LVwG-750164/2/BP/JW LVwG-750165/2/BP/JW
Linz, 30.07.2014
I M N A M E N D E R R E P U B L I K
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Mag. Dr. Bernhard Pree über die Beschwerde 1. der Frau X, geb. X und 2. der Obgenannten als gesetzliche Vertreterin deren minderjähriger Tochter X, geb. X, StA Ukraine, beide vertreten durch X, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 11. März 2014, GZ: Sich40-43474-2013, mit dem die Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln „Rot-Weiß-Rot Karte Plus“ als unzulässig zurückgewiesen wurden,
zu Recht e r k a n n t :
I. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG iVm. § 46 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung des Bundesgesetzblattes BGBl. I Nr. 40/2014, wird der Beschwerde insoweit stattgegeben, als der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben wird.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I.
1. Mit Bescheid vom 11. März 2014, GZ: Sich40-43474-2013, wies die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck (im Folgenden: belangte Behörde) die Anträge der Beschwerdeführerinnen (im Folgenden: Bf) auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot Karte Plus“ gem. § 46 Abs.1 Z1 NAG als unzulässig zurück.
Begründend führt die belangte Behörde zunächst Folgendes aus:
Sie sind ukrainische Staatsbürgerin und sind im Besitz eines ukrainischen Reisepasses, Nr. X, ausgestellt auf den Namen X, geb. X, am 16.02.2012 gültig bis zum 16.02.2022. In diesem besagten Reisepass besitzen Sie ein slowakisches Visum „C", Nr. X, ausgestellt am 10.07.2013, gültig vom 20.07.2013 bis zum 19.07.2015, Einreise mehrmals, Aufenthaltsdauer 90 Tage.
Sie sind am 12.08.2013 in den Schengenraum eingereist und am 13.08.2013 wieder aus dem Schengenraum ausgereist. Schließlich sind Sie am 13.10.2013 neuerlich in den Schengenraum und in weiterer Folge in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist und bis dato auch an der oben angeführten Adresse aufhältig.
Am 23. Oktober 2013 haben Sie Ihren Gatten, X, geb. X, ukrain. StA. whft in X, am Standesamt der Stadtgemeinde Schwanenstadt geheiratet. Aus dieser Heiratsurkunde, Nr. x/2013, ist ersichtlich, dass Sie nach der Eheschließung den Familiennamen X besitzen.
Am 3. Jänner 2014 haben Sie persönlich bei der hs. Niederlassungsbehörde einen quoten-pflichtigen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus" gestellt. Begründet haben Sie Ihre Antragsstellung mit der Eheschließung Ihres Mannes.
Am 11.01.2014 haben Sie das gemeinsame Kind, X, geb. X, ukrain. StA., whft. detto, im Klinikum Salzkammergut zur Welt gebracht. Am 23. Jänner 2014 haben Sie persönlich in Begleitung Ihres mj. Kindes einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus" gemäß § 23 Abs. 4 NAG 2005 gestellt.
Die hs. Niederlassungsbehörde stellt fest, dass Sie aufgrund Ihres Visum „C" bereits am 10. Jänner 2014 den Schengenraum und somit auch das Bundesgebiet der Republik Österreich verlassen hätten müssen. Seit diesem Zeitpunkt halten sowohl Sie sich als auch Ihr mj. Kind illegal hier im Bundesgebiet der Republik Österreich auf. Sie sind nicht fristgerecht aus dem Schengenraum ausgereist. Ihre persönliche Antragsstellung bei der hs. Niederlassungsbehörde ist am 83. Tag erfolgt und somit sind Sie auch zu diesem Zeitpunkt zur Inlandsantragsstellung berechtigt gewesen. Die Antragsstellung selbst verschafft Ihnen jedoch keinen längeren visumsfreien Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht. Daher sind Sie seit dem 11.01.2014 und somit auch Ihr mj. Kind illegal hier im Bundesgebiet der Republik Österreich bis dato aufhältig.
Mit nachweislichem Verbesserungsauftrag vom 03.01.2014 sind Sie aufgefordert worden binnen zwei Wochen nachstehende Dokumente bzw. Urkunden der hs. Niederlassungsbehörde vorzulegen:
1. Einen gültigen Reisepass lautend auf Ihren Familiennamen X
2. Ihr polizeiliches Führungszeugnis aus Ihrem Heimatland mit beglaubigter Übersetzung ins Deutsche (nicht älter als 6 Monate)
3. Auszug aus dem Kreditschutzverband 1870 von Ihrem Mann und
4. Dezember Lohnzettel Ihres Mannes
Am 14. Jänner 2014 sind von Ihrem Ehegatten dessen Auszug aus dem Kreditschutzverband sowie dessen Dezember Lohnzetteln vorgelegt worden. Bis dato sind weder Ihr gültiger ukrainische Reisepass noch Ihr polizeiliches Führungszeugnis vorgelegt worden.
Die hs. Niederlassungsbehörde stellt weiters fest, dass das Aufenthaltsrecht Ihres mj. Kindes gemäß § 23 Abs. 4 NAG 2005 nach der Mutter - also nach Ihnen - richtet. Da Sie selbst bereits seit dem 11.01.2014 illegal aufhältig sind gilt dies auch für Ihr mj. Kind.
Am 13. Februar 2014 ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, etabliert in 4020 Linz, Derfflinger Straße Nr. 1, von Ihrem Sachverhalt in Kenntnis gesetzt worden mit dem Ersuchen zu prüfen, ob sowohl gegen Sie als auch gegen Ihr mj. Kind fremdenpolizeiliche Maßnahmen eingeleitet werden bzw. zulässig sind.
Ihr Mann ist hier im Bundesgebiet der Republik Österreich rechtmäßig niedergelassen. Er besitzt eine „Daueraufenthaltskarte" Nr. X, ausgestellt am 27.04.2009, gültig bis zum 27.04.2019, ausgestellt vom Magistrat der Stadt Linz.
Gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 NAG 2005 sind die Voraussetzungen für einen quotenpflichtigen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus", dass der Zusammenführende, in Ihrem Fall Ihr Ehegatte, entweder im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU" oder im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus" ist. Von der hs. Niederlassungsbehörde wird festgestellt, dass Ihr Ehegatte weder im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-EU" noch im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus" ist.
Da Ihr Gatte im Besitz einer gültigen „Daueraufenthaltskarte" gemäß § 54 bzw. § 54a NAG 2005 ist, ist es sowohl Ihnen als auch Ihrem mj. Kind ex lege nicht möglich, einen Zuwanderungsantrag auf Familienzusammenführung zu stellen. Aus diesem Grund sind die gestellten Erstanträge als unzulässig zurückzuweisen.
Mit nachweislichem Schreiben vom 21. Februar 2014 ist Ihnen mitgeteilt worden, dass die hs. Niederlassungsbehörde beabsichtigt sowohl Ihren quotenpflichtigen Erstantrag als auch den quotenfreien Erstantrag Ihres mj. Kindes auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus" als unzulässig zurückzuweisen. Mit zitiertem Schreiben sind Sie aufgefordert worden binnen zwei Wochen nach Erhalt des angeführten Schreibens zu beabsichtigten Zurückweisung Stellung zu nehmen.
Ihre schriftliche Stellungnahme ist am 6. März 2014 bei der hs. Niederlassungsbehörde eingelangt.
Die Behörde hat hierzu erwogen:
(...)
Wie bereits umseitig angeführt, ist Ihr Gatte, X, geb. X, ukrain. StA., im Besitz einer gültigen „Daueraufenthaltskarte" gemäß § 54a NAG, weil er mit einer EWR-Bürgerin, die ihr Freizügigkeitsrecht in Anspruch genommen hat, verheiratet gewesen ist. Aufgrund dieses Freizügigkeitssachverhaltes ist Ihrem Mann vom Magistrat der Linz eine Daueraufenthaltskarte, Nr. X, mit einer Gültigkeit vom 27.04.2009 bis zum 27.04.2019 ausgestellt worden.
Mit Beschluss des BG Linz, ZI 20 Farn 57/12y vom 04.09.2012 ist die besagte Ehe rechtskräftig geschieden worden.
Am 12. Oktober 2012 hat Ihr Gatte persönlich bei der hs. Niederlassungsbehörde einen quotenfreien Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus" gestellt, da er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit einer EWR-Bürgerin verheiratet war. Diesen Zweckänderungsantrag hat er am 23.10.2012 persönlich zurückgezogen. Dies deshalb, weil er sich auf § 54 Abs. 5 NAG berufen hat, wo ex lege festgelegt worden ist, dass das Aufenthaltsrecht des Ehegatten eines EWR-Bürger bei Scheidung erhalten bleibt. Die Voraussetzung dafür besitzt Ihr Gatte.
Dies hat nun zur Folge, dass Sie ex lege keinen quotenpflichtigen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 NAG stellen können, da Ihr Gatte weder im Besitz einer gültigen „Rot-Weiß-Rot-Karte plus" noch im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-EU" ist. Somit können Sie sich nicht auf eine Familienzusammenführung gemäß § 46 NAG berufen, weil Ihnen dafür die Grundvoraussetzung (Aufenthaltstitel Ihres Mannes) fehlt.
In Ihrem Fall wird die Familienzusammenführung gemäß § 46 NAG erst dann möglich, wenn Ihr Gatte einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus" gemäß §§ 26 u 27 NAG stellt und dieser in weiterer Folge auch bewilligt wird. Eine andere Konstellation hat der Gesetzgeber in einem solchen Fall nicht vorgesehen.
Die hs. Niederlassungsbehörde führt deutlich an, dass Sie sich seit dem 11. Jänner 2014 illegal hier im Bundesgebiet der Republik Österreich aufhalten. Sie sind nach wie vor an der umseitig angeführten Adresse aufhältig.
Sie haben am 11.01.2014 das gemeinsame Kind, X, geb. X, ukran. StA., whft. detto, zur Welt gebracht. Das Aufenthaltsrecht bzw. Niederlassungsrecht leitet sich grundsätzlich gemäß § 23 NAG von der Mutter ab. In Ihrem Fall bedeutet dies, dass Sie sich seit dem 11.01.2014 bis dato illegal aufhalten. Da Sie hier im Bundesgebiet der Republik Österreich kein Niederlassungsrecht haben und Sie bereits illegal aufhältig sind, hat auch Ihr mj. Kind kein Niederlassungsrecht und ist ebenfalls illegal hier im Bundesgebiet der Republik Österreich aufhältig. Aus diesem Grund kann von Ihnen kein Aufenthaltsrecht auf das gemeinsame Kind abgeleitet werden. Das Aufenthaltsrecht vom Vater auf das gemeinsame Kind abzuleiten ist ex lege nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich, die in diesem Fall jedoch nicht zutreffen.
Aus den angeführten Gründen ist daher klar, dass Ihr mj. Kind einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus" nicht stellen kann, da auch Sie diesen Antrag ex lege stellen können.
(...)
Die hs. Niederlassungsbehörde teilt Ihnen mit, dass Sie gemäß § 19 Abs. 8 NAG einen Antrag auf Heilung des Verfahrens stellen können, wenn es Ihnen nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist, einen gültigen Reisepass bei der Antragsstellung vorzulegen. Durch diesen Antrag kann ein Mangel gemäß § 19 Abs. 2 u 3 „geheilt" werden.
(...)
Festgehalten wird, dass sowohl Ihnen als auch Ihrem mj. Kind eine besondere Erteilungsvoraus-setzung fehlt. Aus diesem Grund ist hinsichtlich des Art. 8 MRK nicht Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 06.08.2009, ZI 2009/22/0195, VwGH vom 22. September 2009, ZI 2009/22/0169).
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die rechtzeitige durch die ausgewiesene Vertreterin eingebrachte Beschwerde der Bf vom 31. März 2014:
Begründet wird die gegenständliche Beschwerde wie folgt:
I. Sachverhalt
Die Erstbeschwerdeführerin (ErstBF) reiste zuletzt am 13.08.2013 in den Schengenraum mit einem gültigen slowakischen Visum C ein. Sie ehelichte am 23.10.2013 den ukrainischen Staatsangehörigen X und trägt seither den Namen X (vormals X). Ihr Ehegatte ist Inhaber einer Daueraufenthaltskarte gem. § 54a NAG. Am 03.01.2014 beantragte sie die Erteilung des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte Plus" gem. § 46 Abs 1 Z 2 NAG.
Am 11.01.2014 wurde die gemeinsame Tochter der ErstBF, die ZweitBF X geboren. Für die minderjährige Tochter wurde am 23.01.2014 ein Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte Plus" gem. § 46 Abs 1 Z 2 iVm § 23 Abs 4 NAG eingebracht.
Die belangte Behörde stellte in weiterer Folge fest, dass die BF seit dem 11.01.2014 sich illegal in Österreich aufhalten würden. Mittels Verbesserungsauftrag vom 03.01.2014 wurde die ErstBF aufgefordert, einen Reisepass lautend auf den Namen Familiennamen X, ein ukrainisches polizeiliches Führungszeugnis einschließlich beglaubigter Übersetzung, einen Auszug aus dem Kreditschutzverband des Ehegatten sowie dessen Lohnzettel für Dezember 2013 vorzulegen. Am 14.01.2014 wurde der Auszug aus dem Kreditschutzverband sowie der Lohnzettel vorlegt.
(...)
Mittels Schreiben der belangten Behörde, vom 21.02.2014 wurde den BF mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, die jeweiligen Anträge als unzulässig zurückzuweisen. In der darauf folgenden Stellungnahme der BF vom 03.03.2014 wurde ausgeführt, dass es nicht möglich sei, den ukrainischen Reisepass in Österreich bei der ukrainischen Botschaft zu ändern, sondern sie persönlich in die Ukraine reisen würde. Ebenso kann das polizeiliche
Führungszeugnis nur in der Ukraine ausgestellt werden. Eine fristgerechte Ausreise vor dem 10.01.2014 wäre aufgrund der weit fortgeschrittenen Schwangerschaft und Schwangerschaftsbeschwerden nicht möglich gewesen. Die BF reisten schließlich am 29.03.2014 aus. (...)
II. Rechtliche Beurteilung
1. Materielle Rechtswidrigkeit
1.1. Zur Erteilung eines Aufenthaltstitels betreffend die ErstBF
Die belangte Behörde führt im angefochtenen Bescheid aus, dass der ErstBF kein Aufenthaltstitel gem. § 46 Abs 1 Z 2 NAG erteilt werden könne, da ihr Ehegatte eine Daueraufenthaltskarte gem. § 54a NAG innehat, der die Erteilung einer Rot-Weiß-Rot Karte Plus nicht zulassen würde. Allenfalls müsse der Ehegatte der ErstBF zunächst selbst einen Zweckänderungsantrag zu einer Rot-Weiß-Rot Karte Plus einbringen und dieser müsse bewilligt werden.
Zwar hat die belangte Behörde insofern recht; dass unmittelbar aus dem Wortlaut des NAG keine Möglichkeit vorgesehen ist, dass Personen, die Inhaber einer europarechtlichen Daueraufenthaltskarte gem. § 54a NAG sind, irgendeine Form der Familienzusammenführung in Anspruch nehmen können. Dies obwohl dem Gatten der ErstBF ein eigenständiges und unbefristetes Aufenthaltsrecht in Österreich zukommt, da er trotz der Scheidung von seiner Ex-Frau nach wie vor einen Anspruch auf diesen Aufenthaltstitel hat und er diesen in weiterer Folge auch verlängern kann. Dies ergibt sich unmittelbar aus Art 13 Abs 2 der Unionsbürger-RL (RL 2004/38/EG).
Die belangte Behörde verkennt jedoch in dem Zusammenhang, dass diese Rechtslücke der österreichischen Rechtsordnung gegen das Verbot der Schlechterstellung von europarechtlich erfassten Personen verstößt und somit mittels Analogie geschlossen werden muss. Dass Personen, die nach der österreichischen Rechtslage einen europarechtlich begründeten eigenständigen. Daueraufenthalt iSd § 54a NAG innehaben, zur Gänze von jeder Familienzusammenführung ausgeschlossen sind, sondern diesen Anspruch erst hätten, wenn sie auf einen nationalen Aufenthaltstitel umstiegen würden, ist jedenfalls auch nicht sachlich gerechtfertigt.
Somit ist die 1 Familienzusammenführungs-Richtlinie (RL 2003/86/EG des Rates vom 22.09.2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung) zur Schließung der Rechtslücke ergänzend heranzuziehen. Art 1 der Familienzusammenführungs-RL hält fest, dass das Ziel dieser Richtlinie jenes ist, die Bedingungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig im Gebiet der Mitgliedstaaten aufhalten, zu regeln. Art 2 lit e definiert als Aufenthaltstitel „jede von den Behörden eines Mitgliedstaats ausgestellte Genehmigung, die einen Drittstaatenangehörigen zum rechtmäßigen Aufenthalt im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats. berechtigt." Ausnahmen bestehen gem. Art 3 Abs 2 der RL nur in jenen Fällen, in denen der Zusammenführende ein asylrechtliches Aufenthaltsrecht (Flüchtlingsstatus, Subsidiärschutz oder Asylwerber) innehat. Art 4 der RL umfasst unter dem Personenkreis, mit dem eine Familienzusammenführung durchgeführt werden kann, minderjährige Kinder und Ehegatten des Zusammenführenden.
Da der Gatte der ErstBF sich zweifelsfrei iSd RL rechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet aufhält, einen Aufenthaltstitel mit mindestens einjähriger Gültigkeitsdauer innehat und aufgrund seiner ukrainischen Staatsangehörigkeit Drittstaatsangehöriger ist, ist die Richtlinie auch auf das gegenständliche Verfahren anzuwenden.
In den Art 6 ff der Familienzusammenführungs-RL ist schließlich geregelt, dass Erfordernisse der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit der Familienzusammenführung entgegenstehen können sowie ein Nachweis über den gesicherten Unterhalt und Wohnraum gefordert werden können - dies wurde vom österreichischen Gesetzgeber auch entsprechend geregelt. Ein Mangel am Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen wurde im konkreten Verfahren jedoch nicht von der belangten Behörde moniert.
Somit ist die Familienzusammenführungs-RL in Österreich nicht korrekt ins nationale Recht umgesetzt. Das bedeutet, dass die Richtlinie aufgrund des Ablaufs der Umsetzungsfrist am 03.10.2005 in jenen Bereichen, in denen sie nicht vollständig bzw. korrekt umgesetzt wurde, unmittelbar anwendbar ist. Im konkreten Fall bedeutet das, dass obwohl das NAG nicht ausdrücklich eine Familienzusammenführung für Personen vorsieht, die einen Aufenthaltstitel gem. § 54a NAG besitzen, dennoch eine Familienzusammenführung ermöglicht werden muss, um eine Verletzung des Unionsrechts hintanzuhalten, die durch den gänzlichen Ausschluss einer Familienzusammenführung für Inhaber der Daueraufenthaltskarte bewirkt würde. Zu prüfen ist daher, welche Aufenthaltstitel in concreto in Frage kommen würden.
Der Ehegatte der ErstBF erhielt ursprünglich in Österreich eine Daueraufenthaltskarte gem. § 54 NAG aufgrund seiner damals bestehenden Ehe zu einer freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgerin. Diese. Ehe wurde geschieden' und dem BF wurde, nachdem er zunächst die Erteilung einer Rot-Weiß-Rot Karte Plus beantragte, jedoch den Antrag wieder zurückzog, eine Daueraufenthaltskarte gem.§ 54a NAG belassen. Da dieses Aufenthaltsrecht nicht an die Ehe mit der mittlerweile Ex-Frau des Gatten der ErstBF geknüpft ist, sondern .ein völlig eigenständiges Aufenthaltsrecht darstellt, ist die Daueraufenthaltskarte in den Rechtswirkungen und vom Umfang der ihm daraus erwachsenden Rechte dem Daueraufenthalt EU nachgebildet. Überdies ist auch der Bezeichnung nach die Karte gem. § 54a NAG eine Daueraufenthaltskarte.
Es ist daher naheliegend, die oben dargestellte Rechtslücke in analoger Anwendung des
§ 46 Abs 1 Z 2 zu schließen und der ErstBF einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot Karte Plus" zu erteilen.
Sollte die analoge Anwendung des § 46 Abs 1 Z 2 NAG nicht für gangbar erachtet werden, so ist in eventu zu prüfen, ob bzw. welcher andere Aufenthaltstitel erteilt werden kann.
1.2. Zur Erteilung eines Aufenthaltstitels bezüglich der ZweitBF
a. Zur Rechtmäßigkeit des Aufenthalts der ZweitBF
Bezüglich der ZweitBF ist zunächst festzuhalten, dass gem. § 31 Abs. 4 FPG in den ersten 6 Lebensmonaten ein Aufenthaltsrecht besteht. Da die ZweitBF am 11.01.2014 in Österreichgeboren wurde, befand sie sich zum Zeitpunkt der Antragstellung wie auch zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung rechtmäßig in Österreich. Die Antragstellung im Inland ist gem. § 21 Abs. 2 Z. 4 NAG zulässig. Dass das Schengen-Visum der ErstBF in diesem Zeitraum, allerdings noch während des Mutterschutzes abgelaufen ist und sie noch mit der Ausreise zuwartete, ändert an der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts der ZweitBF nichts. Eine „Sippenhaftung" im NAG, die dazu führt/ dass sich die Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts der Mutter auch auf das ex lege rechtmäßig aufhältige minderjährige Kind erstreckt, hat keinerlei rechtliche Grundlage.
b. Zur Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 46 Abs 1Z2 NAG
Im Folgenden soll ausgeführt werden, weshalb in korrekter Anwendung der Daueraufenthalts-RL und der Familienzusammenführungs-RL das Aufenthaltsrecht der ZweitBF im vorliegenden Sachverhalt nach dem Vater zu beurteilen ist, da der Kindesvater ein Daueraufenthaltsrecht genießt und erwiesenermaßen den Lebensunterhalt der ZweitBF leistet, indem er mit der ZweitBF und der Kindesmutter in einem gemeinsamen Haushalt lebt und durch sein Einkommen für deren Unterhalt aufkommt.
Der Kindesvater ist als Inhaber einer Daueraufenthaltskarte gem. § 54a NAG von den Bestimmungen der Daueraufenthalts-Richtlinie erfasst und unterliegt die Regelung des Aufenthaltsrechts seiner Familienmitglieder nicht mehr ausschließlich nationalem Recht. Zur Vorgangsweise bei angenommenen oder tatsächlichen Kollisionen mit innerstaatlichen Bestimmungen wird in der Folge im Exkurs das Verhältnis von Europarecht zu nationalem Recht dargestellt werden.
Die in Österreich geborene ZweitBF ist vom Recht auf Familienzusammenführung nach Familienzusammenführungs-RL erfasst, wobei gem. Art. 3 Abs. 1 leg.cit. die Rechtsstellung der zusammenzuführenden Familienangehörigen unerheblich ist, sofern der Zusammenführende „begründete Aussicht darauf hat, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erlangen." Mit der Erteilung der Daueraufenthaltskarte wurde dieses Recht bereits erlangt. Dass auch einer Daueraufenthaltskarte gem. § 54a NAG einen derartigen unter die RL zu subsumierenden Daueraufenthalt darstellt, ergibt sich zum einen aus der Drittstaatsangehörigkeit des Kindesvaters, zum anderen aus der ausdrücklichen Bezeichnung des Aufenthaltstitels als Daueraufenthalt.
Unbeschadet der Tatsache, dass gem. Art. 4 Abs. 1 lit.a leg.cit. ein gemeinsames Kind eines Ehepaares jedenfalls vom Geltungsbereich der Richtlinie erfasst sind, wäre sie sogar -bei Abwesenheit der Mutter - gem. lit. b auch vom Unterhalt leistenden, obsorgeberechtigten Vater allein erfasst.
Ein Grund zur Verweigerung des Aufenthalts, gem. .Art. 6 leg.cit.. aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ist bei einem Säugling denkunmöglich. Hingegen sind, die Maßstäbe völkerrechtlicher Verpflichtungen zum Schutz der Familie in den zur Interpretation vorrangig heranzuziehenden Erwägungsgründen klar wiedergegeben3:
Maßnahmen zur Familienzusammenführung sollten in Übereinstimmung mit der Verpflichtung zum Schutz der Familie und zur Achtung des Familienlebens getroffen werden, die in zahlreichen Instrumenten des Völkerrechts verankert ist. Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und berücksichtigt die Grundsätze, die insbesondere in Artikel 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden.
Die Richtlinie 2003/86/EG normiert in Art. 7 Abs. 1, welche Anforderungen an den Zusammenführenden gestellt werden können. Diese sind nach aktenkundigen Unterlagen erfüllt. Eine Unterscheidung, ob bzw. in welchen Fällen nur ein bestimmter Elternteil Zusammenführender sein kann/ darf, ist nicht gegeben und würde auch gegen jede Form der vielfältigen Diskriminierungsverbote aufgrund des Geschlechtes verstoßen. Auch besteht keine Anforderung dahingehend, dass sämtliche Familienmitglieder bestimmte (aufenthaltsrechtliche) Anforderungen erfüllen müssen; es wird vielmehr in Art. 3 Abs. 1 festgestellt, dass der Status der zusammenzuführenden Familienmitglieder unerheblich ist.
Darüber hinaus ist auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rs. C-540/03 (X), Urteil vom 27. Juni 2006, Slg. 2006, S. I- 1-5769 hinzuweisen, in welchem der Gerichtshof nachstehendes ausgeführt:
„62 (..Denn den Mitgliedstaaten wird damit im Rahmen einer Richtlinie, die diesen Staaten präzise positive Verpflichtungen auferlegt, ein begrenzter Ermessensspielraum belassen, der nicht anders ist als der, der ihnen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Rechtsprechung zu diesem Recht zugestanden wird, um in jedern Einzelfall die betroffenen Interessen gegeneinander abzuwägen.
63 Im Übrigen müssen die Mitgliedstaaten nach Artikel 5 Absatz 5 der Richtlinie bei dieser Interessenabwägung dafür Sorge tragen, dass das Wohl minderjähriger Kinder gebührend berücksichtigt wird.
64 Außerdem ist Artikel 17 der Richtlinie zu beachten, der den Mitgliedstaaten aufgibt, in gebührender Weise die Art und die Stärke der familiären Bindungen der betreffenden Person und die Dauer ihres Aufenthalts in dem Mitgliedstaat sowie das Vorliegen familiärer, kultureller oder sozialer Bindungen zu ihrem Herkunftsland zu berücksichtigen. Wie sich aus Randnummer 56 des vorliegenden Urteils ergibt, entsprechen diese Kriterien denjenigen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für die Überprüfung heranzieht, ob ein Staat, der einen Antrag auf Familienzusammenführung abgelehnt hat, die betroffenen Interessen ordnungsgemäß gegeneinander abgewogen hat."
Sowie:
„103 Folglich verstößt Artikel 8 der Richtlinie nicht gegen das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens oder die Verpflichtung zur Berücksichtigung des Kindeswohls, und zwar weder als solcher noch insofern, als er die Mitgliedstaaten ausdrücklich oder implizit zu einem derartigen Vorgehen ermächtigt.
104 -Letztlich ist festzustellen, dass, soweit die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum belässt, dieser weit genug ist, um ihnen die Anwendung der Vorschriften der Richtlinie in einer mit den Erfordernissen des Grundrechtsschutzes im Einklang stehenden Weise zu ermöglichen (in diesem Sinne Urteil vom 13. Juli 1989 in der Rechtssache 5/88, X, Slg. 1989, 2609, Randnr. 22).
105 Dazu ist darauf zu verweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung auch die Mitgliedstaaten die Erfordernisse des Schutzes der in der Gemeinschaftsrechtsordnung anerkannten allgemeinen Grundsätze, zu denen auch die Gründrechte zählen, bei der Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Regelungen zu beachten haben; sie müssen diese Regelungen deshalb, soweit irgend möglich, so anwenden, dass diese Erfordernisse nicht verkannt werden (vgl. Urteile vom 24. März 1994 in der Rechtssache C-2/92, X, Slg. 1994,1-955, Randnr. 16, und vom 18.Mai 2000 in der Rechtssache C-107/97, X, Slg. 2000,1-3367, Randnr. 65, in diesem Sinne auch Urteil ERT, Randnr. 43)."
Dass das nationale Recht bei nicht korrekter oder unvollständiger Umsetzung einer Richtlinie unangewendet zu bleiben hat und die Richtlinie unmittelbar anwendbar wird, wurde bereits unter Punkt III. der Beschwerde betreffend die ErstBF argumentiert. Hierauf wird an dieser Stelle verwiesen.
c. Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 54 NAG
Gem. Art 2 Z 2 lit c der Unionsbürger-RL sind vom Begriff des Familienangehörigen die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des
Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird, umfasst.
Aufgrund der Tatsache, dass der Vater der minderjährigen ZweitBF einen eigenständigen europarechtlichen Aufenthaltstitel hat, indem er Inhaber der Daueraufenthaltskarte gem. § 54a NAG ist, ist die ZweitBF als- Familienangehörige eines unionsrechtlich begünstigten Drittstaatsangehörigen auch unionsrechtlich erfasst und hat einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltskarte gem. § 54 NAG.
Wie unter Punkt II.l. bereits ausgeführt, ist zwar betreffend den Kindesvater die Angehörigeneigenschaft durch die Scheidung erloschen, nicht jedoch sein darauf basierendes eigenständiges unionsrechtliches Aufenthaltsrecht. Die ZweitBF kann somit über ihren Vater wiederum ein Recht auf die Erteilung einer Aufenthaltskarte gem. § 54 NAG ableiten.
Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass
- Die ZweitBF gem. § 31 Abs 4 FPG iVm § 21 Abs. 2 Z. 4 NAG seit ihrer Geburt rechtmäßig in Österreich aufhältig und somit auch zur Inlandsantragstellung berechtigt war,
- Die primär anzuwendende Familienzusammenführungs-RL keinerlei Einschränkung vorsieht, nach welcher ein Elternteil als „Zusammenführender" iSd Richtlinie herangezogen werden kann und somit die entsprechende einschränkende Regelung des NAG unangewendet zu bleiben hat,
- Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt sind und somit -
- Der beantragte Aufenthaltstitel gem. § 46 Abs 1 Z 2 NAG bzw. allenfalls betreffend die ZweitBF eine Aufenthaltskarte gem. § 54 NAG zu erteilen ist
2. Formelle Rechtswidrigkeit
2.1. Zurückweisung an Stelle allfälliger Abweisung des Antrags
Die belangte Behörde weist die gegenständlichen Anträge zurück, da die Ansicht vertreten wird, dass der jeweils beantragte Aufenthaltstitel nicht erteilt werden kann, da dies der Aufenthaltstitel des Gatten bzgl. der ErstBF nicht zulassen bzw. da der Kindesvater der minderjährigen ZweitBF nicht als sogenannte Ankerperson dienen kann. In einem solchen Fall wäre jedoch nicht eine Zurückweisung, sondern allenfalls eine Abweisung des Antrags das korrekte rechtliche Instrument.
Eine Zurückweisung kommt nur dann in Frage, wenn es das NAG ausdrücklich vorsieht. Dies betrifft unter insbesondere §§ 19, 21 NAG. In allen anderen Fällen, in denen nicht wegen eines formalen Mangels sondern inhaltlich entschieden wird, ist der Antrag abzuweisen (siehe Hengstschläger/Leeb, AVG, § 59, Rz. 13 ff). Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. VwGH 25.11.2013, 2012/04/0027) wird eine Person durch eine Zurückweisung eines Antrags an Stelle einer Abweisung in ihren Rechten verletzt. Dies stellt nicht nur ein bloßes Vergreifen im Ausdruck dar, sondern die betroffene Person wird dadurch im Recht auf Sachentscheidung verletzt. Dies gilt auch im konkreten Fall.
Dass tatsächlich aber auch kein Grund zur Abweisung vorliegt, da nämlich durchaus auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels bei Angehörigen von Inhabern einer Daueraufenthaltskarte gem. § 54a NAG möglich ist, wurde bereits in Punkt IIA. der Beschwerde hinreichend argumentiert.
Eine über die vermeintliche Unanwendbarkeit des § 46 NAG auf die BF hinausgehende Rechtsgrundlage ist dem Spruch des Bescheids, nicht zu entnehmen. Bloße Andeutungen in der Begründung wie im konkreten Fall, ohne dass diese explizit benannt werden, etwa durch die Bezeichnung der konkret erfüllten Zurückweisungstatbestände im Spruch, werden somit nicht Bestandteil er Entscheidung.
Der Spruch eines Bescheides ist dessen Kern und stellt eine individuelle Norm dar, die in Rechtskraft erwächst, also verbindlich wird (siehe auch Wiederin, ZfV 1999, 686). Daher kann allenfalls der Spruch eines Bescheides vollstreckt werden (vgl. VwGH in 89/09/0103 vom 23.11.1989). Sollte eine Auslegung eines Spruches eines Bescheides notwendig sein, so stellt der Wortlaut des Spruchs Anfang und Ende jeder Auslegung dar (vgl. VwGH in: 90/05/0033 vom 10.11.1992; 96/06/0144 vom 03.10.1996; 98/08/0129 vom 30.06.1998; 2000/12/0311 vom 28.01.2004).
Der VwGH hat in seiner ständigen Rechtsprechung festgehalten, dass sich der Gegenstand eines in Rechtskraft erwachsenen Bescheides ausschließlich nach dem Inhalt seines eindeutigen Spruchs bestimmt (siehe VwGH in 94/08/0021 von 28.06.1994; 95/08/0236 vom 05.09,1995). Nur wenn der Spruch des Bescheides auslegungsbedürftig in dem Sinn ist, dass er für sich allein betrachtet Zweifel an seinem Inhalt aufkommen lässt, dann kann seine Begründung zur Deutung (nicht jedoch Umdeutung) oder Ausweitung herangezogen werden.
2.2. Unzulässige Erledigung zweier Anträge in einem Bescheid
Die belangte Behörde erlässt für die beiden BF unzulässigerweise gemeinsam einen einzigen Bescheid und verwendet offenbar auch für die beiden Verfahren eine einzige gemeinsame Aktenzahl. Hinzu tritt im konkreten Fall, dass weder der Spruch, noch die Begründung betreffend die ErstBF und die ZweitBF klar voneinander getrennt sind, um so allenfalls die BF in die Lage zu versetzen, eine Bekämpfung einzelner, die jeweilige BF betreffende Spruchpunkte gesondert zu bekämpfen.
Das Verfahren im NAG sieht anders als das AsylG kein „Familienverfahren" vor, sodass jeder Antrag gesondert zu prüfen ist und auch jeweils ein .gesonderter Bescheid zu ergehen hat. Selbst im Asylverfahren, das ausdrücklich in § 34 AsylG als lex specialis zum AVG ein Familienverfahren vorsieht, hat für jedes Familienmitglied ausdrücklich in gesonderter Bescheid zu ergehen und zudem hat auch jeder Asylwerber, auch ein neugeborenes Kind, eine eigene Aktenzahl, Somit kann in einem Verfahren nach dem NAG, das keine entsprechenden Regelungen für ein Familienverfahren vorsieht, noch viel weniger von einer Zulässigkeit der Entscheidung in einem gemeinsamen Bescheid ausgegangen werden.
In Verfahren über Anträge nach dem NAG ist somit in dem Punkt das AVG anzuwenden. § 58a AVG sieht vor, dass nur in verbundenen Verfahren (§ 39 Abs. 2a) die Behörde, über die nach den Verwaltungsvorschriften erforderlichen Bewilligungen oder Genehmigungen in einem einzigen Bescheid zu entscheiden hat. Der Spruch des Bescheides ist nach den jeweils angewendeten Verwaltungsvorschriften in Spruchpunkte zu gliedern. Die Behörde kann über einzelne oder mehrere Bewilligungen oder Genehmigungen gesondert absprechen, wenn dies zweckmäßig erscheint. § 39 Abs 2a AVG bezeichnet als verbundene Verfahren jene, die nach. den Verwaltungsvorschriften für ein Vorhaben mehrere Bewilligungen, Genehmigungen oder bescheidmäßige Feststellungen erforderlich sind und werden unter einem beantragt werden. In diesen Verfahren hat. die Behörde die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden und mit den von anderen Behörden geführten Verfahren zu koordinieren. Eine getrennte Verfahrensführung ist zulässig, wenn diese im Interesse der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis gelegen ist.
Dass bei Anträgen zur Erteilung eines Aufenthaltsrecht von mehreren Familienangehörigen nicht von einem solchen verbundenen Antrag auszugehen ist, ergibt sich daraus, dass eine entsprechende lex specialis im AsylG für erforderlich erachtet wurde.
Wären prinzipiell Anträge von Familienangehörigen, die auf den Zweck ausgerichtet sind, einen Aufenthaltstitel zu erlangen, verbundene Verfahren, so würde sich die Regelung des § 34 AsylG erübrigen, da § 39 Abs 2a AVG angewendet werden könnte. Somit ergibt sich im Umkehrschluss zu § 34 AsylG, dass Anträge von' Familienangehörigen zur Erteilung eines Aufenthaltsrecht keine verbundenen Verfahren iSd § 39 Abs 2a AVG sind.
Somit, verletzt die gemeinsame Erledigung der beiden Anträge in einem einzigen Bescheid unter Verwendung ein und derselben Aktenzahl sowie das Unterlassen einer klaren Trennung in Spruch und Begründung der. jeweiligen Verfahren im Bescheid Verfahrens vor Schriften in einer derart groben Art und Weise, dass der angefochtene Bescheid somit mit formeller Rechtswidrigkeit belastet ist.
2.3. Verletzung der Manuduktionspflicht
Wie unter Punkt II.l. der Beschwerde ausgeführt ist es unzutreffend, dass eine Familienzusammenführung zu Inhabern einer Daueraufenthaltskarte gem. § 54a NAG überhaupt nicht möglich wäre. Die belangte Behörde hat im Schreiben vom 21.02.2014 zwar die BF darüber in Kenntnis gesetzt, dass beabsichtigt sei, den Antrag zurückzuweisen, jedoch entgegen der bestehenden Manuduktionspflicht es unterlassen, die BF darüber in Kenntnis zu setzen, welcher Antrag nach Ansicht der belangten Behörde eingebracht werden müsse,- sodass die BF von ihrem Recht auf eine Familienzusammenführung Gebrauch machen können. Der Hinweis, dass der Zusammenführende Ehegatte der ErstBF bzw. Kindesvater der ZweitBF zunächst den Aufenthaltstitel Rot-Weiß-Rot Karte Plus beantragen möge und nach dem erfolgreichen Abschluss seines Verfahrens die BF einen neuen Antrag' gem. § 46 Abs 1 Z 2 NAG stellen können, ist ob der Unrichtigkeit der Auskunft keine Erfüllung der Manuduktionspflicht, sondern allenfalls eine grobe Fehleinschätzung der Rechtslage, die jedoch keinesfalls als „Anleitung der Parteien" iSd §§ 13,13a AVG, zu der die Behörde verpflichtet ist.
Die BF waren zum Zeitpunkt der Antragstellung am 03.01.2014 bzw. 23.01.2014 jedenfalls nicht durch berufsmäßige Parteienvertreter vertreten. Gem. § 13a AVG wäre in diesem Fall eine mündliche Anleitung und Belehrung über die Rechtsfolgen erforderlich gewesen. Damit wollte der Gesetzgeber sichergestellt wissen, dass eine der konkreten Lebenssituation angepasste, für den Rechtsbetroffenen verständliche Anleitung zu gebotenen Verfahrenshandlungen erfolgt. Dies judiziert der VwGH etwa zur ZI. 92/08/0145 vom 11.5.1993 dahingehend, dass die (dort inkriminierte) „Übergabe einer Terminkarte, in der auf die ebenfalls wiedergegebene Bestimmung [der Norm] hingewiesen wird, keine ausreichende Rechtsbelehrung darstelle". Dies gilt umso mein-, als im vorliegenden Sachverhalt nicht (nur) ein knapper Hinweis auf allenfalls zu stellende Zusatzanträge an die Unterlagenanforderung angeschlossen wurde, sondern seitenlang nicht zutreffende Bestimmungen aus dem NAG wahllos aufgelistet werden: Von den sieben aufgelisteten §§ ist' lediglich einer - der inkriminierte § 21 Abs. 3 - im gegenständlichen Verfahren relevant.
Die Rechtsfolgen der Verletzung der Manuduktionspflicht wiegen schwer: So kann die Verletzung derselben einen' wesentlichen Verfahrensmangel (§ 42 Abs. 3 Z. 3 lit. c VwGG) darstellen (VwGH vom 8.7.1992 zur ZI. 92/01/0542): Für die Wissentlichkeit des Verfahrensmangels genügt in der Folge die Behauptung, die Partei hätte ein entsprechendes Verlangen gestellt, wäre sie dahingehend belehrt worden (VwGH vom 8.3.1991 zur ZI. 90/11/0188).
In der (noch nicht zahlreichen) Rechtsprechung des VwGH zu diesen neuen Bestimmungen wird die Verletzung von Verfahrensvorschriften schon regelmäßig als Grund für die Aufhebung von Bescheiden herangezogen; so stellt der VwGH etwa zu einer (zumindest formal richtigen) Zurückweisung wg. Nichtvorlage eines Passes fest, dass die Nichterfüllung cies - formal korrekt erteilten - Verbesserungsauftrags gem. § 13 Abs. 3 AVG darum nicht zur Zurückweisung berechtige, weil „..die Behörde auf § 19 Abs. 8 Bedacht zu nehmen [hätte]. Es hätte daher im Besonderen einer Belehrung bedurft, die jedoch unterbleiben ist.- Das stellt einen Verfahrensfehler dar, dem Relevanz zukommt" (VwGH vom 22.3.2011 zur ZI. 2009/21/0232)
Wesentlich ist dabei das Setzen einer konkreten Frist; unterbleibt dies,, gelangt der VwGH zum Ergebnis, dass das Verfahren mangelhaft war (VwGH vom 22.3.2011 zur ZI. 2009/21/0407 mwN zum Erfordernis der Fristsetzung in Hengstschläger/Leeb, AVG, § 13 Rz. 29)
Die Unterlassung einer Aufforderung zur Verbesserung gem. § 13 Abs. 3 AVG ist überdies sogar bei rechtskundigen Parteien ein schwerer Verfahrensmangel, der zur Aufhebung des bekämpften Bescheides führt (VfGH vom 8.10.2008 Slg 18.589 zur ZI. B1629/07) - hier schließt sich der Kreis zu § 13a AVG. Bei nicht rechtskundigen Parteien ist dies umso bedeutsamer, als die eventuell notwendige Notwendigkeit der Modifizierung des Antrags wegen der Unterscheidung zwischen „Daueraufenthalt EU" bzw. „Daueraufenthaltskarte" keineswegs als offenkundig angesehen werden kann.
Es werden folgende ANTRÄGE gestellt:
Das Landesverwaltungsgericht möge
betreffend die ErstBF
1. der Beschwerde stattgeben und den Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot Karte Plus" gem. § 46 Abs 1 Z 2 NAG erteilen; in eventu.
2. den angefochtenen Bescheid wegen formeller Rechtswidrigkeit aufheben und zur Erlassung eines neuen Bescheids an die erste Instanz zurückzuverweisen
betreffend die ZweitBF
1. der Beschwerde stattgeben und den Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot Karte Plus"
gem. § 46 Abs 1 Z 2 NAG erteilen; in eventu
2. eine Aufenthaltskarte gem. § 54 NAG erteilen; in eventu
3. Das Oö. Landesverwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den mit Schreiben vom 2. April 2014 von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vorgelegten Verwaltungsakt. Aus dem Verwaltungsakt ließ sich der entscheidungsrelevante Sachverhalt widerspruchsfrei feststellen.
Die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war.
Gemäß § 2 VwGVG entscheidet das Verwaltungsgericht durch Einzelrichter, soweit die Bundes- oder Landesgesetze nicht die Entscheidung durch einen Senat vorsehen.
4. Das Oö. Landesverwaltungsgericht geht von dem unter den Punkten I. 1. und I. 2. dieses Erkenntnisses dargestellten widerspruchsfreien, entscheidungsrelevanten Sachverhalt aus.
II.
Der Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt, weshalb eine detaillierte Beweiswürdigung unterbleiben konnte.
III.
1.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B VG erkennen ab 1. Jänner 2014 die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
1.2. Gemäß § 46 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes 2005 – NAG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung des Bundesgesetzblattes BGBl. I Nr. 40/2014, ist Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus" zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen, und
1. der Zusammenführende einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41
oder einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a Abs. 1 oder 4 innehat,
oder
2. ein Quotenplatz vorhanden ist und der Zusammenführende
a) einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU" innehat,
b) einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus", ausgenommen einen solchen gemäß § 41a Abs. 1 oder 4 innehat, oder
c) Asyl berechtigter ist und § 34 Abs. 2 AsylG 2005 nicht gilt.
2. Nach dem unbestrittenen Sachverhalt sah sich die belangte Behörde zur Zurückweisung der in Rede stehenden Anträge berechtigt, zumal sie davon ausging, dass in dem Umstand, dass der Zusammenführende (Ehegatte bzw. Vater der Bf) nicht über einen Aufenthaltstitel im Sinne des § 46 Abs. 1 /. 1 und 2 verfügt, ein Fehlen der Antragslegitimation zu erkennen ist.
Bei näherer Betrachtung der Bestimmung des § 46 Abs. 1 NAG wird jedoch ersichtlich, dass lediglich die Eigenschaft als Familienangehöriger eines Drittstaatsangehörigen vorweg genannt ist und als Antragslegitimation gelten kann. Gleichberechtigt werden nach Anführung der Rechtsfolge unter den kumulativ geforderten Tatbestandselementen, die jene auslösen, zum Einen die Erfüllung der Voraussetzungen des 1. Teiles, zum Anderen das Vorliegen von alternativ näher genannten aufenthaltstiteln des Zusammenführenden normiert. Aus dieser Systematik ergibt sich aber, dass letzteres Tatbestandselement nicht als Antragslegitimationselement, sondern als inhaltlich zu prüfendes Tatbestandselement vergleichbar der Erfüllung der Voraussetzungen des 1. Teiles zu qualifizieren ist.
Es ist diesbezüglich der Beschwerde sohin zu folgen, dass allenfalls eine Abweisung – nicht aber eine Zurückweisung – hätte erfolgen müssen.
Nachdem sich die belangte Behörde insbesondere im Spruch des angefochtenen Bescheides nicht auf § 13 Abs. 3 AVG im Zusammenhang mit dem von ihr erteilten Verbesserungsauftrag stützte, muss hier nicht näher darauf eingegangen werden.
3. Bei der Weiterführung des Verfahrens wird die belangte Behörde aber nicht nur zu prüfen haben, ob die rechtliche Betrachtung der Situation der Bf jeweils differenziert vorzunehmen sein wird, sondern insbesondere auch auf die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit der „Familienzusammenführungs-Richtlinie“ auf § 46 Abs. 1 NAG, betreffend die Qualifikation des Daueraufenthaltstitels des Zusammenführenden gemäß § 54a NAG einzugehen haben.
4. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der angefochtene Bescheid ersatzlos aufzuheben war. Das Verfahren tritt somit in den Stand vor Erlassung des angefochtenen Bescheides.
Nachdem Inhalt dieses Beschwerdeverfahrens die Frage der Zurückweisung war, ist es dem Landesverwaltungsgericht nicht möglich eine Entscheidung über die ursprünglichen Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 46 Abs. 1 NAG zu treffen. Diese Entscheidung kommt der Behörde zu.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
IV. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.
Landesverwaltungsgericht Oberösterreich
Bernhard Pree