LVwG-700095/2/ER
Linz, 16.06.2015
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seine Richterin Dr. Elisabeth Reitter über den Antrag des B S-W, K-Straße 19, L, auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers vom 26. Mai 2015, in einem Beschwerdeverfahren nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, den
B E S C H L U S S
gefasst:
I. Gemäß § 28 iVm § 40 VwGVG wird der Antrag als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I.1. Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land hat mit Straferkenntnis vom 6. Mai 2015, Pol96-69-2015, eine Geldstrafe von 1000 Euro, bei Uneinbringlichkeit eine Freiheitsstrafe von 168 Stunden, gemäß § 77 Abs 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG über den Antragsteller (im Folgenden: AS) wie folgt verhängt:
„STRAFERKENNTNIS
Sie haben im Zuge der Erstantragstellung auf Familienzusammenführung vom 13.08.2014 betreffend Ihres Sohnes M S eine Haftungserklärung vom 14.07.2014, eingelangt am 01.09.2014 bei der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land in 4600 Wels, Herrengasse 8, trotz laufenden Privatkonkurses, der sich auf über 40.000 Euro Schulden beläuft, eingereicht.
Sie sind auf Grund des Privatkonkurses nicht im Stande Ihrer Verpflichtung aus der Haftungserklärung nachzukommen, obwohl, wer eine Haftungserklärung oder Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 15 oder 18 NAG) abgibt, obwohl er weiß oder wissen müsste, dass seine Leistungsfähigkeit zum Tragen der in Betracht kommenden Kosten nicht ausreicht und er daher seiner Verpflichtung aus der Haftungserklärung oder Patenschaftserklärung nicht nachkommen kann oder nicht nachkommen wird können, eine Verwaltungsübertretung begeht und mit Geldstrafe von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen ist.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:
§ 77 Abs. 2 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl.Nr. 100/2005, in der geltenden Fassung
Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird/werden über Sie folgende Strafe/n verhängt:
Geldstrafe von EUR 1.000,
falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe gemäß § 16 Abs. 2 VStG 1991, BGBl.Nr. 52/1991 i.d.g.F. 168 Stunden
gemäß § 77 Abs. 1 Z. 2 NAG, BGBl. 100/2005 i.d.g.F.
Außerdem haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:
100,- Euro als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10 % der Strafe, mindestens jedoch 10 Euro
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher 1100,-- Euro.
(...)
Begründung:
Die Ihnen angelastete Verwaltungsübertretung gelangte der erkennenden Behörde auf Grund der von Ihnen am 14.07.2014 ausgestellten Haftungserklärung, verbunden mit der Tatsache, dass Sie bis dato keine ausreichenden Nachweise für die Erreichung der Tragfähigkeit der Haftungserklärung einreichten, zur Kenntnis.
Ihr Sohn M S, geb. x, stellte am 13.08.2014 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels Familienangehöriger. Nach Durchsicht der angeschlossenen Unterlagen (beabsichtigte Erwerbsabsicht und Erreichung der Volljährigkeit) war klar, dass es sich um einen Erstantrag auf Erteilung einer Rot-Weiß-Rot - Karte plus handelte und wurde dieser Antrag amtswegig geändert.
Der Erstantrag Ihres Sohnes stützte sich auf Grund der Beilage ‘Erklärung einer beabsichtigen Erwerbsabsicht’ auf das Assoziierungsabkommen EWG - Türkei, konkret mit der in Artikel 13 des Assoziationsratbeschlusses 1/80 (ARB) bzw. in Artikel 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls verankerten sogenannten Stillhalteklausel.
Die sogenannte Stillhalteklausel in Artikel 13 des ARB 1/80 verbietet somit allgemein die Einführung neuer innerstaatlicher Maßnahmen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit bzw. der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs durch türkische Staatsangehörige strengeren Voraussetzungen unterworfen werden, als sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des ARB im jeweiligen Mitgliedstaat galten. Da Österreich mit 01.01.1995 zur Europäischen Union beigetreten ist, musste nun die günstigere Bestimmung im Sinne der Stillhalteklausel angewendet werden, dies erfolgte nach den Normen des Fremdengesetzes 1997.
Gemäß § 47 Abs. 3 Fremdengesetz 1997 sind begünstigte Drittstaatsangehörige folgende Angehörige eines EWR-Bürgers:
1. Ehegatten;
2. Verwandte in absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus sofern ihnen Unterhalt gewährt wird;
3. Verwandte und Verwandte des Ehegatten in aufsteigender Linie, sofern Ihnen Unterhalt gewährt wird.
Ihr Sohn ist am x geboren und hat sein 21. Lebensjahr mit x.x.2014 vollendet. Seit x.x.2014 befindet sich Ihr Sohn im 22. Lebensjahr.
Dadurch war im NAG Verfahren die Unterhaltsgewährung sowie die finanzielle Abhängigkeit Ihres Sohnes an den Zusammenführenden (an Sie) nachzuweisen.
Sie gaben anlässlich einer am 28.10.2014 aufgenommenen Niederschrift an, dass Ihr Sohn in der Türkei selbsterhaltungsfähig ist und sich selbst seinen Lebensunterhalt finanzieren kann. Weiters gaben Sie am 28.10.2014 niederschriftlich an, dass Sie sich in einem Privatkonkurs befinden und sich Ihre Schulden auf 40.000 Euro belaufen.
Angemerkt sei, dass auch eine Antragsänderung Ihres Sohnes auf eine Niederlassungsbewilligung Angehöriger zu keinem positiven Ergebnis hätte führen können, da Ihr Sohn einerseits in der Türkei selbsterhaltungsfähig ist und andererseits Sie auf Grund Ihres Privatkonkurses nicht für Ihren Sohn hätten haften können.
Als Tatsache gilt, dass Sie sich zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Haftungserklärung, somit am 14.07.2014, in einem laufenden Privatkonkursverfahren befanden bzw. Sie sich in diesem noch immer befinden, und Sie zu diesem Zeitpunkt hätten wissen müssen, dass die abgeschlossene Haftungserklärung betreffend Ihres Sohnes M S, geb. x, nicht tragfähig sein konnte. Dadurch, dass Sie finanziell selbst nicht in der Lage sind, Ihre Schulden zu begleichen, und infolgedessen ohnehin Schwierigkeiten haben, Ihr finanzielles Leben in den Griff zu bekommen, hätten Sie eine Haftungserklärung nicht eingehen dürfen. Ein dementsprechender Hinweis war an der Haftungserklärung jedenfalls angebracht.
Mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land vom 12.03.2015 wurden Sie aufgefordert, sich zu der oben angeführten Verwaltungsübertretung zu rechtfertigen. Sie haben am 26.03.2015 bei der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land persönlich vorgesprochen und angegeben, dass Ihnen bei der Aushändigung der Haftungserklärung nicht gesagt wurde, ob Sie diese ausfüllen dürfen oder nicht. Keiner fragte Sie, ob Sie Schulden hätten oder nicht.
Im gegenständlichen Verfahren gelten als Beweise:
-) Haftungserklärung vom 14.07.2014
-) Niederschrift vom 28.10.2014 und vom 26.03.2015
-) alle anderen erwähnten eingereichten Unterlagen
Folgende Rechtsvorschriften sind für den gegenständlichen Sachverhalt von Bedeutung: (...)
Die Behörde hat erwogen:
Auf Grund der Haftungserklärung vom 14.07.2014 und ihren abgegeben Unterlagen über den Privatkonkurs sowie über Ihr zu geringes Einkommen besteht für die Behörde kein Zweifel, dass die Trägfähigkeit der Haftungserklärung zur Tatzeit mit 01.09.2014 nicht gegeben ist.
Bereits auf dem Formular der Haftungserklärung vom 14.07.2014 wird hingewiesen, dass wer eine Haftungserklärung abgibt, obwohl er weiß oder wissen müsste, dass seine Leistungsfähigkeit zum Tragen der in Betracht kommenden Kosten nicht ausreicht und er daher seiner Verpflichtung aus der Haftungserklärung nicht nachkommen kann oder nicht nachkommen wird können, eine Verwaltungsübertretung begeht und mit einer Geldstrafe von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen ist.
Sie sind österreichischer Staatsbürger. Die Behörde kann daher mit Recht davon ausgehen, dass Sie die Hinweise, welche am Formular der Haftungserklärung beschrieben bzw. angegeben sind, lesen und auch verstehen können. Das Eingehen einer Haftungserklärung liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen, und kann die Behörde dafür nicht zur Verantwortung herangezogen werden. Durch Ihren Privatkonkurs hätte Ihnen jedenfalls bewusst sein müssen, dass Sie, wenn Sie selbst nicht in der Lage sind, Ihre aufgenommenen Schulden zurückzuzahlen, für eine Dritte Person nicht auch noch haften können.
Sogar in den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage wurde zum § 77/2/2 NAG ausgeführt:
„Die Z. 2 wird sprachlich angepasst und soll damit klarstellen, dass, wer eine Haftungserklärung oder Patenschaftserklärung abgibt, obwohl er weiß oder wissen müsste, dass die Leistungsfähigkeit nicht ausreicht und er daher seiner Verpflichtung nicht nachkommen kann oder nicht nachkommen wird können, den Verwaltungsstraftatbestand erfüllt, unabhängig davon, ob die Verpflichtung zur Haftung eingetreten ist oder künftig eintreten wird.“
Sie hätten in Bezug auf Ihre gesamte Einkommenssituation sowie Ihrem Privatkonkurs jedenfalls keine Haftungserklärung abschließen dürfen, nur dann wären Sie dieser Verwaltungsübertretung entgangen.
Sie haben sich somit für die Ihnen vorgeworfene Verwaltungsübertretung zu verantworten. (...)“
I.2. Am 26. Mai 2015 langte beim Oö. Landesverwaltungsgericht ein Antrag des AS auf Beigebung eines Verteidigers ein. Der AS führte darin an, sich in Privatkonkurs zu befinden und Unterhaltspflichten gegenüber seiner Ehefrau, seiner Exfrau, zwei Kindern und einer weiteren Person zu haben.
I.3. Das Oö. Verwaltungsgericht nahm Einsicht in den Antrag des AS und das beigelegte Straferkenntnis. Nachdem sich daraus schon der entscheidungs-relevante Sachverhalt zweifelsfrei ergab, konnte auf die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung verzichtet werden.
I.4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich geht von dem unter den Punkten I.1. und I.2. dieses Beschlusses dargestellten Sachverhalt aus.
II.1. Gemäß § 40 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern ein Beschuldigter außerstande ist, ohne Beeinträchtigung des für ihn und Personen, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhalts die Kosten der Verteidigung zu tragen, auf Antrag des Beschuldigten zu beschließen, dass diesem ein Verteidiger beigegeben wird, dessen Kosten der Beschuldigte nicht zu tragen hat, soweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung erforderlich ist.
Gemäß § 40 Abs 4 VwGVG beginnt, wenn der Beschuldigte innerhalb der Beschwerdefrist die Beigebung eines Verteidigers beantragt, für ihn die Beschwerdefrist mit dem Zeitpunkt zu laufen, an dem der Beschluss über die Bestellung des Rechtsanwalts zum Verteidiger und der anzufechtende Bescheid diesem zugestellt sind. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag auf Beigebung eines Verteidigers abgewiesen, so beginnt die Beschwerdefrist mit der Zustellung des abweisenden Beschlusses an den Beschuldigten zu laufen.
III. Das Oö. Landesverwaltungsgericht hat erwogen:
III.1. Im vorliegenden Fall steht zunächst außer Frage, dass der AS den Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers innerhalb der Rechtsmittelfrist und somit rechtzeitig gestellt hat.
III.2. Im Verwaltungsstrafverfahren ist ein Verfahrenshilfeverteidiger unter der Voraussetzung zu bestellen, als der Beschwerdeführer aufgrund seiner finanziellen Situation nicht imstande ist, die Kosten der Verteidigung zu tragen, ohne den zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhalt für sich oder für jene Personen, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu beeinträchtigen.
Unabhängig von der Einkommenssituation ist eine Verfahrenshilfe jedoch nur dann zu genehmigen, wenn dies im Interesse der Verwaltungsrechtspflege und vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung erforderlich ist.
Im gegenständlichen Fall wird im Wesentlichen zu klären sein, ob der Antragsteller eine Haftungserklärung iSd § 2 Abs 1 Z 15 NAG abgegeben hat, obwohl er nicht in der Lage war, seiner Verpflichtung aus dieser Haftungserklärung nachzukommen.
Dabei handelt es sich um eine Sachverhaltsfrage, nicht aber um eine Rechtsfrage. Diesen zu klärenden Sachverhalt kann der AS in einem, sofern eine Beschwerde eingebracht wird, noch durchzuführenden Beschwerdeverfahren vor dem Oö. Landesverwaltungsgericht selbst schildern. In diesem Zusammenhang kann ein Verteidiger nur jenen Sachverhalt wiedergeben, den ihm vorher der AS geschildert hat.
Des Weiteren ist die Rechts- und Sachlage nicht besonders komplex und besteht zu den rechtlichen Fragen eine klare Rechtsprechung des VwGH.
Die in § 40 Abs 1 VwGVG angeführte Erforderlichkeit des Verteidigers für die zweckmäßige Verteidigung ist sohin nicht gegeben, da der AS jedenfalls in der Lage ist, im Beschwerdeverfahren (auch unter Bedachtnahme der Manuduktions-pflicht) seine Rechte zu wahren.
Eine Erhebung betreffend die Vermögens- und Einkommensverhältnisse erübrigte sich daher im Rahmen dieses Verfahrens.
Zuletzt ist auch nicht zu übersehen, dass im Beschwerdeverfahren vor dem Oö. Landesverwaltungsgericht kein Anwaltszwang besteht.
IV. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Antrag des AS auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers als unbegründet abzuweisen war.
Gemäß § 40 Abs 4 VwGG beginnt, wenn der Antrag auf Beigebung eines Verteidigers abgewiesen wird, die Beschwerdefrist mit der Zustellung des abweisenden Beschlusses an den Beschuldigten zu laufen.
Da bisher nur ein Antrag auf Verfahrenshilfe (ohne gleichzeitige Beschwerde) gestellt wurde, obliegt es nun dem Antragsteller, eine begründete Beschwerde innerhalb von vier Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses selbst einzubringen.
V. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diesen Beschluss besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte RechtSwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.
Landesverwaltungsgericht Oberösterreich
Dr. R e i t t e r