbeit wurde als Entscheidungsgrundlage von der belangten Behörde nicht herangezogen. Hätte die Erstbehörde mitgeteilt, dass sie keine wesentliche Änderung des Sachverhaltes erkennt, hätte der Beschwerdeführer damit argumentiert, wie er sein Eheleben gestaltet und dass die Beziehung zwischen seiner Ehegattin und seinem Bruder in der früheren Form nicht mehr besteht, weil es erstens zu einer räumlichen Trennung gekommen ist und zweitens der Bruder in Untersuchungshaft bzw. auf der Flucht war. Im Übrigen wurde der Bruder von der Anklage des schweren Raubes vom Schöffengericht freigesprochen.

 

(...)

Es wird daher beantragt, das Landesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen und der Beschwerde insofern Folge geben, als nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens dem Antrag Folge gegeben wird; in eventu der bekämpfte Bescheid aufgehoben und zur Ermittlung des Sachverhaltes an die Erstbehörde zurückgewiesen wird.

 

3.1. Das Oö. Landesverwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den mit Schreiben vom 24. Juni 2015 von der Bezirkshauptmannschaft Schärding vorgelegten Verwaltungsakt. Aus dem Verwaltungsakt ließ sich der entscheidungsrelevante Sachverhalt widerspruchsfrei feststellen.

 

3.2. Von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 VwGVG abgesehen werden, zumal der relevante Sachverhalt geklärt und bereits aus der Aktenlage ersichtlich war, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war.

 

Gemäß § 2 VwGVG entscheidet das Verwaltungsgericht durch Einzelrichter, soweit die Bundes- oder Landesgesetze nicht die Entscheidung durch einen Senat vorsehen.

 

4. Das Oö. Landesverwaltungsgericht geht von dem unter den Punkten I. 1. und I.2. dieses Erkenntnisses dargestellten entscheidungsrelevanten Sachverhalt aus.

 

 

II.

 

Der Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt.

 

 

III.

 

1.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B VG erkennen ab 1. Jänner 2014 die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

1.2. Gemäß § 68 Abs.1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, welche die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

2.1. Identität der Sache liegt dann vor, wenn weder in der Rechtslage, noch in den für die Beurteilung des Parteibegehrens maßgeblichen tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit den früheren deckt (VwGH vom 26.06.2012, 2009/11/0059).

Ansuchen, welche offenbar die Aufrollung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezwecken, sind auch dann wegen „res judicata" zurückzuweisen, wenn das Begehren nicht ausdrücklich dahingehend lautet.

2.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst der belangten Behörde zu folgen, dass der in Rede stehende Antrag wie auch der dahinter vermutete Sachverhalt sich in den wesentlichen Bereichen mit dem im April 2014 rechtskräftig zurückgewiesenen früheren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltskarte decken könnten. Weiters ist festzuhalten, dass ein bloßer Wohnsitzwechsel, von dem die Behörde auszugehen hatte, per se nicht eine res nova darzustellen in der Lage sein wird.

 

Allerdings ist hier auch zu bedenken, dass trotz des im Bescheid von 28. März 2014 festgestellten fehlenden Familienlebens bzw. der angenommenen Aufenthaltsehe, der Bf nachträglich den Wohnungswechsel mit seiner formal gesehenen Ehegattin mitvollzog. Dies könnte darauf hindeuten, dass eine sachverhaltsrelevante Änderung im tatsächlichen Verhältnis der beiden eingetreten ist. Diese Annahme wird auch durch den Umstand gestützt, dass bis zur neuerlichen Antragstellung rund 8 Monate vergangen waren.

 

In diesem Sinn wäre die belangte Behörde angehalten gewesen, zumindest Ermittlungen durchzuführen, inwieweit eine Sachverhaltsänderung eingetreten war.

 

Auch das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.12.2014 bietet keinen expliziten Anhaltspunkt dafür, von einem identen Sachverhalt auszugehen, da dieses Erkenntnis den Spruchpunkten III. und IV. des Bescheides des Bundesamtes vom 24.10.2014 nicht entgegentritt. In der Begründung heißt es unter anderem, dass der Beschwerdeführer und seine Gattin auch weiterhin die Möglichkeit hätten, ihre Beziehung in Form von Besuchen, Internetverbindungen oder Telefonaten sowie des allfälligen Nachzuges der Frau in den K., aufrecht zu erhalten.

 

Dass der Bf seit 19. Mai 2015 in sein Heimatland verbracht wurde, lässt per se wiederum nicht den Schluss zu, dass sich das Verhältnis der Ehegatten seit der Bescheiderlassung im März 2014 nicht geändert hätte.

 

2.3. Ohne jegliche Intention mit den obigen Feststellungen das materielle Ergebnis des zugrundeliegenden Antragsverfahrens zu präjudizieren, ist allein festzuhalten, dass im vorliegenden Fall nicht ohne weiteres von entschiedener Sache auszugehen war, sondern wohl eine Entscheidung in der Sache zu fällen gewesen wäre.

 

3. Es war daher im Ergebnis der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

 

 

IV. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

 

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

 

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

 

 

Bernhard Pree