LVwG-750053/2/MB/KHU
Linz, 01.09.2014
I M N A M E N D E R R E P U B L I K
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Dr. Markus Brandstetter über die Beschwerde von Frau x, vertreten durch x, x, x, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land vom
29. November 2012, GZ: Sich40-275-2007, mit dem der Verlängerungsantrag betreffend den Aufenthaltstitel „Niederlassungsbewilligung – Angehöriger“ abgewiesen wurde,
zu Recht e r k a n n t :
I. Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG iVm § 45 NAG 2005 idF vor BGBl I 87/2012 wird der Beschwerde stattgegeben und der Beschwerdeführerin der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EG“ verliehen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. 1. Mit Antrag vom 11. Jänner 2012 brachte die Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bf) den „Verlängerungsantrag“ betreffend eine „Niederlassungsbewilligung“ bzw. „Niederlassungsbewilligung für Angehörige von Österreichern/EU-Staatsbürgern/Schweizern“ ein. In ihrer Stellungnahme vom 9. November 2012 beantragte sie die Erteilung des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EG“.
2. Mit Bescheid vom 29. November 2012, GZ Sich40-275-2007, wurde dem Verlängerungsantrag betreffend dem Aufenthaltstitel „Niederlassungsbewilligung – Angehöriger“ aufgrund der Ermächtigung des Landeshauptmannes von Oberösterreich (LGBl 127/2005) von der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land nicht stattgegeben und der ggst. Antrag abgewiesen. Die Behörde begründete dies im Wesentlich mit dem Fehlen eines Zusammenführenden iSd § 47 Abs 1 NAG 2005, weil es sich hierbei bloß um Österreicher, EWR-Bürger oder Schweizer Bürger handeln könne. Der zusammenführende (österreichische) Sohn der Bf sei am 2. September 2012 verstorben; die Bf könne damit einen Zusammenführenden, der die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, derzeit nicht namhaft machen. Die vorliegende Haftungserklärung sei vielmehr von einem mazedonischen Staatsbürger unterzeichnet worden. Betreffend dem Titel „Daueraufenthalt – EG“ wurde angemerkt, dass für diesen Aufenthaltstitel neben anderen Erteilungsvoraussetzungen Deutschkenntnisse auf Niveau B1 nachzuweisen seien.
Im Ergebnis würden daher besondere Erteilungsvoraussetzungen, insbes. ein österreichischer Zusammenführender sowie dessen Haftungserklärung, fehlen, sodass dem Antrag nicht stattgegeben werden konnte.
3. Gegen diesen Bescheid erhob die Bf durch ihren bevollmächtigten Vertreter Berufung, in der sie beantragte, den Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EG“ gem § 45 NAG stattgegeben wird, in eventu dass dem Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung Angehöriger“ stattgegeben wird, in eventu dass der angefochtene Bescheid behoben und der Behörde die neuerliche Entscheidung aufgetragen wird.
Begründend wurde vorgebracht, dass die Bf seit 2007 über eine Niederlassungsbewilligung verfüge und der Amtsarzt festgestellt habe, dass ihr die Erfüllung der Integrationsvereinbarung aufgrund ihrer Erkrankungen und des hohen Alters nicht zumutbar sei. Die Behörde habe übersehen, dass damit gem § 14b Abs 3 NAG 2005 die Verpflichtung zum Nachweis von Deutschkenntnissen auf Niveau B1 entfiele. Auch im Hinblick auf die abgegebene Haftungserklärung ihres Sohnes, der die finanzielle Absicherung garantiere, sei somit der Titel „Daueraufenthalt EG“ zu erteilen.
Ansonsten seien aber jedenfalls das Alter sowie die Erkrankungen der Bf zu berücksichtigen, sodass der Aufenthaltstitel „Niederlassungsbewilligung Angehöriger“ zu erteilen sei. Die Bf verfüge im Herkunftsstaat über kein familiäres Netzwerk; in Hinblick auf das Privat- und Familienleben habe die Abweisung des Antrags nicht erfolgen dürfen.
4. Mit 1. Jänner 2014 trat die Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012 in Kraft. Berufungen gelten gem § 3 VwGbK-ÜG als rechtzeitig erhobene Beschwerden an das zuständige Verwaltungsgericht. Mit Schreiben vom 20. Jänner 2014, beim Oö. LVwG eingelangt am 23. Jänner 2014, legte das Bundesministerium für Inneres die ggst. Beschwerden sowie die zugrundeliegenden Verfahrensakten dem Oö. LVwG vor.
5. Auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gem § 24 Abs 4 VwGVG verzichtet werden, da sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt aus den Feststellungen der belangten Behörde sowie dem Beschwerdevorbringen ergibt und eine weitere Klärung der Rechtssache durch eine mündliche Verhandlung nicht zu erwarten war.
II. 1. Das Oö. LVwG geht von folgendem entscheidungsrelevanten Sachverhalt aus:
Die Bf bekam mit 8. Februar 2007 erstmals den Aufenthaltstitel „Niederlassungsbewilligung – Angehöriger“ ausgestellt, den sie in Folge viermal erfolgreich verlängerte. Sie wohnte ab März 2007 bei ihrem (mittlerweile verstorbenen) Sohn x und wohnt seit März 2011 bei ihrem Sohn x, StA von Mazedonien, in x.
Die Bf ist heute 79 Jahre alt, leidet gem. amtsärztlichen Gutachten vom
2. Oktober 2012 unter CVI, Zuckerkrankheit, Herzschwäche, Beinödemen, Depressionen, Schwindelanfällen und Hypertonie; aus der hausärztlichen Stellungnahme vom 7. April 2014 ergibt sich zusätzlich eine zunehmende allgemeine Schwäche und Gangunsicherheit, die dazu führt, dass eine Fortbewegung nur mehr mit einem fahrbaren Gehbock möglich ist.
Die Bf verfügt über keine Deutschkenntnisse und ist Analphabetin. Ihr Sohn x hat ausdrücklich erklärt, ihr gegenüber sorgepflichtig zu sein und hat eine Haftungserklärung für die Bf abgegeben.
2. Der festgestellte Sachverhalt ergab sich widerspruchsfrei aus dem Verfahrensakt.
III. Gemäß § 81 Abs 26 NAG 2005 idgF sind alle mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Bundesminister für Inneres anhängigen Berufungsverfahren und Verfahren wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (§ 73 AVG) nach diesem Bundesgesetz ab 1. Jänner 2014 vom jeweils zuständigen Landesverwaltungsgericht nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I 87/2012 (in der Folge: NAG 2005 aF) zu Ende zu führen.
Gemäß § 45 Abs 1 NAG 2005 aF kann Drittstaatsangehörigen, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen zur Niederlassung berechtigt waren, ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EG” erteilt werden, wenn sie
1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
2. das Modul 2 der Integrationsvereinbarung (§ 14b) erfüllt haben.
Gemäß § 14b Abs 1 NAG 2005 aF müssen Drittstaatsangehörige mit der Stellung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 45 oder 48 das Modul 2 der Integrationsvereinbarung erfüllt haben.
Gemäß § 14b Abs 3 NAG 2005 aF gilt Abs 1 leg cit nicht für Drittstaatsangehörige,
1. die zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig sind und noch nicht der allgemeinen Schulpflicht unterliegen;
2. denen auf Grund ihres physisch oder psychisch dauerhaft schlechten Gesundheitszustandes die Erfüllung nicht zugemutet werden kann; der Drittstaatsangehörige hat dies durch ein amtsärztliches Gutachten nachzuweisen.
Gemäß § 11 Abs 1 NAG 2005 aF dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nicht erteilt werden, wenn
1. gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG erlassen wurde oder ein aufrechtes Rückkehrverbot gemäß § 54 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 63 oder 67 FPG besteht;
2. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;
3. gegen ihn eine durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;
4. eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs 1 oder 2) vorliegt;
5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs 6 vorliegt oder
6. er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.
Gemäß § 11 Abs 2 NAG 2005 aF dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn
1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;
2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;
3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;
4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;
5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden, und
6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a rechtzeitig erfüllt hat.
Ein Aufenthaltstitel kann gem § 11 Abs 3 NAG 2005 aF trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl Nr 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
4. der Grad der Integration;
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
Gemäß § 24 Abs 1 NAG 2005 aF sind Verlängerungsanträge (§ 2 Abs 1 Z 11) vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, frühestens jedoch drei Monate vor diesem Zeitpunkt, bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen. Danach gelten Anträge als Erstanträge. Nach Stellung eines Verlängerungsantrages ist der Antragsteller, unbeschadet fremdenpolizeilicher Bestimmungen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.
Gemäß § 24 Abs 4 NAG 2005 aF kann mit einem Verlängerungsantrag (Abs 1) bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides ein Antrag auf Änderung des Aufenthaltszwecks des bisher innegehabten Aufenthaltstitels oder auf Änderung des Aufenthaltstitels verbunden werden. Sind die Voraussetzungen für den beantragten anderen Aufenthaltszweck oder Aufenthaltstitel nicht erfüllt, ist darüber gesondert mit Bescheid abzusprechen und der bisherige Aufenthaltstitel mit dem gleichen Aufenthaltszweck zu verlängern, soweit die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen.
IV. Das Oö. LVwG hat in rechtlicher Hinsicht erwogen:
1. Die Bf beantragte in Ihrer Stellungnahme vom 9. November 2012 die Erteilung des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EG“, nachdem sie am 11. Jänner 2012 den Verlängerungsantrag betreffend ihre Niederlassungsbewilligung gestellt hatte. Damit hat die Bf ihren Verlängerungsantrag gem § 24 Abs 4 NAG 2005 aF firstgerecht – nämlich vor der Erlassung des erstbehördlichen Bescheides – mit einem Antrag auf Änderung des Aufenthaltszweckes bzw. Änderung des Aufenthaltstitels verbunden. Sind die Voraussetzungen für den anderen Aufenthaltszweck bzw. -titel nicht erfüllt, hat die Behörde darüber gesondert abzusprechen. Betreffend den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EG“ wurde im ggst. Bescheid jedoch lediglich darauf hingewiesen, dass dessen Voraussetzungen mangels Vorliegen von Deutschkenntnissen auf Niveau B1 nicht erfüllt seien.
2. Damit ist die Behörde jedoch nicht im Recht: Zwar setzt der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EG“ nach den verba legalia in der Tat die Erfüllung des Moduls 2 der Integrationsvereinbarung voraus (vgl § 45 Abs 1 Z 2 NAG 2005 aF), jedoch normiert § 14b leg cit diesbezügliche Ausnahmen. So gilt diese Verpflichtung etwa nicht für Drittstaatsangehörige, denen auf Grund ihres physisch oder psychisch dauerhaft schlechten Gesundheitszustandes die Erfüllung nicht zugemutet werden kann, wobei dies durch ein amtsärztliches Gutachten nachzuweisen ist (§ 14b Abs 3 Z 2 NAG 2005 aF).
Ein derartiges amtsärztliches Gutachten wurde bereits von der belangten Behörde eingeholt und kam zum Ergebnis, dass der Bf die Erfüllung der Integrationsvereinbarung aufgrund ihrer Krankheit (sowie des hohen Alters) nicht zugemutet werden könne. Unter diesem Gesichtspunkt kann aus dem Nichtvorliegen der Deutschkenntnisse auf Niveau B1 keine Begründung abgeleitet werden, der Bf den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EG“ zu verweigern.
3. Da die Bf seit Februar 2007 wiederholt eine „Niederlassungsbewilligung – Angehöriger“ ausgestellt bekommen hat – der letzte ausgestellte Aufenthaltstitel war bis zum 7. Februar 2012 gültig – und die Bf aufgrund des laufenden Verlängerungsverfahrens weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig ist, liegt in den letzten fünf Jahren eine ununterbrochene Niederlassungsberechtigung vor. Der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EG“ gem § 45 NAG 2005 aF kommt für die Bf daher in Betracht.
4. Damit ist zu prüfen, ob die Bf die Voraussetzungen des 1. Teils des NAG 2005 aF erfüllt (§ 45 Abs 1 Z 1 NAG 2005 aF). Hierzu ist zunächst zu konstatieren, dass keinerlei Hinweise auf Erteilungshindernisse gem § 11 Abs 1 NAG 2005 aF vorliegen und auch ein Widerstreiten von öffentlichen Interessen (§ 11 Abs 2 Z 1) bzw. eine Beeinträchtigung der Beziehungen der Republik Österreich (§ 11 Abs 2 Z 5 leg cit) durch die Erteilung des Aufenthaltstitels an die Bf nicht ersichtlich sind. Bezüglich der übrigen Erteilungsvoraussetzungen des Abs 2 leg cit wurden bereits Erhebungen von Seiten der Behörde durchgeführt, die u.a. eine Haftungserklärung des Sohnes der Bf, dessen Einkommen, die Höhe der Pension der Bf, den gemeinsamen Wohnsitz der Bf mit ihrem Sohn und das Vorliegen einer Krankenversicherung der Bf ergaben. Daraus lässt sich jedoch ableiten, dass nicht davon auszugehen ist, dass sich die Bf aus eigener Kraft finanziell erhalten könnte, dass sich aber ihr Sohn bereiterklärt hat, für sie aufzukommen.
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang freilich, dass der Bestimmung des § 45 NAG 2005 aF betreffend den „Daueraufenthalt – EG“ nicht entnommen werden kann, dass die Verpflichtung der Erfüllung des 1. Teils auch durch die Abgabe von Haftungserklärungen von dritter Seite – in concreto vom Sohn der Bf – erfüllt werden könnte. Die vorliegende Haftungserklärung kann damit nicht zur Begründung ausreichender Unterhaltsmittel herangezogen werden. Vielmehr müssen gesetzliche Unterhaltsansprüche der Bf gegen ihren Sohn bzw. sonstige Familienmitglieder vorliegen.
Da sowohl die Bf als auch ihr Sohn mazedonische Staatsangehörige sind, ist das Vorliegen derartiger Ansprüche anhand des mazedonischen Rechts zu beurteilen. Diesbezüglich ist zu konstatieren, dass das Familienrecht von Mazedonien einen starken familiären Solidaritätsgedanken verfolgt. Eine Unterhaltspflicht kann auch von Seiten der volljährigen Kinder ggü. den Eltern bestehen und ist in den Art 181 ff des mazedonischen FamG 1992 näher spezifiziert (vgl. Steinmann, Die Ehescheidung in der Republik Mazedonien, 134 ff).
Da dem Oö. LVwG keine genaue Angaben hinsichtlich Art und Höhe des mazedonischen Unterhaltsanspruchs vorliegen, war im Zweifelsfall auf die Bestimmung des § 11 Abs 3 NAG 2005 aF zurückzugreifen. Demnach kann ein Aufenthaltstitel trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs 2 Z 1 bis 6 leg cit erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iS des Art 8 EMRK geboten ist. Dies trifft im konkreten Fall zu:
Die Bf hält sich seit nunmehr 7 1/2 Jahren in Österreich auf und lebt gemeinsam mit ihrem Sohn und dessen Ehefrau im Familienverband.
Ob auch außerhalb der Kernfamilie (Ehegatte und minderjährige Kinder) ein Familienleben iS von Art 8 EMRK vorliegt, ist nach der stRsp des VwGH sowie des EGMR anhand der jeweils konkreten Umstände zu ermitteln, wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens in Betracht zu ziehen ist. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen demnach dann unter den Schutz des Familienlebens iS des Art 8 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl etwa nur VwGH 19.02.2014, Zl. 2013/22/0037 mwN.). Aber auch wenn eine derart enge Bindung nicht bestehen sollte, ist die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern iS des Art 8 EMRK schutzwürdig, nämlich unter dem Titel des Privatlebens (vgl etwa VwGH 21.04.2011, Zl. 2011/01/0093 mwN.)
Zwar lebt die Bf erst seit rund 3 1/2 Jahren bei ihrem Sohn x; dies erklärt sich jedoch aus dem Umstand, dass sie zuvor bei ihrem – mittlerweile verstorbenen – Sohn x lebte. Damit lebt die Bf seit ihrer Einreise nach Österreich bei ihren in Österreich aufhältigen Kindern.
Hinzu kommt, dass die Bf mittlerweile ein Alter von über 79 Jahren erreicht hat und an zahlreichen Krankheiten bzw. altersbedingten Gebrechen leidet. So liegen neben Diabetes, Hypertonie und Schwindelanfällen auch eine allgemeine Schwäche und Gangunsicherheit vor, weshalb die Bf einen Rollator zur Fortbewegung benötigt.
Daraus ergibt sich, dass die Bf aufgrund des fortschreitenden Alters eine intensive Unterstützung benötigt, etwa bei der Haushaltsführung, bei Erledigungen, im Krankheitsfall, bei Arztgängen und dergleichen. Durch den Betreuungs- und Pflegebedarf ergibt sich für die Bf in der Tat eine sehr große Abhängigkeit von nahen Angehörigen – insbes. dem derzeit betreuenden Sohn –, die sich mit fortschreitendem Alter der Bf wohl noch weiter verdichten wird.
Zur Situation in ihrem Heimatstaat ist festzustellen, dass dort zwar noch eine Tochter der Bf wohnt, dass aber offenbar eine Aufnahme und Betreuung nicht gewährleistet ist. Es erscheint damit nicht gesichert, dass die Bf in ihrem Herkunftsstaat langfristig eine derartige Hilfeleistung erhalten wird, die es ihr ermöglichen würde, nach mehrjähriger Abwesenheit ein Leben wieder aufzubauen bzw. menschenwürdig erhalten zu können. Ob die festgestellten Krankheiten der Bf auch in ihrem Herkunftsstaat behandelt werden könnten, spielt unter den dargestellten Umständen keine weitere Rolle mehr.
Damit besteht eine sehr enge Bindung der Bf an ihren in Österreich aufhältigen Sohn, die über eine übliche Bindung von zwei erwachsenen Angehörigen hinausgeht. Im Übrigen sind auch zahlreiche andere Verwandte der Bf (Enkel, etc.) in Österreich aufhältig. Dem damit bestehenden Privat- und Familienleben ist in der konkreten Situation der Bf ein sehr hohes Gewicht beizumessen.
Zu berücksichtigen war ferner, dass es weder Anhaltspunkte für einen illegalen Aufenthalt der Bf im Inland – die Bf hatte zuvor den Aufenthaltstitel „Niederlassungsbewilligung – Angehörige“ – noch für sonstige strafgerichtliche oder verwaltungsstrafrechtliche Verstöße gibt. Zwar kann nicht zuletzt aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse und der Tatsache, dass keine (nichtfamiliären) Kontakte in Österreich ersichtlich sind, von keinem sehr hohen Grad der Integration in Österreich ausgegangen werden, jedoch ist dieser Vorwurf unter dem Gesichtspunkt der schon dargestellten gesundheitlichen Beeinträchtigung sowie der körperlichen Eingeschränktheit der Bf stark relativiert.
Im Ergebnis ist somit zu konstatieren, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels an die Bf unter den vorliegenden Umständen aufgrund von Art 8 EMRK geboten ist. Damit kann der vorliegende Aufenthaltstitel trotz Ermangelung einer Voraussetzung nach § 11 Abs 2 Z 1 bis 6 NAG 2005 aF dennoch erteilt werden.
V. Da die Bf die Voraussetzungen des § 45 NAG 2005 aF erfüllt, war ihr der begehrte Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EG“ zu erteilen. Die belangte Behörde hat den hiermit erteilten Aufenthaltstitel in Form einer Karte gemäß § 1 NAG‑DV an die Bf im Inland auszufolgen.
VI. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.
Landesverwaltungsgericht Oberösterreich
Dr. Markus Brandstetter