LVwG-750177/2/MB/KHU LVwG-750178/2/MB/KHU LVwG-750179/3/MB/KHU

Linz, 01.09.2014

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Dr. Markus Brandstetter über die Beschwerden von Herrn x, geb. am x (Erst-Beschwerdeführer [Bf]), Frau x, geb. am x (Zweit-Bf) und dem mj. Kind x, geb. am x (Dritt-Bf) – vertreten durch x –, alle StA von Georgien, vertreten durch Herrn Ing. x, gegen die Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 31. März 2014, GZ Sich40-40024-2011, Sich40-40025 bis Sich40-40026-2011, mit denen im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich die quotenfreien Erstanträge auf Erteilung der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karten plus“ gem § 41a Abs 9 NAG 2005 abgewiesen wurden,

 

zu Recht   e r k a n n t :

I.         Gemäß § 28 Abs 1 und 2 VwGVG iVm § 41a Abs 9 NAG 2005 idF vor BGBl I 87/2012 wird den Beschwerden stattgegeben und den Beschwerdeführern werden die Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ für jeweils zwölf Monate erteilt.

 

II.       Im Übrigen werden die Beschwerden als unzulässig zurückgewiesen.

 

III.     Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.             1. Die Bf stellten am 5. September 2013 die Erstanträge auf Erteilung der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karten Plus“ gem § 41a Abs 9 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens.

 

2. Mit Bescheiden vom 31. März 2014, GZ Sich40-40024-2011, Sich40-40025 bis Sich40-40026-2011, wurden die Anträge aufgrund der Ermächtigung des Landeshauptmannes von Oberösterreich (LGBl 127/2005) von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck abgewiesen. Begründend wurde von der Behörde der Gang der bisherigen Verfahren dargestellt, der erhobene Sachverhalt festgehalten sowie rechtlich gewürdigt und auf die Stellungnahme der Bf eingegangen. So führte die Behörde in Bezug auf den Erst-Bf etwa aus:

 

„Faktum ist, dass Sie sich seit 10 Jahren durchgehend hier im Bundesgebiet der Republik Österreich aufhalten.

 

[...]

Seit der Erlassung des Erkenntnisses des Asylgerichtshofes sind zwei Jahre und 5 Monate vergangen. Nach dem Dargestellten kommt die hs. Niederlassungsbehörde zum Ergebnis, dass keine maßgebliche Sachverhaltsänderung in Ihrem Fall eingetreten ist, der notwendig wäre, um daraus einen Aufenthaltstitel ableiten zu können. Aus dem zitierten Erkenntnis des Asylgerichtshofes ist eindeutig ersichtlich, dass der Asylgerichtshof bereits Ihre entsprechenden Sprachkenntnisse, Ihre Vereinsmitgliedschaft, Ihre soziale Integration, Ihre Unbescholtenheit sowie Ihre berufliche Integration bei der Ausweisungsentscheidung berücksichtigt hat. Auch mit dem Umstand, dass Sie im Besitz einer Duldung gemäß § 46a FPG 2005 gewesen sind, ändert an diesem festgestellten Sachverhalt nichts, da die Duldungskarte gemäß § 46a FPG 2005 ausgestellt wird, wenn der Fremde nicht in sein Heimatland abgeschoben werden kann, da kein Heimreisezertifikat oder kein nationaler Reisepass vorliegt. Die Duldungskarte wird nicht wegen Änderungen des Sachverhaltes im Sinne des Art. 8 EMRK ausgestellt.

[...]

 

Nach Prüfung Ihres Sachverhaltes kommt die hs. Niederlassungsbehörde zum Ergebnis, dass kein maßgeblich geänderter Sachverhalt feststellbar ist Alle Ihre Integrationsschritte sind bereits im Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 24.10.2011, ZI D18 252.756-0/2008/14E, sowie im rechtskräftigen Zurückweisungsbescheid der hs. Niederlassungsbehörde vom 02.12.2011 entsprechend berücksichtigt und vom Asylgerichtshof auch entsprechend gewürdigt worden.

 

Aus den angeführten Gründen ist spruchgemäß entschieden worden.“

 

Auch in Bezug auf Zweit- und Dritt-Bf hielt die Behörde nach Würdigung des Sachverhalts u.a. fest:

 

„[...]
Nach sorgfältiger Prüfung des Sachverhaltes gelangt die hs. Niederlassungsbehörde zum Ergebnis, dass sowohl Ihr quotenfreier Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus" gemäß § 41a Abs. 9 NAG 2005 als auch der Ihres mj. Kindes abzuweisen ist, da kein maßgeblich geänderter Sachverhalt seit der Erlassung des Erkenntnisses des Asylgerichts­hofes vorliegt.

[...]“

 

3. Gegen diese Bescheide wurde vom Vertreter der Bf mit Schriftsatz vom
8. Mai 2014 Beschwerde erhoben. Darin wird die Rechtswidrigkeit der behördlichen Erledigung geltend gemacht und im Wesentlichen auf die Erfüllung der Erteilungskriterien der ggst. Aufenthaltstitel – insbes. durch Deutschkenntnisse auf Niveau B1, das Vorliegen von Einstellungszusagen, Unterstützungs­erklärungen der Bevölkerung, Integrationswillen, etc. – und die Dauer des bisherigen Verfahrens hingewiesen. Herausgestrichen wurde auch das  ferner, die Behörde habe nicht objektiv gehandelt.

Beantragt wurde, die rechtswidrigen Bescheide zu beheben und den Bf den Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ zu erteilen. Ferner wurde beantragt, zu bescheiden, dass eine Ausweisung auf Dauer unzulässig sei.

In eventu solle eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ nach dem neuen ASylG 2014 erteilt werden.

 

4. Die Beschwerde samt den bezughabenden Verwaltungsakten wurde von der BH Vöcklabruck mit Schreiben vom 14. Mai 2014, eingelangt am 19. Mai 2014, dem Oö. LVwG zur Entscheidung vorgelegt.

 

5. Mit Schreiben vom 16. Juni 2014, beim Oö. LVwG eingelangt am 17. Juni 2014, brachten die Bf durch ihren Vertreter eine „Beschwerde-Ergänzung“ zum ggst. Verfahren ein. Darin wurde auch ein Antrag auf Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gestellt und Beweismittel beigelegt.

 

6. Auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gem § 24 Abs 4 VwGVG verzichtet werden, da sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt aus den Feststellungen der belangten Behörde und dem Beschwerdevorbringen ergibt und eine weitere Klärung der Rechtssache durch eine mündliche Verhandlung nicht zu erwarten war.

 

 

II.            1. Das Oö. LVwG geht von folgendem entscheidungsrelevanten Sachverhalt aus:

 

Erst- und Zweit-Bf befinden sich in einer Lebensgemeinschaft und verfügen über einen gemeinsamen Wohnsitz in x. Die beiden sind seit Mai 2006 jeweils an derselben Adresse gemeldet und haben ein gemeinsames Kind (den Dritt-Bf).

 

Der Erst-Bf reiste am 16. März 2004 nach Österreich ein und hält sich damit über 10 Jahre im Inland auf. Er verfügt über Deutschkenntnisse auf Niveau B1, wobei er die Prüfung mit gutem Erfolg bestanden hat. Er verfügt über eine Einstellungszusage als Hilfsarbeiter für das Zimmerergewerbe. Darüber hinaus ist er Mitglied des Vereins x, x, wo er u.a. Anfänger betreut, und ist bei der x ehrenamtlich als x tätig. Des Weiteren hat er eine Ausbildung zum Hubstaplerfahrer besucht. Schließlich hat er gemeinnützige Tätigkeiten iSd GVG-B für die Marktgemeinde x erbracht. Die Zweit-Bf reiste am 23. Februar 2006 nach Österreich ein und hält sich somit rund 8 1/2 Jahre im Inland auf. Auch sie verfügt über Deutschkenntnisse auf Niveau B1, wobei auch sie die diesbezügliche Prüfung mit gutem Erfolg bestanden hat. Sie verfügt über eine Einstellungszusage als Arbeiterin in einem Gastgewerbebetrieb. Der Dritt-Bf wurde im x 2011 in Österreich geboren. Zahlreiche Unterstützungserklärungen und Empfehlungsschreiben für die Familie liegen vor.

 

2. Der festgestellte Sachverhalt ergab sich widerspruchsfrei aus dem Verfahrensakt.

 

 

III.           Gemäß § 81 Abs 26 NAG 2005 idgF sind alle mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Bundesminister für Inneres anhängigen Berufungsverfahren und Verfahren wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (§ 73 AVG) nach diesem Bundesgesetz ab 1. Jänner 2014 vom jeweils zuständigen Landesverwaltungsgericht nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I 87/2012 (in der Folge: NAG 2005 aF) zu Ende zu führen.

 

Gemäß § 43 Abs 3 NAG 2005 aF ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine „Niederlassungsbewilligung“ zu erteilen, wenn

  1. kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und
  2. dies gemäß § 11 Abs. 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

 

Gemäß § 41a Abs 9 NAG 2005 aF ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte Plus“ zu erteilen, wenn

1.   kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt,

2.   dies gemäß § 11 Abs. 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

3.   der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung
(§ 14a) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine Erwerbstätigkeit ausübt.

Ein Aufenthaltstitel kann gem § 11 Abs 3 NAG 2005 aF trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl Nr 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.   die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2.   das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.   die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.   der Grad der Integration;

5.   die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6.   die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.   Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.   die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9.   die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

 

IV.          Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat erwogen:

 

1. Die Bf haben sowohl eine (fristgerechte) Beschwerde als auch eine Beschwerde-Ergänzung erstattet, wobei letztere außerhalb der 4-wöchigen Beschwerdefrist abgegeben wurde.

 

a. Wiewohl im verwaltungsgerichtlichen Verfahren kein Neuerungsverbot herrscht und das Verwaltungsgericht anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Entscheidung vorzugehen hat, erfolgt gem § 27 VwGVG die Prüfung des angefochtenen Bescheides „auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4)“. Gem § 9 Abs 1 Z 3 VwGVG muss der Bf die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, vorbringen. Aus den genannten Bestimmungen ergibt sich eine Bindung des Verwaltungsgerichts an die vorgebrachten Beschwerdegründe.

 

Aufgrund der Fristbindung der Beschwerde können dabei nur jene Beschwerdegründe relevant sein, die innerhalb der 4-wöchigen Beschwerdefrist vorgebracht werden. Eine spätere Ergänzung der Beschwerde um weitere Gründe vermag den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichts daher nicht mehr zu erweitern, sodass die von den Bf eingebrachte Beschwerde-Ergänzung keine rechtlichen Wirkungen hat.

 

Im konkreten Fall hat das für die Bf in Bezug auf den Prüfungsumfang freilich keine weiteren Auswirkungen, war doch auch schon der ursprünglichen Beschwerde jedenfalls zu entnehmen, dass die Bf die Beurteilung der Behörde in Hinblick auf das Privat- und Familienleben nicht teilen. Damit haben sie den (zur Aufhebung der Bescheide führenden) Beschwerdegrund jedenfalls fristgerecht vorgebracht.

 

b. Gem § 24 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Der Bf hat gem § 24 Abs 3 VwGVG die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder dem Vorlageantrag zu beantragen. In den Bescheiden der belangten Behörde wurde explizit auf die Möglichkeit der Beantragung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung hingewiesen.

                                                           

Die Bf haben in ihrer ursprünglichen Beschwerde keinen derartigen Antrag eingebracht. Dies ist aufgrund des im bekämpften Bescheides enthaltenen Hinweises als konkludenter Verzicht auf eine solche zu werten (vgl etwa Fister/Fuchs/Sachs, § 24 VwGVG Anm 10 mwN).

 

Der erst außerhalb der 4-wöchigen Beschwerdefrist eingebrachte Antrag auf eine öffentliche mündliche Verhandlung hat daher keine rechtlichen Wirkungen. Selbst bei Wirksamkeit des Antrages auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wäre aber aufgrund des klaren Sachverhalts nicht davon auszugehen gewesen, dass damit eine weitere Klärung der Rechtssache herbeigeführt hätte werden können.

 

2. In rechtlicher Hinsicht ist zunächst festzuhalten, dass die Behörde in den Bescheidbegründungen offenbar davon auszugehen scheint, es sei keine maßgebliche Sachverhaltsänderung seit der Erlassung des asylgerichtlichen Erkenntnisses eingetreten. Diesfalls wäre aber mit einer Zurückweisung des Antrages gem § 44a Abs 1 NAG 2005 aF vorzugehen gewesen und nicht mit einer Abweisung.

 

Zwar könnte die Rechtsmittelinstanz den Bescheid der belangten Behörde grundsätzlich mit der Maßgabe bestätigen, dass der Antrag zurückgewiesen statt abgewiesen wird (vgl etwa nur VwGH 11.11.2013, Zl. 2013/22/0250); jedoch ist eine solche Zurückweisung nur dann zulässig, wenn eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art 8 EMRK als nicht einmal zumindest möglich anzusehen ist (vgl etwa VwGH 09.09.2013, Zl. 2013/22/0161 und VwGH 10.04.2014, Zl. 2011/22/0286 mwN).

 

Im konkreten Fall ist jedoch gerade nicht davon auszugehen, dass keinerlei maßgebliche Sachverhaltsänderung eingetreten ist: Dies ergibt sich für den Erst-Bf bereits daraus, dass er sich (auch schon im Zeitpunkt der Erlassung des ggst. Bescheides) über zehn Jahre in Österreich aufgehalten hat, was nach der stRsp des VwGH eine andere Beurteilung nach Art 8 EMRK geradezu indiziert (vgl zu einem solchen Fall etwa VwGH 09.09.2013, Zl. 2013/22/0161).

 

Im Übrigen sind mittlerweile über 2 Jahre und 9 Monate seit der Ausweisung der Bf durch den AsylGH vergangen und es liegen von Seiten des Erst- und der Zweit-Bf insbesondere vertiefte Sprachkenntnisse sowie neue Einstellungszusagen vor. Die Rsp des VwGH nimmt bei derartigen Konstellationen im Allgemeinen bloß bis zu einem Zeitraum von rund zwei Jahren an, dass Zurückweisungen zulässig wären (vgl etwa VwGH 29.05.2013, Zl. 2011/22/0102 zur Unzulässigkeit einer Antragszurückweisung nach rund 2 1/2 Jahren; vgl. hingegen zu einem Zeitraum von 2 Jahren: VwGH 10.04.2014, Zl. 2011/22/0286; VwGH 22.07.2011, Zl. 2011/22/0138).

 

3. Damit war eine inhaltliche Erledigung der ggst. Anträge vorzunehmen. In der Sache war dabei zu erwägen: Gem § 41a Abs 9 aF wird das Nichtvorliegen von Erteilungshindernissen gem § 11 Abs 1 Z 1, 2 und 4, die Erforderlichkeit der Erteilung des Aufenthaltstitels gem Art 8 EMRK sowie die Erfüllung der Integrationsvereinbarung (Modul 1) vorausgesetzt.

 

a. Zum Nichtvorliegen der Erteilungshindernisse gem § 11 Abs 1 Z 1, 2 oder 4 NAG 2005 aF:

 

Zwar wurden die Bf vom AsylGH in den Herkunftsstaat ausgewiesen, jedoch stellt eine solche Ausweisung (iSd § 11 Abs 1 Z 3) keinen relevanten Verweigerungsgrund für den ggst. Aufenthaltstitel dar. Hinweise auf Erteilungshindernisse bestehen ansonsten keine.

 

b. In Bezug auf das Privat- und Familienleben nach Art 8 EMRK:

 

Im konkreten Fall zeichnet sich das Gesamtbild von sehr gut in Österreich integrierten Antragstellern, die neben den bereits erfolgten Integrationsschritten eine weitere Integrationswilligkeit erwarten lassen.

 

In Bezug auf den Erst-Bf ist festzustellen, dass sich dieser bereits mehr als zehn Jahre in Österreich aufhält.

 

Die stRsp des VwGH sieht einen zehnjährigen inländischen Aufenthalt als derart gewichtig an, dass im Regelfall die Interessenabwägung zu Gunsten des Fremden ausschlägt und eine aufenthaltsbeende Maßnahme bzw. die Verweigerung eines Aufenthaltstitels einen unzulässigen Eingriff nach Art 8 EMRK darstellt. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genutzt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden ausnahmsweise Ausweisungen auch nach so einem langen Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl etwa VwGH 09.09.2013, Zl. 2013/22/0161 mwN).

 

Der Erst-Bf weist gute Sprachkenntnisse sowie ein Engagement in der Gemeinschaft auf, verfügt über soziale Kontakte und eine Einstellungszusage. Strafrechtlich ist er unbescholten. Der Bf hat daher die in Österreich verbrachte Zeit sehr gut und intensiv genutzt, sich zu integrieren. Ein Vorliegen von solchen Umständen, die eine ausnahmsweise Ausweisung stützten würde, ist aus Sicht des Oö. LVwG weder ersichtlich noch wurden sie im Bescheid der belangten Behörde dargelegt. Unter diesen Umständen stellt sich die Verweigerung des Aufenthaltstitels an den Erst-Bf aufgrund von Art 8 EMRK jedenfalls als unverhältnismäßig dar.

 

Damit ist zu prüfen, ob Zweit- und Dritt-Bf ein Aufenthaltstitel in Österreich aus Art 8 EMRK zu gewähren ist. Nicht außer Betracht bleiben kann dabei, dass die Bf gemeinsam in Österreich leben und eine Nichterteilung der Aufenthaltstitel mit einem erheblichen Eingriff in das Familienleben (Kernfamilie) verbunden wäre.

 

In Bezug auf die Zweit-Bf ist festzuhalten, dass sich diese bereits 8 1/2 Jahre in Österreich aufhält und gut Deutsch spricht. Ihre Deutschkenntnisse bewegen sich dabei deutlich über dem gesetzlichen geforderten Mindestniveau für die Erteilung des ggst. Aufenthaltstitels: so wären bloß Sprachkenntnisse auf Niveaustufe A2 nachzuweisen gewesen; die Bf hat diese Anforderung mit der mit gutem Erfolg bestandenen Prüfung auf Niveau B1 hingegen deutlich übererfüllt. Hinzu kommt, dass die Zweit-Bf – so wie auch der Erst-Bf – sehr gut in Österreich integriert ist, was nicht zuletzt die große Zahl von Unterstützungserklärungen und Empfehlungsschreiben beweist.

 

Die Bf verfügt außerdem über eine Einstellungszusage, zu der sie dem Oö. LVwG einen aufschiebend bedingten Dienstvertrag mit allen rechtlich relevanten Inhalten vorgelegt hat, sodass dahingestellt bleiben kann, ob auch die der belangten Behörde vorgelegten Unterlagen ausreichend gewesen wären (vgl etwa VwGH 15.12.2011, Zl. 2008/21/0002 mwN und VwGH 09.09.2010, Zl. 2008/22/0113 mwN, wonach nicht nur „arbeitsrechtliche Vorverträge“ gem § 936 ABGB relevant sein können). Die Zweit-Bf ist des Weiteren strafrechtlich unbescholten und wurde auch nie wegen Verstößen gegen das Fremdenrecht (verwaltungs-) strafrechtlich belangt.

 

Festgestellt werden kann zwar, dass die Bf über keine Aufenthaltstitel in Österreich verfügen und ihnen gegenüber Ausweisungsentscheidungen erlassen wurden, die von ihnen gefordert hätten, den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet herzustellen. Aufgrund der oben dargestellten Aspekte ist jedoch davon auszugehen, dass im konkreten Fall die persönlichen Interessen der Bf an einem Verbleib in Österreich das – ebenfalls sehr gewichtige – öffentliche Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften überwiegen. Die Verweigerung der beantragten Aufenthaltstitel erschiene daher im Lichte von Art 8 EMRK unverhältnismäßig.

 

Da die Trennung des unmündigen mj. Dritt-Bf von beiden Elternteilen nicht in Betracht kommt, war in Folge auch ihm der Aufenthaltstitel aufgrund von Art 8 EMRK zu erteilen.

 

c. Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung gem § 14a NAG 2005 aF:

 

Diese ist u.a. dann gegeben, wenn ein allgemein anerkannter Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse vorgelegt werden kann (§ 14a Abs 4 Z 2 NAG 2005 aF). Gem § 9 der Integrationsvereinbarungs-Verordnung liegen derartige Deutschkenntnisse dann vor, wenn der Fremde zumindest über Sprachkenntnisse auf A2-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen verfügt (§ 9 Abs 2 IV-V), wobei diese u.a. durch das „Österreichische Sprachdiplom Deutsch“ nachgewiesen werden können (§ 9 Abs 1 Z 1 IV-V).

 

Aufgrund der Erbringung entsprechender Nachweise der Sprachkenntnisse auf B1-Niveau haben sowohl die Erst-Bf als auch die Zweit-Bf das Modul 1 (in concreto sogar Modul 2) der Integrationsvereinbarung erfüllt.

 

Zum Dritt-Bf ist festzuhalten, dass unmündige Personen von der Erfüllungspflicht der Integrationsvereinbarung ausgenommen sind (§ 14a Abs 5 NAG 2005 aF). Da der Bf im Zeitpunkt der Antragstellung erst zwei bzw. heute drei Jahre alt ist, ist er als unmündiger Minderjähriger jedenfalls von der Verpflichtung befreit.

 

4. Was hingegen den Antrag betrifft, die dauernde Unzulässigkeit der Ausweisung festzustellen, ist bloß kursorisch darauf hinzuweisen, dass das ggst. Verfahren die Erteilung eines Aufenthaltstitels und keine Ausweisung zum Gegenstand hat und eine solche Feststellung im vorliegenden Verfahren rechtlich nicht vorgesehen ist.

 

 

V.           Da alle Voraussetzungen des § 41a Abs 9 NAG 2005 aF erfüllt sind, waren die angefochtenen Bescheide aufzuheben und den Bf die begehrten Aufenthaltstitel zu erteilen. Die Gültigkeitsdauer der Aufenthaltstitel von zwölf Monaten ergibt sich aus § 20 Abs 1 NAG 2005. Die belangte Behörde hat die hiermit erteilten Aufenthaltstitel in Form einer Karte gemäß § 1 NAG‑DV an die Bf im Inland auszufolgen. Bei Ausfolgung der Aufenthaltstitel sind die Bf gemäß § 19 Abs 7 letzter Satz NAG 2005 über die Vorschriften im Verfahren zur Verlängerung eines Aufenthaltstitels zu belehren. Die Bf werden darauf hingewiesen, dass Aufenthaltstitel gemäß § 19 Abs 7 NAG 2005 nur persönlich ausgefolgt werden dürfen.

 

Der Antrag auf Feststellung, dass die Ausweisung dauerhaft unzulässig ist, war hingegen als unzulässig zurückzuweisen.

 

 

VI.          Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Dr. Markus Brandstetter