LVwG-750049/2/SR/Ga

Linz, 27.05.2014

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Mag. Christian Stierschneider über die Beschwerde der X, geboren am
X, Staatsangehörige von Serbien, vertreten durch die Mutter X, geboren am X, X, X, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schärding vom
24. September 2013, GZ Sich40-13326, mit dem im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich der Antrag der Beschwerdeführerin vom 28. Jänner 2013 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „ROT-WEISS-ROT-Karte PLUS“ nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG abgewiesen wurde,

zu Recht   e r k a n n t :

 

 

I.    Gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 46 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung des Bundesgesetzblattes BGBl. I Nr. 50/2012 - NAG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

 

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig.

 

 

 

 

 

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.               

 

1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schärding vom 24. September 2013, GZ: Sich40-13326, wurde im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich der Antrag der Beschwerdeführerin (im Folgenden Bf) vom 28. Jänner 2013 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „ROT-WEISS-ROT-Karte PLUS“ nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG gemäß § 69 Abs. 1 NAG abgewiesen.

 

Begründend führte die belangte Behörde wie folgt aus:

Sie besitzen nicht die österreichische Staatsbürgerschaft, sind serbische Staatsangehörige und sind somit Fremde gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 NAG.

 

Sie wurden am X in X, als Tochter von X, X und X geboren.

 

Ihre derzeitige Wohnadresse ist, X, X.

 

Sie stellten am 28.02.2013 in der hiesigen Bezirkshauptmannschaft einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot weiß rot Karte - Plus".

 

Sie legten Ihren Reisepass Nr. X, Ihre Geburtsurkunde, Eine PVA Bestätigung Ihres Stiefvaters des Herrn X einen Mietvertrag über eine Wohnung in X, X des Herrn X, und ein "Telc" - Deutsch Zertifikat (A1) vor.

 

Ihr Antrag wurde vorerst angenommen wobei ihnen unmissverständlich mitgeteilt wurde, dass noch Überprüfungen von Polizei und Gemeindeamt vorgenommen werden müssen und frühestens nach Eintreffen der Ergebnisse eine Erteilung der Beantragten Aufenthaltskarte erfolgen kann. Aufgrund des Tages der Antragsstellung und Ihres Nahenden 18. Geburtstages sei eine Erledigung kaum möglich und müsse folglich der Antrag abgelehnt werden. Sie stellten trotzdem den Antrag und bezahlten auch die Antrags und Bearbeitungsgebühr im Bewusstsein, dass Sie im Ablehnungsfall diese Kosten nicht rückerstattet bekommen. Es wurde Ihnen auch empfohlen zeitgerecht auszureisen um zumindest eine eventuell folgende Ausweisung bzw. ein Aufenthaltsverbot zu vermeiden.

 

Der Bericht der Unterkunftserhebung der Gemeinde langte am 06.02.2013 und der Bericht der Polizeiinspektion Schardenberg am 01.03.2013 in der BH Schärding ein.

 

Sie lebten zu diesem Zeitpunkt zusammen mit Ihrer Mutter und deren Lebensgefährten in X, X. Ihr Hauptwohnsitz in X, X wurde mit 28.03.2013 abgemeldet. Derzeit leben Sie laut Angaben Ihrer Mutter an obgenannter Adresse in Serbien.

 

Beweiswürdigung:

 

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich widerspruchsfrei, aus den bei der Antragstellung vorgelegten Unterlagen, sowie durch Einsicht in das zentrale Melderegister und eine Abfrage im Elektronischen Kriminalpolizeilichen Informationssystem "EKIS".

 


 

 

Rechtliche Beurteilung:

 

Gemäß § 69 Abs. 1, NAG kann Familienangehörigen von Zusammenführenden die eine Aufenthaltsbewilligung besitzen eine abgeleitete Aufenthaltsbewilligung erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen. Die Geltungsdauer der Aufenthaltsbewilligung richtet sich nach der Geltungsdauer der Aufenthaltsbewilligung des Drittstaatsangehörigen.

 

Gemäß § 2 Abs. 1, Z 9 ist Familienangehöriger; wer Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv oder Stiefkind ist (Kernfamilie); dies gilt auch für eingetragene Partner; Ehegatten und eingetragene Partner müssen das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollendet haben; lebt im Fälle einer Mehrfachehe bereits ein Ehegatte gemeinsam mit dem Zusammenführenden im Bundesgebiet, so sind die weiteren Ehegatten keine anspruchsberechtigten Familienangehörigen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels.

 

Aufgrund der Erhebungsergebnise mussten wir feststellen, dass Sie am 13.02.1995 geboren sind, und deshalb nicht mehr als minderjähriges lediges Kind einzustufen sind. Die Minderjährigkeit endet in Österreich mit vollendetem 18. Lebensjahr. Da Sie zum Zeitpunkt der frühestmöglichen Ausstellung eines Aufenthaltstitels schon über 18 Jahre alt waren, erfüllen Sie nicht die Anforderungen des 1. Allgemeinen Teiles, 1. Hauptstück, § 2 Abs. 1 Zi 9, des Niederlassungs und Aufenthaltsgesetzes in der bei Antragstellung gängigen Fassung. Die Abweisung des Antrages auf Erteilung einer "POT WEISS ROT KARTE PLUS ist deshalb zulässig. Die Voraussetzungen zur Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 69 NAG sind nicht gegeben.

 

Nach § 11 Abs. 3 NAG kann ein Aufenthaltstitel trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen.

1.            die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2.            das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens

3.            die Schutzwürdigkeit des Privatlebens

4.            der Grad der Integration;

5.            die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6.            die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.            Verstöße gegen die öffentliche  Ordnung,  insbesondere  im  Bereich  des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts

8.            die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren

 

Der vorliegende Antrag war aufgrund der Nichterfüllung der Voraussetzungen des 1. Teiles nicht in Bezug auf § 11 Abs. 3 NAG zu prüfen. §41 a Abs. 4, Zi 1 NAG.

 

Unter Zugrundelegung des oben angeführten Sachverhaltes halten wir die Abweisung des Antrages auf Erteilung einer ROT WEIS ROT KARTE PLUS, im Hinblick auf die Bestimmungen des § 11 Abs. 3 NAG, für zulässig.

 

Somit war spruchgemäß zu entscheiden.

 

2.1. Innerhalb offener Frist erhob die Bf, nunmehr vertreten durch ihre Mutter, Berufung. Einleitend beantragte die Bf die Behebung des angefochtenen Bescheides und die Erteilung des Titels in eventu die Behebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung an die belangte Behörde. Begründend führte die Bf wie folgt aus:

 

I.

 

Die Behörde führt im Spruch und der Begründung die Rechtsgrundlage des § 69 Abs 1 NAG an. Diese Bestimmung ist jedoch nur auf Aufenthaltsbewilligungen nach dem 5. Hauptstück des NAG (§§ 58 ff) anzuwenden. Eine Aufenthaltsbewilligung aufgrund Familiengemeinschaft gem § 69 NAG kann nur von einer Person abgeleitet werden, welche ebenfalls eine Aufenthaltsbewilligung innehat.

Die BW ist Tochter und somit Familienangehörige von X, geb. X, welche einen Aufenthaltstitel „ Rot-Weiß-Rot Karte plus" innehat. Dieser Aufenthaltstitel ist keine Aufenthaltsbewilligung iSd 5. Hauptstück des NAG, die Bestimmungen über die Familienzusammenführung richten sich daher nach § 46 NAG. Für Familienangehörige von Personen, die eine Aufenthaltsbewilligung innehaben, ist die Erteilung einer Rot-Weiß-Rot Karte plus gar nicht vorgesehen, da diese ansonsten besser gestellt wären als die Person, von der der Aufenthaltstitel abgeleitet wird, was einen Widerspruch zu § 69 NAG darstellen würde.

Der Bescheid der Behörde basiert somit auf einer falschen Rechtsgrundlage, zudem liegt ein Begründungsmangel vor. Für den Fall, dass von der BW am Antrag ein falscher Aufenthaltstitel angegeben wurde, wäre die Behörde gern § 23 Abs 1 NAG verpflichtet gewesen, die BW über diesen Umstand zu belehren.

 

II.

Die Behörde geht zu Unrecht davon aus, dass das Alter der BW im Entscheidungszeitpunkt maßgeblich ist. Es kommt alleine auf das Alter im Zeitpunkt der Antragstellung an. Dies ergibt sich aus Sinn und Zweck der Vorschrift und aus einer Analogie zu § 2 Abs 1 Z 9 NAG und § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005.

 

Gem § 2 Abs 1 Z 9 NAG müssen Ehegatten und eingetragene Partner das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollendet haben.

Gem § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger, wer zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist. Im Wege einer Analogie sind diese beiden Bestimmungen somit auch auf minderjährige Kinder von Fremden anzuwenden. Dies gilt umso mehr, als ansonsten im Sinne einer verfassungskonformen Interpretation eine Verfassungswidrigkeit der Bestimmung des § 2 Abs 1 Z 9 NAG in Bezug auf minderjährige Kinder vorliegen würde. Legt man die Bestimmung so aus, wie es die Behörde getan hat, wären minderjährige Kinder, welche unter das NAG fallen, sowohl Ehegatten iSd § 2 Abs 1 Z 9 NAG als auch Kindern, welche unter § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 zu subsumieren sind, gegenüber schlechter gestellt, wofür es aber keine sachliche Rechtfertigung gibt. Dies würde aber das verfassungsgesetzlich gewährleistete subjektive Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzen. Dadurch, dass die Behörde angenommen hat, dass das Alter der BW zum Entscheidungszeitpunkt relevant ist, hat sie dem Gesetz einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt und somit den Bescheid mit Verfassungswidrigkeit belastet.

Dies ergibt sich vor allem und gerade auch aus der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung. In dieser Richtlinie sind nämlich sowohl die Familienzusammenführung von Minderjährigen von Zusammenführenden mit Aufenthaltstiteln als auch von Minderjährigen Asylwerbern unter einem geregelt. Gem Art 10 Abs 1 dieser Richtlinie finden auf die Definition von Familienangehörigen bezüglich Flüchtlingen dieselben Vorschriften Anwendung, wie sie für Familienangehörigen von Fremden mit Aufenthaltstitel gelten. Dies bedeutet, dass eine Ungleichbehandlung auch Unionsrecht widerspricht.

Ein Abstellen auf das Alter der Antragsteller zum Entscheidungszeitpunkt würde zudem bedeuten, dass die Antragsteller mindestens 6 Monate vor Erreichen der Volljährigkeit den Antrag zu stellen haben, da gem § 73 AVG die Behörden verpflichtet sind, innerhalb von 6 Monaten einen Bescheid zu erlassen. Dies würde aber bedeuten, dass de facto nicht auf die Minderjährigkeit, welche gem § 2 Abs 4 Z 1 NAG nach den Bestimmungen des ABGB zu beurteilen ist und gem § 21 Abs 2 ABGB mit Vollendung des 18. Lebensjahres beendet ist, sondern mit dem Erreichen des 17 1/2 Lebensjahres. Dies wäre gesetzeswidrig und würde auch og EU-Richtlinie widersprechen.

Zudem würde dies eine weitere Ungleichbehandlung von Fremden untereinander darstellen, da Personen, welche bei einer Behörde, die einen Aufenthaltstitel innerhalb von zB 3 Monaten erteilt, gegenüber jeden Personen bevorzugt sind, welche den Antrag bei einer Behörde stellen, die dafür 5 Monate oder länger braucht, was nicht auf das Verschulden der Behörde zurückzuführen sein muss, sondern zB von der Anzahl der in einem Zeitraum zu bearbeitenden Anträge abhängen kann. Dies würde aber Willkür gleichzuhalten sein und Rechtsunsicherheit für die Betroffenen bedeuten, da sie nicht wissen würden, ob der Antrag noch rechtzeitig bearbeitet und ein Aufenthaltstitel erteilt wird, womit eine derartige Interpretation von § 2 Abs 1 Z 9 NAG auch gegen das Rechtsstaatlichkeitsprinzip verstößt. Zudem liegt eine Verletzung von Art 8 EMRK auch aus diesem Grund vor.

In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass die BW den Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels am 28.1.2013 gestellt hat. Der Bescheid datiert mit 24.9.2013. Es liegen also 8 Monate zwischen Antragstellung und Entscheidung

Hinzu kommt, dass, würde, man der Ansicht der Behörde folgen, jede Berufung, die gegen einen (aus anderen Gründen) negativen Bescheid über die Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgrund von Familienzusammenführung eines Minderjährigen erhoben wird, alleine aus dem Grund, dass nach dem Einbringen der Berufung die Volljährigkeit erreicht wurde, abweisen müsste. Auch dies würde sowohl gegen das Rechtsstaatlichkeitsprinzip als auch gegen das Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verstoßen.

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist zur Erzielung eines konventionsgemäßen Ergebnisses der Begriff "Familienangehöriger" im NAG von der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG abzukoppeln. Besteht ein aus Art. 8 EMRK ableitbarer Anspruch auf Familiennachzug, so ist als "Familienangehöriger" demnach aus verfassungsrechtlichen Gründen auch jener - nicht im Bundesgebiet aufhältige - Angehörige erfasst, dem ein derartiger Anspruch zukommt (VwGH 17.11.2011,2010/21 /0494).

Art 8 EMRK ist durch die Entscheidung der Behörde jedenfalls verletzt, da die BW daran gehindert wurde, ein Familienleben mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater in Österreich zu führen.

Nach ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 14.650/1996, VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält Art I Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch Art I Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn die Behörde dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage vor.

Aufgrund der og getätigten Ausführungen liegt ein derart willkürliches Verhalten der Behörde vor. Die BW hat den Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels vor Ablauf ihres 18. Geburtstages gestellt und war somit auch im Entscheidungszeitpunkt Familienangehörige iSd § 2 Abs 1 Z 9 NAG. Es lagen alle sonstigen Voraussetzungen zur Erteilung des Aufenthaltstitels vor, weshalb dieser erteilt werden hätte müssen. Der Bescheid ist somit rechtswidrig.

 

2.2. Die belangte Behörde hat das Rechtsmittel mit Schreiben vom
19. November 2013 dem Bundesministerium für Inneres zur Entscheidung vorgelegt.

 

3. Auf Grund der mit 1. Jänner 2014 erfolgten Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit I. Instanz wurde der in Rede stehende Verwaltungsakt vom Bundesministerium für Inneres dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zuständigkeitshalber mit Schreiben vom 20. Jänner 2014, eingelangt am 23. Jänner 2014, zur Entscheidung übermittelt.

 

4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt und das Beschwerdevorbringen.

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich geht daher bei seiner Entscheidung im Wesentlichen von dem unter den Punkten I 1.und 2.1. dieses Erkenntnisses dargestellten relevanten Sachverhalt aus.

 

II.

Die Sachverhaltsfeststellungen gründen sich im Wesentlichen auf die im Verwaltungsverfahren vor der belangten Behörde und die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Urkunden. Der relevante Sachverhalt ist unstrittig.

 

 

 

 

III.

 

1. Nach den Übergangsbestimmungen des NAG 2005, in concreto der Bestimmung des § 81 Abs. 23 NAG, sind Verfahren, die vor dem 1. Oktober 2013 anhängig gemacht und noch nicht entschieden worden sind, nach den Bestimmungen des NAG idF vor BGBl I 87/2012 zu entscheiden. Im ggst. Verfahren wurden der einleitende Antrag am 28. Jänner 2013 gestellt, sodass die Bf unter die Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 23 NAG fällt.

 

Als Rechtsgrundlage für die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „ROT-WEISS-ROT-KARTE PLUS“ ist daher § 46 NAG nicht in der geltenden Fassung, sondern in der Fassung vor BGBl I 87/2012 heranzuziehen.

 

§ 46 NAG in der in diesem Verfahren gemäß § 81 Abs. 26 NAG anzuwendenden Fassung vor Inkrafttreten des BGBl. I Nr. 87/2012 (d.h. in der Fassung BGBl. I Nr. 50/2012) trägt die Überschrift: „Bestimmungen über die Familienzusammenführung“ und lautet wie folgt:

 

§ 46. (1) Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ist ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus” zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen, und

1. der Zusammenführende einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte” gemäß § 41 oder einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus” gemäß § 41a Abs. 1 oder 4 innehat, oder

2. ein Quotenplatz vorhanden ist und der Zusammenführende

a) einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EG” innehat,

b) einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus”, ausgenommen einen solchen gemäß § 41a Abs. 1 oder 4 innehat, oder

c) Asylberechtigter ist und § 34 Abs. 2 AsylG 2005 nicht gilt.

(2) Soll im Fall einer Familienzusammenführung gemäß Abs. 1 Z 2 oder Abs. 4 ein Aufenthaltstitel quotenfrei erteilt werden, hat die Behörde auch über einen gesonderten Antrag als Vorfrage zur Prüfung der Gründe nach § 11 Abs. 3 zu entscheiden und gesondert über diesen abzusprechen, wenn dem Antrag nicht Rechnung getragen wird. Ein solcher Antrag ist nur zulässig, wenn gleichzeitig ein Antrag in der Hauptfrage auf Familienzusammenführung eingebracht wird oder ein solcher bereits anhängig ist.

(3) Familienangehörigen von Inhabern eines Aufenthaltstitels „Blaue Karte EU“ kann ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ ausgestellt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen. Gleiches gilt, wenn der nunmehrige Inhaber eines Aufenthaltstitels ursprünglich einen Aufenthaltstitel „Blaue Karte EU“ innehatte. Bei Familienangehörigen von Inhabern eines Aufenthaltstitels „Blaue Karte EU“ richtet sich die Geltungsdauer des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ nach der Geltungsdauer des Aufenthaltstitels des Zusammenführenden.

(4) Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ist eine „Niederlassungsbewilligung“ zu erteilen, wenn

1. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen,

2. ein Quotenplatz vorhanden ist und

3. der Zusammenführende eine „Niederlassungsbewilligung“ oder eine „Niederlassungsbewilligung – Angehöriger“ innehat.

(5) Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen gemäß §§ 43 Abs. 2 oder 44 kann eine „Niederlassungsbewilligung – ausgenommen Erwerbstätigkeit” erteilt werden, wenn

1. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

2. im Fall von Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen im Sinne des § 44 Abs. 1 ein Quotenplatz vorhanden ist.

 

Unter Familienangehöriger im Sinne der Begriffsbestimmungen des § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG ist zu verstehen, wer Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind ist.

 

Zusammenführender nach § 2 Abs. 1 Z. 10 NAG ist ein Drittstaatsangehöriger, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder von dem ein Recht im Sinne dieses Bundesgesetzes abgeleitet wird.

 

2. Zutreffend hat die Bf vorgebracht, dass nicht § 69 Abs. 1 NAG sondern § 46 NAG zur Anwendung gelangen hätte müssen.

 

2.1. Mit dieser Argumentation allein ist für die Bf nichts gewonnen, da sowohl     § 69 als auch § 46 auf die Familienangehörigeneigenschaft abstellen.

 

Die Bf ist als volljährige Tochter der "Zusammenführenden" keine "Familienangehörige" im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG. Schon deshalb kommt die Erteilung einer „ROT-WEISS-ROT-KARTE PLUS“ nach § 46 NAG nicht in Betracht.

 

Diese Beurteilung spiegelt auch die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wider (vgl. VwGH vom 9. September 2010, Zl. 2008/22/0392 und vom 2. März 2011, Zl. 2008/21/0539).

 

Im Erkenntnis vom 9. September 2010, Zl. 2008/22/0392, in dem auch auf einschlägige Vorjudikatur (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. Juli 2010, 2010/22/0087) verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass die Beschwerdeausführungen (die Behörde hätte "in verfassungskonformer Interpretation der einschlägigen Bestimmungen der MRK-Konvention die Niederlassungsbewilligung für den Antragsteller erteilen müssen") ins Leere gehen, weil bei Fehlen einer besonderen Erteilungsvoraussetzung auf eine allfällige Verletzung im Recht nach Art. 8 EMRK nicht Bedacht zu nehmen ist.

 

2.2. In Anknüpfung an VfSlg. 17.013/2003 hielt der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27. Juni 2008, G 246, 247/07 ua. (VfSlg. 18.517), fest, dass Art. 8 EMRK zwar kein Recht von Fremden auf Entfaltung des Privat- und Familienlebens in einem bestimmten Aufenthaltsstaat ihrer Wahl enthalte, dass sich aber dennoch - in einem System, das die Erteilung von Aufenthaltstiteln vorsieht - aus Art. 8 EMRK unter besonderen Umständen eine Verpflichtung des Staates ergeben könne, den Aufenthalt eines Fremden zu ermöglichen, mit der Folge, dass die Verweigerung der Erteilung eines Aufenthaltstitels einen Eingriff in dieses Grundrecht bilde (siehe III.2.1.3.2. der Entscheidungsgründe). In diesem Zusammenhang verwarf der Verfassungsgerichtshof die Überlegung, der in § 73 Abs. 4 NAG (alt) vorgesehene Feststellungsantrag biete ausreichenden Rechtsschutz. § 73 Abs. 4 NAG sei nur auf einen eng begrenzten Personenkreis, nämlich "Ehegatte oder unverheiratetes minderjähriges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind", anwendbar. Über diesen genannten Personenkreis hinaus sei die Erteilung eines Aufenthaltstitels "aus humanitären Gründen" jedoch nur - vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erachtet - von Amts wegen vorgesehen.

 

Im Erkenntnis vom 17. November 2011, Zl. 2010/21/0494, hat der Verwaltungsgerichtshof darauf Bezug genommen und ausgeführt, dass die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes keinen Zweifel daran lassen, dass auch Personen, die nicht als Familienangehörige im Sinn der oben wiedergegebenen Legaldefinition nach § 2 Abs. 1 Z 9 NAG gelten, gegebenenfalls in den Genuss eines humanitären Aufenthaltsrechts kommen müssen, wenn dies aus Gründen des Art. 8 EMRK geboten ist. Das können auch solche Personen sein, die sich noch nicht im Inland befinden, denen aber ausnahmsweise der ebenfalls vom Verfassungsgerichtshof angesprochene, aus Art. 8 EMRK abzuleitende Anspruch auf Familiennachzug zukommt. Will man - unter der Annahme, der Bf komme ein aus Art. 8 EMRK ableitbarer Anspruch auf Familiennachzug zu - ein sich aus den Überlegungen des Verfassungsgerichtshofes resultierendes verfassungswidriges Ergebnis vermeiden, so muss daher eine andere Alternative gefunden werden, um der nicht im Bundesgebiet aufhältigen Beschwerdeführerin den allenfalls gebotenen Aufenthaltstitel zuzuerkennen. Dafür bleibt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nur die Möglichkeit offen, den Begriff "Familienangehöriger" in § 46 Abs. 4 NAG (nunmehr in der Fassung des FrÄG 2011 § 46 Abs. 1 NAG) von der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG abzukoppeln. Besteht ein aus Art. 8 EMRK ableitbarer Anspruch auf Familiennachzug, so ist als "Familienangehöriger" in § 46 NAG demnach aus verfassungsrechtlichen Gründen auch jener - nicht im Bundesgebiet aufhältige - Angehörige erfasst, dem ein derartiger Anspruch zukommt.

 

Abgesehen von einer allgemeinen Bezugnahme auf Art. 8 EMRK hat sich die Bf ausschließlich damit begnügt aufzuzeigen, dass das Abstellen auf das Alter der Antragstellerin zum Entscheidungszeitpunkt willkürlich erfolgt sei und somit ein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot vorliege. Um ihre Rechtsmeinung zu untermauern hat die Bf auszugsweise Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes wiedergegeben.

 

So hat die Bf auch Teile des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom
17. November 2011, Zl. 2010/21/0494, dargestellt und im Hinblick darauf abgeleitet, dass sie von der belangten Behörde in ihren Rechten verletzt worden sei.

 

Es trifft zwar zu, dass der Verwaltungsgerichtshof in der angeführten Entscheidung diese Ausführungen gemacht hat.

 

Im Anschluss daran hat dieser aber ausgeführt, dass das „hier gewonnene Ergebnis nicht in Widerspruch mit jenen Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes zu § 46 Abs. 4 NAG steht, in denen bislang ungeachtet eines Vorbringens in Richtung Art. 8 EMRK am Begriff `Familienangehöriger´ im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG festgehalten wurde. In dem dem Erkenntnis vom 9. September 2010, Zl. 2008/22/0392, zugrunde liegenden Fall war – [wie im vorliegenden Fall] von vornherein nicht zu erkennen, dass ein sich aus Art. 8 EMRK ergebender Anspruch auf Familiennachzug bestehen könnte“.

 

Da die Bf weder im Verfahren vor der belangten Behörde noch im Beschwerdeverfahren ein Vorbringen erstattet, das auch nur ansatzweise auf einen aus Art. 8 EMRK abzuleitenden Anspruch auf Familiennachzug schließen lassen würde, war im Sinne der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes am Begriff `Familienangehöriger´ im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG festzuhalten.

 

2.3. Die für die Beurteilung eines Bescheides maßgebende Sach- und Rechtslage richtet sich gemäß der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig nach dem Zeitpunkt seiner Erlassung, also der Zustellung an die Partei. Dieser Grundsatz wurde auch auf Fälle der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG angewendet (vgl. etwa die Erkenntnisse vom
26. Jänner 2010, Zl. 2008/22/0296, und vom 5. Oktober 2010,
Zl. 2010/22/0156 mwN). In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 47 Abs. 2 NAG das Vorliegen der Minderjährigkeit noch im Entscheidungszeitpunkt und nicht zur Zeit der Antragstellung maßgeblich ist (vgl. die  Erkenntnisse vom 14. Dezember 2010, Zl. 2008/22/0882 und vom 18. April 2011,
Zl. 2008/21/0539).

 

Soweit die Beschwerde der belangten Behörde Willkür (Zuwarten mit der Entscheidung) vorwirft, kann sie hieraus nichts gewinnen. Aus der zwischen Antragstellung (am 28. Jänner 2013) und Eintritt der Volljährigkeit (13. Februar 2013) verstrichenen Zeit ist nämlich keine ungebührliche Verzögerung ableitbar (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 18. April 2011, Zl. 2008/21/0539).

 

Die begehrte Erteilung des Aufenthaltstitels „ROT-WEISS-ROT-Karte PLUS“ an die Bf gemäß § 46 NAG scheitert nach dem Gesagten am Fehlen von deren Minderjährigkeit im maßgebenden Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides, weil ihr im Hinblick darauf nicht mehr die Stellung eines Familienangehörigen iSd § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG zukommt.

 

Die Beschwerde war spruchgemäß als unbegründet abzuweisen war.

 

IV. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art.133 Abs.4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

 

 

 

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Mag. Stierschneider