LVwG-700100/2/SR
Linz, 02.07.2015
I M N A M E N D E R R E P U B L I K
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter
Mag. Christian Stierschneider über die Beschwerde des J. M. Z., geboren am x, vertreten durch Dr. P. F., Rechtsanwalt in T., Xstraße 3, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 30. April 2015, GZ: Sich96-418-2014/Gr, wegen einer Übertretung des Sicherheitspolizeigesetzes
zu Recht e r k a n n t :
I. Gemäß § 50 VwGVG iVm. § 82 Abs. 1 des Sicherheitspolizeigesetzes 1979 wird der Beschwerde stattgegeben, der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.
II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine Revision des Beschwerdeführers an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig; für die belangte Behörde und die revisionslegitimierte Formalpartei ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I.
1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 30. April 2015, GZ: Sich96-418-2014/Gr, wurde über den Beschwerdeführer (in der Folge: Bf) gemäß § 82 Abs. 1 SPG idgF. eine Geldstrafe in der Höhe von 300 Euro sowie im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 72 Stunden verhängt.
Die belangte Behörde führt dabei folgenden Tatvorwurf aus:
In ihrer Begründung hat die belangte Behörde auf das durchgeführte Ermittlungsverfahren hingewiesen und sich bei der Sachverhaltsfeststellung auf die Anzeige der PI Neuhofen vom 5. August 2014 und die Rechtfertigung vom
5. März 2015 bezogen.
2. Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, durch die rechtsfreundliche Vertretung des Bf rechtzeitig eingebrachte Beschwerde vom
2. Juni 2015, in welcher der Bf das angelastete Verhalten bestritten hat.
3. Mit Schreiben vom 24. Juni 2015 legte die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land den in Rede stehenden Verwaltungsakt dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zur Entscheidung vor.
4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich geht nach Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsstrafakt (Anzeige, Stellungnahme, Straferkenntnis) und der Beschwerde von folgendem relevanten Sachverhalt aus:
4.1. In der Anzeige der PI Neuhofen an der Krems vom 2. August 2014 haben die einschreitenden Beamten unter „gelieferte Lückentexte“ angeführt, dass der Bf die Beamten laut angeschrien, wild mit den Händen gestikuliert, die Beamten beschimpft und sich über sie lächerlich gemacht habe.
Der Begehungszeitpunkt wird mit 22.50 Uhr festgelegt und der Tatort u.a. mit „Xstraße-F.“ bezeichnet.
Die Angaben des Bf wurden wie folgt festgehalten:
Das interessiert mich nicht, ich befinde mich auf meinem Grund, da kann ich machen was ich will. Ihr könnts euch von meinem Grundstück schleichen. Eine Frau, die so dasteht, nehme ich sowieso nicht ernst, und du mit den verschränkten Armen, bist cool oder was, du mit den Handschuhen, wofür brauchst du die im Sommer bei 30 Grad, das sagt doch schon eh alles. Und du, machst du mit deinen Händen einen Eierschutz?
Unter der Überschrift „Information an die Behörde“ weist der Anzeiger daraufhin, dass die Übertretung im Rahmen einer Alkoholkontrolle festgestellt worden ist.
Weiter führt er aus:
Nachdem der Lenker an seiner Wohnadresse angetroffen werden konnte, wurde er zum Alkomattest aufgefordert. Laut schreiend und wild gestikulierend verweigerte er den Alkomattest und beschimpfte die Beamten. Trotz Abmahnung von Insp F. und RI K. verhielt er sich weiter aggressiv. Er wurde über die Anzeigeerstattung in Kenntnis gesetzt.
4.2. Gegen die Strafverfügung vom 21. August 2014 hat der rechtsfreundlich vertretene Bf innerhalb offener Frist Einspruch erhoben.
4.3. Sowohl im Spruch der Strafverfügung als auch in dem des Straferkenntnisses geht die belangte Behörde aktenwidrig von mehrmaligen Abmahnungen aus.
4.4. Aus dem Vorlageakt lässt sich die Behinderung einer Amtshandlung nicht ableiten.
II.
Unbestritten steht fest, dass sich der Bf zu Beginn der Amtshandlung (Atemluftkontrolle) aggressiv verhalten hat und abgemahnt worden ist.
Der Bf hat weder sein Verhalten noch die Abmahnung bestritten sondern ausschließlich seine Zurechnungsfähigkeit in Frage gestellt und diese mit seiner psychischen Erkrankung zu belegen versucht.
III.
1. Gemäß § 82 Abs.1 des Sicherheitspolizeigesetzes – SPG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 350 Euro zu bestrafen, wer sich trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber einem militärischen Organ im Wachdienst, während diese ihre gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen, aggressiv verhält und dadurch eine Amtshandlung behindert. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden.
2. Tatbildlich im Sinn des § 82 Abs. 1 SPG ist sohin ein aggressives Verhalten einer Person gegenüber Organen (wie hier) der öffentlichen Aufsicht, während diese eine Amtshandlung durchführen. Dieses Verhalten muss zudem trotz vorangegangener Abmahnung fortgesetzt werden und darüber hinaus die Durchführung der Amtshandlung behindern.
Unbestritten ist nun zunächst, dass es sich bei den einschreitenden Beamten um Organe der öffentlichen Aufsicht handelte. Weiters steht außer Zweifel, dass diese eine Verkehrskontrolle vorgenommen und den Bf zum Alkotest aufgefordert haben.
Zunächst stellt sich die Frage, ob sich der Bf aggressiv verhalten hat.
"Aggressiv" bedeutet so viel wie "angreifend" oder "angriffslustig". "Aggression" meint einen Überfall, einen Angriff oder feindseliges Verhalten. Unter aggressivem Verhalten ist ein sowohl in der Sprache als auch in der Bewegung der gebotenen Ruhe entbehrendes, mit ungewöhnlicher Heftigkeit verbundenes Verhalten anzusehen. Das Vertreten eines Rechtsstandpunktes, mag dies auch in entschiedener Weise geschehen, stellt eine angemessene Reaktion, nicht aber ein ungestümes Benehmen dar (vgl. Hauer/Keplinger, Kommentar zum Sicherheitspolizeigesetz3, A.5.1. f zu § 82).
Weiters ist unter einem aggressiven Verhalten ein solches zu verstehen, durch das die jedem Staatsbürger gegen das Einschreiten eines obrigkeitlichen Organs zuzubilligende Abwehr vermeintlichen Unrechts derart überschritten wird, dass diese Abwehr zufolge des Tones des Vorbringens, der zur Schau gestellten Gestik oder durch beides zusammen als "aggressives Verhalten" gewertet werden muss. Solches liegt etwa bei "Gebrauch lautstarker Worte verbunden mit heftiger Gestik gegenüber einem Polizeibeamten" vor.
So kann unter aggressivem Verhalten auch ein "sowohl in der Sprache als auch in der Bewegung der gebotenen Ruhe entbehrendes, mit ungewöhnlicher Heftigkeit verbundenes Verhalten" angesehen werden. In diesem Sinne reicht nach ständiger Rechtsprechung bereits allein das "Schreien mit einem Aufsichtsorgan" auch noch nach erfolgter Abmahnung zur Erfüllung des Tatbestandes aus (VwGH vom 20.12.1990, 90/10/0056; siehe auch Hauer/Keplinger, Kommentar zum Sicherheitspolizeigesetz3, Fn. 14 zu § 82 mit weiteren Verweisen). Da das Gesetz lediglich "aggressives Verhalten" verlangt, bedarf es keiner "besonderen" Aggressivität um den Tatbestand zu erfüllen.
Dabei ist der Inhalt der schreiend vorgebrachten Äußerungen prinzipiell gleichgültig. Tatbildlich ist sohin Schreien und/oder heftiges Gestikulieren beides Ausdruck der Aggressivität. Das Vertreten eines Rechtstandpunktes, mag dies auch in entschiedener Weise geschehen, stellt durchaus eine angemessene Reaktion dar und würde den zur Last gelegten Tatbestand nicht verwirklichen. Es sei denn, dies geschieht in aggressiver Weise, denn auch das Vorbringen eines Rechtsstandpunktes berechtigt nicht, durch schreiendes und gestikulierendes Verhalten gegenüber einem Amtsorgan, das gesetzliche Aufgaben wahrnimmt, die in § 82 SPG gesetzten Grenzen zu überschreiten. Die Strafbarkeit ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn sich ein Verhalten als Reaktion auf die Art des Einschreitens eines behördlichen Organs darstellt, selbst wenn ein Organ ungesetzliche Anordnungen, zu deren Erlassung das Organ nur abstrakt berechtigt ist, trifft.
Im vorliegenden Fall ist das Verhalten des Bf als aggressiv zu beurteilen.
Weiteres Tatbestandsmerkmal ist die Behinderung der Amtshandlung.
Abgesehen von der Wiedergabe des Normentextes in der Anzeige wurde auf die Behinderung der geführten Amtshandlung im Verfahren nicht einmal ansatzweise eingegangen. Die Beschreibung des Verhaltens des Bf im „Lückentext der Anzeige“ bezieht sich ausschließlich auf sein aggressives Verhalten. Wie oben umfassend unter der „Information an die Behörde“ dargestellt, hat der Bf lediglich bei der Verweigerung des Alkomattests ein aggressives Verhalten an den Tag gelegt. Dass der Bf danach die (weitere ?) Amtshandlung „unnötig in die Länge gezogen und behindert“ haben soll (siehe Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses) wird weder in der Anzeige noch in der Begründung des angefochtenen Bescheides erwähnt. Dafür, dass nur eine punktuelle Aggressivität ohne Behinderung einer Amtshandlung vorgelegen ist, spricht auch die angelastete Tatzeit („um 22.50 Uhr“). Weitergehende Sachverhaltsermittlungen, die auf eine allfällige Behinderung der Amtshandlung hinweisen, liegen nicht vor.
3. Nachdem aber als Konsequenz der obigen Ausführungen nicht vom Vorliegen der objektiven Tatseite ausgegangen werden kann, war der Beschwerde stattzugeben, der angefochtene Bescheid ersatzlos aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.
4.1. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem Beschwerdeführer nicht aufzuerlegen, wenn der Beschwerde auch nur teilweise Folge gegeben wird.
4.2. In diesem Sinn war dem Bf kein Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem LVwG aufzuerlegen.
IV. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision für die belangte Behörde und die revisionsberechtigte Formalpartei:
Die ordentliche Revision ist für die belangte Behörde und die revisionsberechtigte Formalpartei unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde ist eine Eingabegebühr von 240.- Euro zu entrichten.
Da für den vorliegenden Fall gemäß § 25a Abs. 4 VwGG eine Revision nur wegen Verletzung in subjektiven Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG) ausgeschlossen ist, steht der belangten Behörde / der revisionslegitimierten Formalpartei die außerordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof offen, die beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich einzubringen ist.
Landesverwaltungsgericht Oberösterreich
Mag. Stierschneider