LVwG-300533/2/KL/PP

Linz, 15.01.2015

B E S C H L U S S

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seine Richterin Dr. Ilse Klempt über die Beschwerde des H. B., x, vertreten durch H N & P Rechtsanwälte GmbH, x, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshaupt­mannschaft Linz-Land vom 28. Oktober 2014, Ge96-143-2013/HW, wegen einer Übertretung nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz

 

 

b e s c h l o s s e n :

I.         Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben, das ange­fochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafver­fahren eingestellt.

 

 

II.      Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

 

 

III.   Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

 

 


 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom
28. Oktober 2014, Ge96-143-2013/HW, wurde über den Beschwerdeführer
(kurz Bf) eine Geldstrafe von 2.000 Euro, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 4 Tagen, wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß
§ 130 Abs. 1 Z 16 iVm § 35 Abs. 1 Z 5 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz – ASchG verhängt, weil er als bestellter verantwortlicher Beauftragter (sachlicher Zustän­digkeitsbereich: Einhaltung aller arbeitsrechtlichen und sicherheitsrelevanten Vorschriften; räumlicher Zuständigkeitsbereich: Produktions- und Verwaltungs­gebäude) der Arbeitgeberin K T GmbH, FN x, mit Dienstort in x, folgende Übertretung des Arbeitnehmerinnenschutzgesetzes zu verantworten hat:

 

Der Arbeitsinspektor Ing. Mag. Ch. A. hat bei Unfallerhebungen am 23.9.2013 und am 26.9.2013 festgestellt, dass

 

am 23.9.2013 in der Arbeitsstätte der K T GmbH in x,

 

der Arbeitnehmer A. K. (geb. x) an der Plattensäge „Platten­schneider" HOLZMA ELS 1503/79035, Type P90EL, Masch. Nr.80035, Bj.1980, mit Zuschnittarbeiten beschäftigt war, obwohl die Schutz- und Sicherheits­einrichtung (pneumatische Bumper-Leiste) zur Verhinderung von Quetsch­gefahren unter dem Druckbalken der Maschine, nicht bzw. nur so eingeschränkt funktionsfähig war, dass die Schutzfunktion nicht gewährleistet war.

 

Dadurch wurde § 35 Abs. 1 Ziffer 5 ASchG übertreten, wonach Arbeitsmittel nicht benutzt werden dürfen, wenn Beschädigungen festzustellen sind, die die Sicherheit beeinträchtigen können, oder die Schutz- und Sicherheitsein­richtungen nicht funktionsfähig sind.

 

2. Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde eingebracht und die Aufhebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens beantragt. Begründend wurde im Wesentlichen nach Darstellung des Sachverhaltes ausgeführt, dass mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2013 ein Antrag auf Aus­setzung des Verfahrens  gestellt worden sei, weil zu diesem Sachverhalt von der Staatsanwaltschaft Linz Ermittlungen durchgeführt worden seien. Nach Rücktritt der Staatsanwaltschaft Linz von der Verfolgung gemäß § 205 Abs. 5 StPO (diver­sionelle Erledigung) wäre das Strafverfahren aufgrund der diversionellen Erledigung einzustellen gewesen. Dies stelle einen Verstoß gegen das Doppel­bestrafungsverbot nach Art. 4 7. ZPMRK dar. Die belangte Behörde verkenne die Rechtslage. Bereits der Gesetzgeber habe in den Erläuterungen zur jüngsten Novelle des § 30 VStG ausgeführt, dass die Einstellung des (Straf-)Verfahrens wegen Rücktritts von der Verfolgung (Diversion) einer Verurteilung gleichzu­halten sei. Nur bei einer Verfahrenseinstellung oder einem freisprechen­den Urteil hätte die Behörde die Frage, ob eine gerichtlich strafbare Handlung vorliege, selbständig zu beurteilen (RV2009 BlgNR XXIV. GP 16 mit umfang­reichen Nachweisen). Auch der Verfassungsgerichtshof habe im Erkenntnis VfSlg. 15.293/1998 festgehalten, dass in Fällen, in denen eine Handlung gesetzt werde, die sowohl unter die Strafdrohung des § 130 Abs. 1 Z 16 als auch unter die des
§ 88 StGB fällt, in der Regel davon auszugehen sein werde, dass das Delikt der fahrlässigen Körperverletzung den Unrechts- und Schuldgehalt des Delikts des
§ 130 Abs. 1 Z 16 ASchG vollständig erschöpfe. Weder aus dem Wortlaut des
§ 130 ASchG noch aus dem Wortlaut der übrigen Bestimmungen des ASchG ergebe sich, dass bei der Ahndung der Delikte gemäß § 130 ASchG die Annahme einer Scheinkonkurrenz vom Gesetzgeber ausgeschlossen wäre. Auch die von der Behörde zitierte Judikatur weise an anderer Stelle hin, dass eine Diversions­entscheidung durch den Staatsanwalt oder das Gericht eine Feststellung der Schuld der Betroffenen inkludiere und daher einer Verurteilung gleichzuhalten sei (Thienel/Zeleny, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, § 30 An­merkung 7).

Im Übrigen wurde Unmöglichkeit der Einhaltung der Norm sowie mangelndes Verschulden vorgebracht.

Der Bf legte mit seiner Beschwerde eine Verständigung der Staatsanwaltschaft Linz vom 22. Mai 2014, 45 BAZ 1061/13g-14, vom Rücktritt von der Verfolgung nach Zahlung eines Geldbetrages vor, wonach mitgeteilt wurde, dass von der Verfolgung gemäß § 200 Abs. 5 StPO zurückgetreten wurde, weil die Vor­aussetzungen des § 198 StPO vorliegen und ein Geldbetrag zugunsten des Bundes geleistet wurde. Diese Verständigung betraf den Arbeitsunfall vom
23. September 2013.

 

3. Die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land als belangte Behörde hat die Beschwerde samt dem Bezug habenden Verwaltungsstrafakt dem Oö. Landes­verwaltungsgericht vorgelegt und die Abweisung beantragt.

 

4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Akteneinsichtnahme. Weil bereits aufgrund der Aktenlage fest steht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, entfällt eine mündliche Ver­handlung (§ 44 Abs. 2 VwGVG).

 

5. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat erwogen:

 

5.1. Gemäß § 22 Abs. 1 VStG ist, soweit die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen, eine Tat als Verwaltungsübertretung nur dann strafbar, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.

Gemäß § 30 Abs. 2 VStG hat die Behörde, wenn eine Tat von den Behörden nur zu ahnden ist, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit anderer Verwaltungsbehörden oder der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, und es zweifelhaft ist, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, das Strafverfahren aus­zusetzen, bis über diese Frage von der sonst in Betracht kommenden Verwal­tungsbehörde oder vom Gericht rechtskräftig entschieden ist.

Rechtskräftig entschieden ist die Sache nach einer Verurteilung, einem Frei­spruch, aber auch nach einer prozessualen (einstellenden) Entscheidung. Bin­dungswirkung entfaltet nach der Rechtsprechung allerdings nur das verurteilende Erkenntnis, in den anderen Fällen hat die Verwaltungsbehörde selbst zu beur­teilen, ob die Tat nach den anderen Vorschriften strafbar ist. Auch eine Diver­sionsentscheidung (durch den Staatsanwalt oder das Gericht) nach den §§ 198 ff StPO inkludiert eine Feststellung der Schuld des Betroffenen und ist daher einer Verurteilung gleichzuhalten (Thienel/Zeleny, Verwaltungsverfahren, Manz, An­merkung 7 zu § 30 VStG).

Gemäß Art. 4 7. ZPEMRK darf niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren des selben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden.

Auch in seiner jüngsten Judikatur hat der EGMR seine Rechtsprechung zur Auslegung des Art. 4 7. ZPEMRK bestätigt. Bei der Beurteilung der Identität der Tat kommt es nicht auf die rechtliche Qualifikation an, sondern auf die zugrunde liegenden Tatsachen. Dieselbe Tat liegt vor, wenn sich die Verurteilung auf identische oder im Wesentlichen übereinstimmende Fakten stützt. Rechtskräftig ist eine Verurteilung dann, wenn gegen die Entscheidung kein ordentliches Rechtsmittel mehr offen steht (EGMR Muslija, 14.01.2014, 32.042/11).

Auch in der letzten Entscheidung des EGMR im Fall Lucky Dev. vom
27. November 2014, 7356/10, wird zum Doppelverfolgungsverbot des Art. 4
7. ZPEMRK ausgeführt, dass Art. 4 nicht nur eine mehrfache Verurteilung wegen derselben Tat verbietet, sondern auch eine neuerliche Strafverfolgung nach einem Freispruch. Dass zwei Verfahren wegen derselben Tat gleichzeitig anhän­gig sind, verletzt den Art. 4 nicht, wohl aber der Umstand, dass nach dem Ab­schluss eines Verfahrens das zweite Verfahren weiter geführt wird.

Auch Lewisch in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG § 22 Rz 6… (Stand 1.7.2013, rdb.at) führt aus: „Ist ein Sachverhalt wegen Vorrangs des Kriminalstrafrechts verwaltungsrechtlich nicht strafbar, so ist ein diesbezügliches Verwaltungs­strafverfahren nicht zu eröffnen; ist es bereits eröffnet, so ist es in Hinblick auf die Unzuständigkeit der Verwaltungsbehörden zur Verfolgung einer solchen Tat einzustellen. Ist „zweifelhaft“, ob die verwaltungsstrafrechtliche Tat eine in die Zuständigkeit der Gerichte fallende strafbare Handlung bildet, hat die Verwal­tungsbehörde gem. § 30 Abs. 2 das Verwaltungsstrafverfahren bis zur rechts­kräftigen Entscheidung des Gerichts auszusetzen (vgl. § 30 Rz 6). Der rechts­kräftigen Gerichtsentscheidung ist die sonstige bestandskräftige Verfahrensein­stellung durch die StA (also etwa auch eine diversionelle Erledigung) gleich­zuhalten.“

 

Gemäß § 198 Abs. 1 StPO hat die Staatsanwaltschaft nach diesem Hauptstück vorzugehen und von Verfolgung einer Straftat zurückzutreten, wenn aufgrund hinreichend geklärten Sachverhalts feststeht, dass eine Einstellung des Ver­fahrens nach den §§ 190 bis 192 nicht in Betracht kommt, eine Bestrafung jedoch im Hinblick auf

1.  die Zahlung eines Geldbetrages (§ 200) oder .....

nicht geboten erscheint, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.

Gemäß § 200 Abs. 1 StPO kann unter den Voraussetzungen des § 198 die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Straftat zurücktreten, wenn der Beschuldigte einen Geldbetrag zugunsten des Bundes entrichtet.

Gemäß § 200 Abs. 5 StPO hat nach Leistung des Geldbetrages und allfälliger Schadensgutmachung die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung zurückzutreten, sofern das Verfahren nicht gemäß § 205 nachträglich fortzusetzen ist.

Im Grunde der Verständigung der Staatsanwaltschaft Linz vom 22. Mai 2014 über den Rücktritt von der Strafverfolgung gemäß § 200 Abs. 5 StPO nach Zahlung eines Geldbetrages ist von einem hinreichend geklärten Sachverhalt, der eine Einstellung eines Strafverfahrens nach §§ 190 bis 192 StPO nicht recht­fertigt, auszugehen ( §§ 198, 200 StPO). Ebenfalls ist von einem gewissen Schuldeingeständnis durch die Geldleistung auszugehen. Es kann daher die diversionelle Geldleistung und daraus resultierend der Rücktritt von der Straf­verfolgung durch die Staatsanwaltschaft als rechtskräftige Verurteilung ange­sehen werden. Es ist daher eine weitere Verfolgung und Bestrafung im Sinn der zitierten Judikatur des EGMR gemäß Art. 4 7. ZPEMRK und der §§ 22 und 30 VStG ausgeschlossen.

 

Gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fort­führung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder aus­schließen.

Es war daher spruchgemäß das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

 

6. Weil die Beschwerde Erfolg hatte, war gemäß § 52 Abs. 5 VwGVG kein Kostenbeitrag zum Verfahren vor dem Oö. Landesverwaltungsgericht festzu­setzen.

 

 

 

7. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des
Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Recht­sprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Recht­sprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungs­gerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Der Entscheidung kommt keine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (VwGH 24.4.2014, Ro2014/01/0014).

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungs­gerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungs­gerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landes­verwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechts­anwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240 Euro zu entrichten.

 

H i n w e i s

Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision sind unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzu­bringen.

 

H i n w e i s

Bitte erachten Sie den von der belangten Behörde mit der angefochtenen Entscheidung übermittelten Zahlschein als hinfällig.

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Dr. Ilse Klempt