LVwG-700051/2/Fi/MH
Linz, 01.08.2014
I M N A M E N D E R R E P U B L I K
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Dr. Johannes Fischer aus Anlass des Vorlageantrags vom 3. Juni 2014 betreffend die Beschwerde des Herrn X, vertreten durch RA Dr. X, gegen die Beschwerdevorentscheidung der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis, vom 16. Mai 2014, GZ: Sich96-214-2013-Ha, zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerdevorentscheidung wird gemäß § 50 iVm §§ 15, 27 VwGVG aufgehoben.
II. Der Beschwerdeführer hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vor der belangten Behörde (§ 66 Abs 1 VStG) noch einen Kostenbeitrag für das Beschwerdeverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (§ 52 Abs 8 VwGVG) zu leisten.
III. Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 25a VwGG eine Revision nach Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis vom 14. März 2014 wurde über den Beschuldigten wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 180a Abs 1 Z 1 Strafvollzugsgesetz (StVG) eine Geldstrafe in Höhe von € 100 und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 33 Stunden verhängt, weil er am 23. August 2013, um X Uhr, in X vor der Justizanstalt, im Bereich des Objektes „Installateurzentrum“, durch Zurufen mit – dem zu diesem Zeitpunkt in ordentlicher Untersuchungshaft in der Justizanstalt X befindlichen – X (Haftraum X) Kontakt aufgenommen und somit vorsätzlich in ungesetzlicher Weise mit einer Person, die sich in ordentlicher Untersuchungshaft befindet, mündlich verkehrt habe.
Gegen dieses Straferkenntnis, zugestellt am 19. März 2014, richtete sich die rechtzeitig durch den Rechtsvertreter des Beschuldigten, mit Schriftsatz vom 16. April 2014, eingebrachte Beschwerde, mit der beantragt wurde, das Verwaltungsgericht möge der Beschwerde Folge leisten und das Straferkenntnis ersatzlos aufheben. Begründend wurde ausgeführt, dass es vom Objekt „Installateurzentrum“ aus nicht möglich sei, mit Personen in der Justizanstalt Kontakt aufzunehmen, weil aus diesem Blickwinkel heraus kein Sicht- oder Hörkontakt mit dem Zellentrakt möglich sei. Eine Verständigung mit Insassen sei nur dann möglich, wenn man in der Rapolterstraße stehe.
Nach weiteren Ermittlungen betreffend den Tatort hat die belangte Behörde am 16. Mai 2014 eine Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 VwGVG erlassen. Der Spruch dieser Beschwerdevorentscheidung lautet wie folgt:
„Der Spruch des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Ried i. I. vom 14.03.2014 wird wie folgt abgeändert:
Sie haben am 23.08.2013 um X Uhr in X, Ecke X im Bereich der Lagerhalle der Firma X vor der Justizanstalt durch Zurufen mit dem zu diesem Zeitpunkt in ordentlicher Untersuchungshaft in der Justizanstalt X befindlichem X (Haftraum X) Kontakt aufgenommen und somit vorsätzlich in ungesetzlicher Weise mit einer Person, die sich in ordentlicher Untersuchungshaft befindet, mündlich verkehrt.
Rechtsgrundlage:
§ 14 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VWGVG)“
Gegen diese Beschwerdevorentscheidung, zugestellt am 20. Mai 1014, richtet sich der am 3. Juni 2014 – und somit rechtzeitig – eingebrachte Vorlageantrag, in dem die Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht beantragt wird.
II. Die Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis hat dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich den Vorlageantrag unter Anschluss der Beschwerde und des bezughabenden Verwaltungsaktes mit Schreiben vom 18. Juni 2014, GZ Sich96-214-2013-Ha, vorgelegt. Gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 iVm Art 131 Abs 1 B-VG iVm §§ 3 und 15 VwGVG ist das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zur Entscheidungsfindung zuständig, weil weder eine Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts noch des Bundesfinanzgerichts gegeben ist. Gemäß Art 135 Abs 1 erster Satz B-VG iVm § 2 VwGVG entscheidet es durch den zuständigen Einzelrichter.
III. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Akteneinsichtnahme. Da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 44 Abs 2 VwGVG abgesehen werden.
IV. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat in rechtlicher Hinsicht erwogen:
IV. 1. Gemäß § 44a VStG hat der Spruch, wenn er nicht auf Einstellung lautet, zu enthalten:
1. die als erwiesen angenommene Tat;
2. die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist;
3. die verhängte Strafe und die angewendete Gesetzesbestimmung;
4. den etwaigen Ausspruch über privatrechtliche Ansprüche;
5. im Fall eines Straferkenntnisses die Entscheidung über die Kosten.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid aufgrund der Beschwerde zu überprüfen.
Gemäß § 50 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, über Bescheidbeschwerden in Strafverfahren in der Sache selbst zu entscheiden.
IV. 2. Die Möglichkeit der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung bietet der Behörde eine 2. Chance zur Erlassung einer Entscheidung in einer an sich bereits durch sie entschiedenen Angelegenheit. Macht die Behörde von dieser Möglichkeit Gebrauch, so tritt die Beschwerdevorentscheidung an die Stelle des mit Beschwerde bekämpften Bescheids und ersetzt diesen im Umfang, in dem er angefochten wurde.
Wie bereits oben dargelegt lautet der Spruch der nunmehr bekämpften Beschwerdevorentscheidung:
„Der Spruch des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Ried i. I. vom 14.03.2014 wird wie folgt abgeändert:
Sie haben am 23.08.2013 um X Uhr in X, Ecke X im Bereich der Lagerhalle der Firma X vor der Justizanstalt durch Zurufen mit dem zu diesem Zeitpunkt in ordentlicher Untersuchungshaft in der Justizanstalt Ried i. I. befindlichem X (Haftraum X) Kontakt aufgenommen und somit vorsätzlich in ungesetzlicher Weise mit einer Person, die sich in ordentlicher Untersuchungshaft befindet, mündlich verkehrt.
Rechtsgrundlage:
§ 14 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VWGVG)“
Der „Spruch“ der nunmehr bekämpften Beschwerdevorentscheidung enthält damit lediglich die als erwiesen angenommene Tat iSd § 44a Z 1 VStG. Durch den Ausspruch, dass der „Spruch des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Ried i. I. vom 14.03.2014 […] wie folgt abgeändert [wird]“, wird der Spruch der (Erst‑)Entscheidung vom 14. März 2014 zur Gänze ersetzt.
Diesem Spruch mangelt es daher an gemäß § 44a VStG zwingenden Spruchbestandteilen: Weder enthält dieser Spruch die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist (Z 2), noch die verhängte Strafe und die angewendete Gesetzesbestimmung (Z 3), noch eine Entscheidung über die Kosten (Z 5).
Die Anforderungen an den Spruchinhalt nach § 44a VStG gelten auch für Entscheidungen der Verwaltungsgerichte. Das jeweilige Verwaltungsgericht muss aber nicht alle Erfordernisse des § 44a VStG selbst erfüllen, wenn und soweit es auf den Bescheid der Erstbehörde verweist (Fister in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG § 44a Rz 1). Eine ausdrückliche (oder auch nur konkludente) Äußerung dahin gehend, dass die sonstigen Spruchbestandteile iSd § 44a VStG des (Erst‑)Bescheids vom 14. März 2014 aufrecht bleiben, ist in der Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde nicht enthalten. Die Beantwortung der Frage, ob diese Verweismöglichkeit auch für die Behörde bei der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung überhaupt bestünde, oder ob die Beschwerdevorentscheidung – weil dadurch die ursprüngliche Entscheidung zur Gänze ersetzt wird – selbst allen Anforderungen des § 44a VStG gerecht werden muss, kann sohin dahingestellt bleiben. Ein Rückgriff auf den (Erst‑)Bescheid dergestalt, dass die in der Beschwerdevorentscheidung nicht enthaltenen Bestandteile aus diesem übernommen werden, ist daher im konkreten Fall – schon nach dem Wortlaut der Beschwerdevorentscheidung – nicht möglich. Der Spruch der Beschwerdevorentscheidung verletzt daher § 44a VStG
IV. 3. § 27 VwGVG beschränkt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichts (mit Ausnahme der Unzuständigkeit der Behörde) dahin gehend, dass dieses an das Beschwerdevorbringen gebunden ist. Da der einleitende Halbsatz des § 27 VwGVG allerdings nicht als abschließend zu verstehen ist, resultiert daraus keine uneingeschränkte Bindung an den Inhalt der Rechtsrüge einer Beschwerde. Offenkundige Rechtswidrigkeiten des angefochtenen Bescheids müssen daher vom Verwaltungsgericht aufgegriffen werden, auch wenn sie nicht ausdrücklich in den Beschwerdegründen geltend gemacht wurden (Eder/Martschin/Schmid, Verfahrensrecht § 28 VwGVG K 8).
Ein Straferkenntnis hat den in § 44a Z 1 – 5 VStG festgelegten Sprucherfordernissen zu entsprechen (vgl VwGH 26. 1. 2012, 2010/07/0011). Verstöße gegen § 44a VStG bedeuten eine offenkundige Verletzung des Gesetzes (vgl VwGH 8. 9. 2011, 2011/03/0130). Da die angefochtene Entscheidung weder die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist (Z 2), noch die verhängte Strafe und die angewendete Gesetzesbestimmung (Z 3), noch eine Entscheidung über die Kosten (Z 5) enthält, bedeutet dies eine offensichtliche Gesetzwidrigkeit, die vom Landesverwaltungsgericht von Amts wegen aufzugreifen ist.
IV. 4. Gemäß § 50 VwGVG ist das Verwaltungsgericht grundsätzlich verpflichtet, Fehler, die im behördlichen Verfahren unterlaufen sind, durch seine Entscheidung(sfindung) zu sanieren. Da jedoch im konkreten Fall ein nach § 44a VStG erforderlicher Ausspruch in wesentlichen Bereichen – insbesondere betreffend die verhängte Strafe – überhaupt fehlt, mangelt es an der Sanierbarkeit:
§ 42 VwGVG statuiert ein Verschlechterungsverbot. Demnach darf auf Grund einer vom Beschuldigten oder auf Grund einer zu seinen Gunsten erhobenen Beschwerde in einem Erkenntnis oder in einer Beschwerdevorentscheidung keine höhere Strafe verhängt werden als im angefochtenen Bescheid. Unzulässig ist demnach die Verhängung einer schwereren und/oder höheren als der ausgesprochenen Strafe.
Beschwerdegegenstand und somit angefochtener Bescheid im konkreten Verfahren ist die Beschwerdevorentscheidung. Das Landesverwaltungsgericht darf daher keine höhere Strafe verhängen, als in dieser verhängt wurde. Da die belangte Behörde den Ausspruch über die Strafe schlechthin unterlassen hat, wäre jeglicher Strafausspruch höher bzw schwerer als jener des angefochtenen Bescheids. Auch durch eine Ermahnung wäre der Bf im Verhältnis zur Beschwerdevorentscheidung beschwert, sodass auch ein solcher Ausspruch nicht in Betracht kommt. Ein Absehen von der Strafe, ohne gleichzeitig eine Ermahnung auszusprechen, ist hingegen ein formloser Akt, der ohne weiteres Verfahren und ohne Erlassung einer förmlichen Entscheidung zu setzen ist, wobei ein solcher Akt keinen Schuldspruch enthalten darf (VfGH 25.9.2008, B1744/06). Auch der Ausspruch des „Absehens von der Strafe“ durch das Landesverwaltungsgericht kommt daher nicht in Betracht
Da es dem Landesverwaltungsgericht sohin verwehrt ist, den Spruchmangel des fehlenden Strafausspruches zu korrigieren, kommt in dieser speziellen Fallkonstellation ausschließlich die Aufhebung des Bescheids wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit in Betracht.
V. Aus diesen Gründen war spruchgemäß zu entscheiden und der angefochtene Bescheid aufzuheben.
Erwähnt sei an dieser Stelle noch, dass das ursprüngliche Straferkenntnis der belangten Behörde vom 14. März 2014 dadurch nicht wieder in Kraft tritt, weil durch die Beschwerdevorentscheidung die ursprünglich bekämpfte Entscheidung endgültig ersetzt wurde und diese folglich nicht wieder auflebt.
VI. Zulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist zulässig, weil im gegenständlichen Verfahren Rechtsfragen zu lösen waren, denen im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage, wie ein Verwaltungsgericht im Verwaltungsstrafverfahren bei – wie im konkreten Fall – nicht sanierbaren Spruchmängeln vorzugehen hat, fehlt. Ebenso fehlt eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage, ob in Beschwerdeverfahren nach § 180a StVG das Bundesverwaltungsgericht oder die Landesverwaltungsgerichte zuständig sind.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer ordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.
Landesverwaltungsgericht Oberösterreich
Dr. Johannes Fischer