LVwG-750110/2/MB/JW
Linz, 04.08.2014
I M N A M E N D E R R E P U B L I K
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter
Dr. Markus Brandstetter über die Beschwerde des X, vertreten durch X, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks Linz Land zur GZ: Sich40-48719, vom 9. April 2013, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ zurückgewiesen wurde,
zu Recht e r k a n n t :
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und der Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks Linz Land ersatzlos behoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I.
1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks Linz-Land (im Folgenden: belangten Behörde) vom 9. April 2013 zur GZ: Sich40-48719 wurde der Antrag des Beschwerdeführers (im Folgenden: Bf) auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gem. §§ 2 Abs. 1 Z 9, 11 Abs. 2 und 47 NAG 2005 als unzulässig zurückgewiesen.
Begründend führt die belangte Behörde zum Sachverhalt aus:
„Sie sind marokkan. Staatsbürger und haben am 02. November 2011 bei der öster. Botschaft in Rabat einen quotenfreien Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gestellt. Als Bezugsperson haben Sie Ihre Gattin, X, geb. X, öster. StA., whft in X, X. Zur Zeit Ihrer Antragsstellung ist Ihre Gattin in X, X, wohnhaft gewesen. Die besagte Eheschließung hat am 16.09.2011 in X stattgefunden. Aufgrund des Verdachtes, dass es bei Ihrer Ehe um eine Schein- bzw. Aufenthaltsehehandeln könnte, sind von der BPD Graz entsprechende Ermittlungen vorgenommen worden.
Aufgrund des Wohnsitzwechsels Ihrer Gattin ist nun mehr die hs. Niederlassungsbehörde für Ihren Antrag zuständig. Der besagte Antrag ist am 15. Jänner 2012 bei der hs. Niederlassungsbehörde eingelangt.
Am 09.04.2013 erscheint Ihre Gattin bei der hs. Niederfassungsbehörde und hat mitgeteilt, dass Sie sich von Ihre Gattin Scheiden lassen wollen und Ihr Antrag somit hinfällig sei. Weiters hat sie angegeben, dass Sie keinen Kontakt mehr zu Ihr haben.
Aus diesem Grund steht fest, dass Sie hier im Bundesgebiet der Republik Österreich keine Bezugsperson im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG 2005 haben, zu der Sie zuwandern könnten. Somit fehlen Ihnen weiters auch die Grundvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 NAG für die Erteilung eines Aufenthaltstitels.“
Nachfolgend folgert die belangte Behörde:
„Wie bereits umseitig angeführt, haben Sie in Ihrem quotenfreien Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels '"Familienangehöriger" Ihre Gattin als Bezugsperson angeführt. Ihre Gattin selbst, hat am 09.04.2013 die hs. Niederlassungsbehörde aufgesucht und mitgeteilt, dass Sie vor hätten, sich von Ihrer Gattin Scheiden zu lassen. Aus diesem Grund sei Ihr Antrag hinfällig. Weiters hat Sie der hs. Niederlassungsbehörde angegeben, es bestehe zwischen Ihnen und Ihrer Gattin auch kein Kontakt mehr.
Da Sie selbst kein Interesse mehr haben, nach Österreich zuzuwandern, sich auch nicht mehr in Österreich niederlassen wollen und hier in Österreich vor allem auch keine Bezugsperson haben, ist Ihr quotenfreier Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" zurückzuweisen. Dies deshalb, weil Sie hier in Österreich keine Bezugsperson mehr haben.“
2. Gegen diesen Bescheid erhob der Bf mit Schreiben vom 17. Mai 2013 rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung. Der Bf führt darin wie folgt aus:
„Der Berufungswerber ist marokkanischer Staatsangehöriger und heiratete am 16.September. 2011, in X, Frau X, geb. am X, österreichische Staatsbürgerin, ursprünglich wohnhaft in X, X, dzt. wohnhaft in X, X.
Unter Bezugnahme auf diese Eheschließung hat der Berufungswerber am 2.November. 2011 bei der österreichischen Botschaft Rabat/ Marokko die Erteilung des - quotenfreien - Aufenthaltstitels „Familienangehöriger" gestellt.
Aufgrund des Verdachtes des Vorliegens einer Schein- bzw Aufenthaltsehe sind von der Bundespolizeidirektion Graz entsprechende Ermittlungen aufgenommen worden.
Infolge Wohnsitzwechsels der Ehegattin Frau X, ist die nunmehr belangte Behörde im Sinne des § 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zuständig.
Mittels Bescheides vom 09.04.2013, Geschäftszeichen Sich40-48719 hat die belangte Behörde den quotenfreien Erstantrag des Berufungswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger" vom 2.November. 2011 gemäß § 11 Abs. 2 NAG als unzulässig zurückgewiesen.
Unter einem führt die belangte Behörde aus, dass aufgrund der Bekanntgabe der Ehegattin, Frau X, am 09.04.2013, wonach sich der Berufungswerber scheiden lassen wolle und kein Kontakt bestehen würde, der Berufungswerber keine Bezugsperson im Sinne des §2 Abs 1 Z 9 NAG haben würde zu der er zuwandern könne. Somit würden auch die Grundvoraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels fehlen.
4. Zur Begründung dieses Rechtsmittels wird ausgeführt wie folgt:
4.1. Die belangte Behörde begründet den gegenständlichen Bescheid unter einem damit, dass die Ehegattin des Berufungswerbers am 09.04.2013 bei dieser erschienen sei und mitgeteilt habe, dass sich der Berufungswerber von dieser scheiden lassen wolle und weiters habe die Ehegattin des Berufungswerbers angegeben, dass diese keinen kein Kontakt mehr zu diesem haben würde.
Aus diesem Grund habe der Berufungswerber keine Bezugsperson im Sinne des §2 Abs 1 Z 9 NAG zu der er zuwandern könne und würden somit auch die Grundvoraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels fehlen.
4.2. Zunächst ist auszuführen, dass gem. § 2 Abs. 1 Z 9 NAG als Familienangehöriger gilt, wer Ehegatte oder unverheiratetes minderjähriges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie), wobei die Ehegatten, ausgenommen Ehegatten von Österreichern, EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern, das 18. Lebensjahr bereits vollendet haben müssen; lebt im Fall einer Mehrfachehe bereits ein Ehegatte gemeinsam mit dem Zusammenführenden im Bundesgebiet, so sind die weiteren Ehegatten keine anspruchsberechtigten Familienangehörigen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels;
Die Definition des Kreises der Familienangehörigen - der sog. „Kernfamilie" - ergeht in Umsetzung des Art. 4 der Richtlinie 2003/86/EG betreffend das Recht auf Familienzusammenführung.
Nach der Bestimmung des § 47 Abs 2 NAG ist Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden im Sinne des Abs. 1 leg cit. sind, ein Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen.
Unter einem ist gem. dem von der belangten Behörde herangezogenen § 11 Abs 2 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet; der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird; der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist; der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte; durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden, und der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a leg cit. rechtzeitig erfüllt hat.
4.3. Entgegen der belangten Behörde liegen die Voraussetzungen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger" im Sinne des § 11 Abs. 2 NAG bzw im Sinne des § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz NAG vor. Es entspricht nicht den Tatsachen, dass sich der Berufungswerber von seiner Ehegattin scheiden lassen wolle und, dass auch kein Kontakt mehr bestehe. Der Berufungswerber strebt nach wie vor die Familienzusammenführung mit seiner die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Ehegattin an.
Die entsprechende Erklärung der Ehegattin des Berufungswerbers vom 09.04.2013 ist im gesamten nicht nachvollziehbar, widersprüchlich und schlichtweg tatsachenwidrig. Die Gründe für die tatsachenwidrige und widersprüchliche Erklärung der Ehegattin des Berufungswerbers sind unerfindlich und kann allenfalls darauf zurückzuführen sein, dass der Berufungswerber trotz intensivster Bemühungen kein Visum für die Einreise in das Bundesgebiet erlangen konnte und demnach die gewollte gemeinsame Lebensführung nur eingeschränkt möglich bzw mit erhebelichen Schwierigkeiten verbunden ist, was naturgemäß Auswirkungen auf die gegenständliche Ehebeziehung hat.
Im Übrigen verkennt die belangte Behörde, dass der Beschwerdeführer nach wie vor, dh. im Zeitpunkt der Bescheiderlassung mit einer österreichischen Staatsbürgerin aufrecht verheiratet ist.
Selbst für den Fall, dass eine Scheidung zwischen dem Berufungswerber und seiner Ehegattin angedacht ist, was jedoch nicht der Fall ist und ausdrücklich bestritten wird, gilt, solange kein rechtskräftiges Scheidungsurteil bzw rechtskräftiges entsprechendes Erkenntnis einer Behörde vorliegt, der Berufungswerber nach wie vor als Familienangehöriger im Sinne der Bestimmung des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG und steht im vorliegenden Fall die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels gemäß § 47 Abs. 2 NAG entgegen der belangten Behörde nichts entgegen.
Die rechtliche Begründung der belangten Behörde steht somit im Gegensatz zu den gesetzlichen Bestimmungen des NAG.
Die belangte Behörde hat sich darüber hinaus damit begnügt, allein die Erklärung der Ehegattin heranzuziehen und darauf zu verweisen, dass der Antrag „hinfällig" sei.
Selbst wenn eine Scheidung zwischen dem Berufungswerber und seiner Ehegattin angedacht ist, was jedoch nicht der Fall ist und ausdrücklich bestritten wird, kann die Ehegattin - auch mangels entsprechender Vollmacht und mangels Vorliegens eines Anwendungsfalles der Schlüsselgewalt - im Namen des Berufungswerbers keinesfalls derartige Erklärungen abgeben, wonach der Antrag „hinfällig" sei dh. offensichtlich zurückgezogen werde. Des Weiteren ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass es sich auch bei der Erklärung vom 09.04.2013 lediglich um eine Erklärung informeller Natur und keinesfalls um ein taugliches Beweismittel im Sinne einer Zeugenaussage handelt und hätte demnach diese Erklärung ohne weitere Durchführung von Ermittlungen nicht herangezogen bzw verwertet werden dürfen.
Im Übrigen hat die belangte Behörde zu den tatsächlichen Eheverhältnissen und fallbezogen keine Feststellungen getroffen, wozu sie jedoch verpflichtet gewesen wäre.
Die belangte Behörde wäre ebenso angehalten gewesen, im Sinne des § 45 Abs 3 AVG dem Berufungswerber die Erklärung der Ehegattin vorzuhalten und die Möglichkeit einzuräumen, eine Stellungnahme abzugeben.
Indem die belangte Behörde dies unterlassen hat, hat die belangte Behörde das Recht auf Gewährung des Parteiengehörs verletzt. Dem Berufungswerber ist überhaupt keine Möglichkeit gegeben worden, zum Erhebungsergebnis der belangten Behörde Stellung zu nehmen.
Wäre dem Berufungswerber jedoch rechtsrichtig Parteiengehör eingeräumt worden, hätte er vorbringen und belegen können, dass die Erklärung seiner Ehegattin, wonach sich der Berufungswerber von seiner Ehegattin scheiden lassen wolle und er auch keinen Kontakt mehr habe, nicht den Tatsachen entspricht; mithin, dass die Ehe - nicht nur im rechtlichen Sinne - nach wie vor aufrecht ist und selbstverständlich der verfahrensgegenständliche Antrag nicht „hinfällig" ist.
Die belangte Behörde hat es somit unterlassen, Tatsachenfragen, welche für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind, im Ermittlungsverfahren einer entsprechenden Klärung zuzuführen bzw hat die belangten Behörde all diese Gesichtspunkte - aufgrund einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung - nicht berücksichtigt.
Zusammenfassend ist der belangten Behörde bei ihrer Beurteilung hinsichtlich der Erteilung eines Aufenthaltstitels ein Fehler unterlaufen und ist aufgrund des Vorliegens der Voraussetzungen der Berufungswerber als Familienangehöriger im Sinne der Bestimmung des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG anzusehen und ist folglich der beantragte Aufenthaltstitel aufgrund der vorliegenden Voraussetzungen im Sinne des § 11 Abs 2 NAG gemäß § 47 Abs. 2 NAG im Hinblick auf den beantragten Zweck zu erteilen.
Im Übrigen ist gem. § 23 Abs. 1 NAG, wenn sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren ergibt, dass der Fremde für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel oder eine andere Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts benötigt, der Antragsteller bzw Fremde über diesen Umstand zu belehren. Auch dies hat die belangte Behörde unterlassen.
Zusammenfassend ist der gegenständliche Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet.
4.4. Die belangte Behörde hat Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können bzw müssen.
Gemäß § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.
Nach Abs. 3 leg. cit. ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.
Das Recht auf Parteiengehör gehört zu den fundamentalen Grundsätzen jedes rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens. Gegenstand des Parteiengehörs im Sinne der Rechtsprechung ist der von der Behörde festzustellende Sachverhalt, somit das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens (vgl. VwGH 6.9.1993, 93/09/0124).
Das Parteiengehör ist in förmlicher und für die Partei erkennbarer Weise „ungeschmälert" (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze, E 464 zu § 45 AVG; vgl. VwGH 5.9.1995, 95/08/0002) und hinsichtlich des gesamten Inhalts der Beweisaufnahme zu erteilen (vgl. Walter/Thienel, aaO, E 322 zu § 45 AVG).
Die Behörde muss der Partei des Verwaltungsverfahrens ausdrücklich Gelegenheit geben, eine Äußerung zu den rechtlichen Konsequenzen der Ergebnisse des Ennittlungsverfahrens für die Lösung des Rechtsfalles abzugeben (vgl. VwGH 23.2.1980, 1574/799).
Gleichfalls ist im Sinne des Überraschungsverbotes die Behörde zur Gewährung des Parteiengehörs von Amts wegen verpflichtet und darf nur solche Tatsachen für die Begründung ihrer Entscheidung heranziehen, die der Partei vorher zur Stellungnahme zwecks Wahrung und Geltendmachung ihrer Rechte ausdrücklich vorgehalten worden sind (vgl. VwGH 23.2.1993,91/08/0142).
Die Behörde muss Parteiengehör auch über Tatsachen, die sie für offenkundig oder allgemein bekannt hält, gewähren. Darüber hinaus ist den Parteien im Hinblick auf § 45 Abs 3 AVG für ihre Stellungnahme eine ausreichende Frist einzuräumen.
Im Sinne dieser Ausführungen hätte die belangte Behörde gem. § 45 Abs 3 AVG in Wahrung des Parteiengehörs dem Berufungswerber die Erklärung der Ehegattin vom 09.04.2013 vorhalten und die Möglichkeit einzuräumen müssen, eine Stellungnahme abzugeben. Die Erklärung der Ehegattin vom 09.04.2013 war dem Berufungswerber vollkommen unbekannt und ist diese - wie bereits angeführt - tatsachenwidrig.
Indem die belangte Behörde dem Berufungswerber überhaupt keine Möglichkeit eingeräumt hat, eine Stellungnahme abzugeben, hat die belangte Behörde das Recht auf Gewährung des Parteiengehörs verletzt und war die Entscheidung der Behörde für den Berufungswerber vollkommen überraschend bzw hat die belangte Behörde durch die Einbeziehung der Erklärung der Ehegattin in ihre rechtliche Würdigung Sachverhaltselemente einbezogen, die dem Beschwerdeführer nicht bekannt waren, und damit gegen das Überraschungsverbot verstoßen.
Der relevierte Verfahrensfehler ist auch für den Verfahrensausgang relevant. Wäre dem Berufungswerber nämlich gem. § 45 Abs 3 AVG rechtsrichtig Parteiengehör eingeräumt worden, hätte er vorbringen und belegen können, dass die Erklärung seiner Ehegattin, wonach sich der Berufungswerber von seiner Ehegattin scheiden lassen wolle und dass er auch keinen Kontakt mehr habe, nicht den Tatsachen entspricht; mithin, dass die Ehe nach wie vor - nicht nur wie bereits aufgezeigt im rechtlichen Sinne - aufrecht ist und, dass selbstverständliche der verfahrensgegenständliche Antrag nicht „hinfällig" ist.
Demnach wäre der Berufungswerber als Familienangehöriger im Sinne der Bestimmung des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG anzusehen und wäre folglich der beantragte Aufenthaltstitel aufgrund der vorliegenden Voraussetzungen im Sinne des § 11 Abs 2 NAG gemäß § 47 Abs. 2 NAG im Hinblick auf den beantragten Zweck zu erteilen gewesen.
Da die belangte Behörde dies unterlassen hat, leidet der bekämpfte Bescheid an Rechtswidrigkeit.
Des Weiteren ist gem. § 23 Abs. 1 NAG, wenn sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren ergibt, dass der Fremde für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel oder eine andere Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts benötigt, der Antragsteller bzw Fremde über diesen Umstand zu belehren. Auch dies hat die belangte Behörde unterlassen, sodass der bekämpfte Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet ist.
4.5. Gemäß § 39 Abs. 2 AVG hat die Verwaltungsbehörde in Entsprechung der Pflicht zur materiellen Wahrheitsfindung von Amts wegen vorzugehen, das heißt aus Eigenem den entsprechenden Sachverhalt zu ermitteln.
Die belangte Behörde ist dieser Verpflichtung überhaupt nicht nachgekommen, da sie unter einem lediglich eine Erklärung der Ehegattin vom 09.04.2013, wobei es sich bei dieser lediglich um eine Erklärung informeller Natur und keinesfalls um ein taugliches Beweismittel im Sinne einer Zeugenaussage handelt, herangezogen bzw berücksichtigt hat.
Hätte die belangte Behörde den Berufungswerber einvernommen bzw die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt, hätte die belangte Behörde erkannt, dass im vorliegenden Fall die Ehe nach wie vor - nicht nur wie bereits zuvor mehrfach aufgezeigt im rechtlichen Sinne -aufrecht ist, sich der Berufungswerber von seiner Ehegattin nicht scheiden lassen wolle und, dass er auch Kontakt habe, und der verfahrensgegenständliche Antrag selbstverständlich nicht „hinfällig" ist.
Da keine ergänzende, notwendige Einvernahme durchgeführt worden ist, ist der gegenständliche Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet.
Wäre dies jedoch erfolgt, wäre die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangt, dass der Berufungswerber als Familienangehöriger im Sinne der Bestimmung des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG gilt und ist folglich der beantragte Aufenthaltstitel aufgrund der vorliegenden Voraussetzungen im Sinne des § 11 Abs 2 NAG gemäß § 47 Abs. 2 NAG im Hinblick auf den beantragten Zweck zu erteilen.
Auf diese Umstände ist die belangte Behörde überhaupt nicht eingegangen bzw wurden diese Umstände seitens der belangten Behörde nicht berücksichtigt und ist der gegenständliche Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet.
4.6. Gemäß § 58 Abs 2 AVG hat die Behörde den Bescheid zu begründen. In der Begründung ist das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens, dh. der als erwiesen angenommene maßgebliche Sachverhalt, darzulegen. Des Weiteren ist anzugeben, wie die Behörde zu ihren Annahmen gekommen ist. Es sind demnach die wesentlichen Parteienvorbringen wiederzugeben und die dazu aufgenommenen Beweise sowie die Gründe für die Beweiswürdigung anzugeben.
Auch diesem Erfordernis kommt der bekämpfte Bescheid in keiner Weise nach, da die belangte Behörde nicht hinreichend begründet, warum sie trotz des vorliegenden Antrages des
Berufungswerbers auf Familienzusammenführung annimmt, dass die Grundvoraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels fehlen.
Die belangte Behörde führt lediglich lapidar aus, dass der Berufungswerber keine Bezugsperson im Sinne des §2 Abs 1 Z 9 NAG, zu der er zuwandern könne, habe. Diesbezüglich bleibt die Behörde eine nähere Begründung schuldig. Da dies nicht erfolgt ist, ist der gegenständliche Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet.
5. Weiteres Vorbringen bzw weitere Urkundenvorlagen und Zeugenbekanntgaben wird im Hinblick darauf, dass bis dato noch keine Akteneinsicht im vollumfänglichen Umfang möglich war - unter einem wird auf den Antrag auf Akteneinsicht verwiesen - ausdrücklich vorbehalten.
6. Aufgrund der obigen Ausführungen werden gestellt die
Anträge
· der Berufung vollinhaltlich Folge zu geben und den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz Land, GZ: Sich40-48719, vom 09.04.2013, dahingehend abändern, dass dem Berufungswerber der Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" erteilt wird, in eventu
· den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz Land, GZ: Sich40-48719, vom 09.04.2013, aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die erste Instanz zurückverweisen.“
3. Mit Schreiben vom 21. Jänner 2014 übermittelte das Bundesministerium für Inneres die verfahrensgegenständliche Erledigung samt dem dazugehörigen Akt dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zur Entscheidung.
II.
1. Gem. § 81 Abs. 26 NAG, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 144/2013 sind alle bis zum 31. Dezember 2013 beim Bundesminister für Inneres anhängigen Berufungsverfahren nach dem NAG ab dem 1. Jänner 2014 vom jeweils zuständigen Landesverwaltungsgericht nach dem Bestimmungen des NAG idF vor dem BGBl I 87/2012 zu Ende zu führen.
2. Gem. § 3 VwGbk-ÜG gilt die Berufung der Bf als rechtzeitig erhobene Beschwerde gemäß Art. 130 Abs 1 Z 1 B-VG.
3. Gem. § 24 Abs. 1 VwGVG konnte von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden, zumal sich der Sachverhalt in den hier entscheidungswesentlichen Abschnitten unstrittig bereits aus den Feststellungen der belangten Behörde, den Ausführungen des Bf in der Beschwerde und dem Akt ergibt und der Beschwerde stattzugeben war.
III.
1. § 47 Abs. 1 NAG idF BGBl I 50/2012 (in der Folge: NAG) normiert, dass Zusammenführende im Sinne der Abs. 2 bis 4 Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben sind.
Gem. § 47 Abs. 2 NAG ist Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden sind, ein Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen.
Gem. § 47 Abs. 3 NAG kann Angehörigen von Zusammenführenden auf Antrag eine „Niederlassungsbewilligung – Angehöriger” erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
1. Verwandte des Zusammenführenden, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen tatsächlich Unterhalt geleistet wird,
2. Lebenspartner sind, die das Bestehen einer dauerhaften Beziehung im Herkunftsstaat nachweisen und ihnen tatsächlich Unterhalt geleistet wird oder
3. sonstige Angehörige des Zusammenführenden sind,
a) die vom Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat Unterhalt bezogen haben,
b) die mit dem Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben oder
c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege durch den Zusammenführenden zwingend erforderlich machen.
Unbeschadet eigener Unterhaltsmittel hat der Zusammenführende jedenfalls auch eine Haftungserklärung abzugeben.
Gem. § 47 Abs. 4 NAG kann Angehörigen von Zusammenführenden, die eine „Niederlassungsbewilligung – Angehöriger” besitzen (Abs. 3), eine „Niederlassungsbewilligung” erteilt werden, wenn
1. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen,
2. ein Quotenplatz vorhanden ist und
3. eine Berechtigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz vorliegt.
Gem. § 2 Abs. 1 Z 9 NAG ist Familienangehöriger: wer Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie); dies gilt weiters auch für eingetragene Partner; Ehegatten und eingetragene Partner müssen das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollendet haben; lebt im Fall einer Mehrfachehe bereits ein Ehegatte gemeinsam mit dem Zusammenführenden im Bundesgebiet, so sind die weiteren Ehegatten keine anspruchsberechtigten Familienangehörigen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels.
Gem. § 11 Abs. 1 Z 4 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nicht erteilt werden, wenn eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt.
Gem. § 30 Abs. 1 NAG dürfen Ehegatten oder eingetragene Partner, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht führen, sich für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe eingetragene Partnerschaft berufen.
2. Aus den oben angeführten Rechtsgrundlagen ist sohin ersichtlich, dass im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen eines Aufenthaltstitels der Umstand der Aufenthaltsehe eine inhaltliche Voraussetzung ist, welche im Rahmen des §§ 47 iVm 11 Abs. 1 Z 4 NAG zu prüfen ist.
2.1 § 2 Abs. 1 Z 9 NAG knüpft seinem Wortlaut nach eindeutig an das formalrechtliche Bestehen der zivilrechtlich grundgelegten Ehe an. Besteht die Ehe aus diesem Gesichtspunkt heraus, so erfüllt der Bf grundsätzlich die Eigenschaft nach § 2 Abs. 1 Z 9 NAG.
In einem weiteren Schritt hat sodann die belangte Behörde bei Bestehen von Anhaltspunkten für eine Aufenthaltsehe im Rahmen des § 30 NAG weitere Schritte durchzuführen, um die im Rahmen des § 11 Abs. 1 Z 4 NAG erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen und rechtlichen Würdigungen treffen zu können (s zur Aufenthaltsehe instruktiv: VwGH vom 19.9.2012, Zl. 2008/22/0243; 16.2.2012, Zl. 2011/18/2007; 27.3.2007, Zl. 2006/21/0391).
Insofern normiert § 30 NAG auch konsequent, dass sich der Bf nicht auf die Ehe als solches im Rahmen des Verfahrens „berufen“ darf. Rechtlich kann sich jemand aber nur auf etwas berufen, das dem Grunde nach vorhanden ist. Ist es nämlich rechtlich nicht existent bzw. wird als solches als nicht vorhanden gewertet, so wäre das Vorbringen selbst ohne Bedeutung und müsste nicht weiter vom Gesetzgeber bedacht werden.
Es ergibt sich sohin hieraus, dass im Rahmen des NAG das formalrechtliche Bestehen der Ehe akzeptiert wird und bloß an anderer Stelle eine Wertung der Beweggründe zur Ehe durchgeführt wird. Diese Wertung erfolgt – wie bereits ausgeführt – in § 11 Abs. 1 Z 4 NAG.
Dies zeigt klar, dass der Niederlassungsgesetzgeber die Frage der Subjektseigenschaft im Rahmen des § 47 NAG nicht auf der Stufe der Zulässigkeit, sondern erst im Rahmen der inhaltlichen Prüfung der Voraussetzungen des jeweiligen Aufenthaltstitels geprüft wissen will.
Anderes ließe sich verfahrenstechnisch nur für Dokumentationen des dem Grund nach bereits bestehenden (unionsrechtlichen) Aufenthaltsrechtes ableiten.
2.2. Das formalrechtliche Bestehen der Ehe wurde in diesem Zusammenhang von der belangten Behörde nicht in Frage gestellt und ergibt sich auch nicht ansatzweise derartiges aus der Aktenlage. Eine in der Zukunft angestrebte Ehescheidung vermag das formalrechtliche Band zwischen Bf und seiner Gattin im Lichte des NAG nicht zu trennen.
3. Zudem wird von der belangten Behörde auch nicht ins Treffen geführt, dass die Gattin des Bf eine Vollmacht gehabt hat, um den Antrag des Bf zurückzuziehen.
4. Insgesamt ist die Zurückweisung des Antrages des Bf als rechtswidrig zu erkennen und hätte die belangte Behörde den Antrag einer inhaltlichen Erledigung zuzuführen gehabt.
4.1. Wurde eben von der belangten Behörde zu Unrecht angenommen, dass in der verfahrensgegenständlichen Sache keine Sachentscheidung zu treffen war, ist bloß über die ungerechtfertigte Zurückweisung zu entscheiden und diese ersatzlos zu beheben (vgl etwa Fister/Fuchs/Sachs, § 28 VwGVG Anm. 18 sowie Hengstschläger/Leeb, AVG IV § 66 Rz 106).
5. Aus diesem Grund war es dem Landesverwaltungsgericht auch verwehrt selbst eine Entscheidung in der Sache zu treffen, da Sache des Beschwerdeverfahrens eben alleine das Verfahren wegen der Zurückweisung des Antrages des Bf war und war daher vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich der Bescheid der belangten Behörde ersatzlos zu beheben. Der Antrag des Bf ist nunmehr wieder unerledigt offen und hat die belangte Behörde selbigen einer inhaltlichen Erledigung nach Ermittlungsverfahren zuzuführen.
IV.
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen dieses Erkenntnis besteht die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Die Beschwerde bzw. Revision ist innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung des Erkenntnisses durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.
Landesverwaltungsgericht Oberösterreich
Dr. Markus Brandstetter