LVwG-750049/2/SR/Ga
Linz, 27.05.2014
I M N A M E N D E R R E P U B L I K
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Mag. Christian Stierschneider über die Beschwerde der X, geboren am
X, Staatsangehörige von Serbien, vertreten durch die Mutter X, geboren am X, X, X, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schärding vom
24. September 2013, GZ Sich40-13326, mit dem im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich der Antrag der Beschwerdeführerin vom 28. Jänner 2013 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „ROT-WEISS-ROT-Karte PLUS“ nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG abgewiesen wurde,
zu Recht e r k a n n t :
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I.
1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schärding vom 24. September 2013, GZ: Sich40-13326, wurde im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich der Antrag der Beschwerdeführerin (im Folgenden Bf) vom 28. Jänner 2013 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „ROT-WEISS-ROT-Karte PLUS“ nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG gemäß § 69 Abs. 1 NAG abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde wie folgt aus:
2.1. Innerhalb offener Frist erhob die Bf, nunmehr vertreten durch ihre Mutter, Berufung. Einleitend beantragte die Bf die Behebung des angefochtenen Bescheides und die Erteilung des Titels in eventu die Behebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung an die belangte Behörde. Begründend führte die Bf wie folgt aus:
2.2. Die belangte Behörde hat das Rechtsmittel mit Schreiben vom
19. November 2013 dem Bundesministerium für Inneres zur Entscheidung vorgelegt.
3. Auf Grund der mit 1. Jänner 2014 erfolgten Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit I. Instanz wurde der in Rede stehende Verwaltungsakt vom Bundesministerium für Inneres dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zuständigkeitshalber mit Schreiben vom 20. Jänner 2014, eingelangt am 23. Jänner 2014, zur Entscheidung übermittelt.
4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt und das Beschwerdevorbringen.
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich geht daher bei seiner Entscheidung im Wesentlichen von dem unter den Punkten I 1.und 2.1. dieses Erkenntnisses dargestellten relevanten Sachverhalt aus.
III.
1. Nach den Übergangsbestimmungen des NAG 2005, in concreto der Bestimmung des § 81 Abs. 23 NAG, sind Verfahren, die vor dem 1. Oktober 2013 anhängig gemacht und noch nicht entschieden worden sind, nach den Bestimmungen des NAG idF vor BGBl I 87/2012 zu entscheiden. Im ggst. Verfahren wurden der einleitende Antrag am 28. Jänner 2013 gestellt, sodass die Bf unter die Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 23 NAG fällt.
Als Rechtsgrundlage für die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „ROT-WEISS-ROT-KARTE PLUS“ ist daher § 46 NAG nicht in der geltenden Fassung, sondern in der Fassung vor BGBl I 87/2012 heranzuziehen.
§ 46 NAG in der in diesem Verfahren gemäß § 81 Abs. 26 NAG anzuwendenden Fassung vor Inkrafttreten des BGBl. I Nr. 87/2012 (d.h. in der Fassung BGBl. I Nr. 50/2012) trägt die Überschrift: „Bestimmungen über die Familienzusammenführung“ und lautet wie folgt:
1. der Zusammenführende einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte” gemäß § 41 oder einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus” gemäß § 41a Abs. 1 oder 4 innehat, oder
2. ein Quotenplatz vorhanden ist und der Zusammenführende
a) einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EG” innehat,
b) einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus”, ausgenommen einen solchen gemäß § 41a Abs. 1 oder 4 innehat, oder
c) Asylberechtigter ist und § 34 Abs. 2 AsylG 2005 nicht gilt.
(2) Soll im Fall einer Familienzusammenführung gemäß Abs. 1 Z 2 oder Abs. 4 ein Aufenthaltstitel quotenfrei erteilt werden, hat die Behörde auch über einen gesonderten Antrag als Vorfrage zur Prüfung der Gründe nach § 11 Abs. 3 zu entscheiden und gesondert über diesen abzusprechen, wenn dem Antrag nicht Rechnung getragen wird. Ein solcher Antrag ist nur zulässig, wenn gleichzeitig ein Antrag in der Hauptfrage auf Familienzusammenführung eingebracht wird oder ein solcher bereits anhängig ist.
(3) Familienangehörigen von Inhabern eines Aufenthaltstitels „Blaue Karte EU“ kann ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ ausgestellt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen. Gleiches gilt, wenn der nunmehrige Inhaber eines Aufenthaltstitels ursprünglich einen Aufenthaltstitel „Blaue Karte EU“ innehatte. Bei Familienangehörigen von Inhabern eines Aufenthaltstitels „Blaue Karte EU“ richtet sich die Geltungsdauer des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ nach der Geltungsdauer des Aufenthaltstitels des Zusammenführenden.
(4) Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ist eine „Niederlassungsbewilligung“ zu erteilen, wenn
1. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen,
2. ein Quotenplatz vorhanden ist und
3. der Zusammenführende eine „Niederlassungsbewilligung“ oder eine „Niederlassungsbewilligung – Angehöriger“ innehat.
(5) Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen gemäß §§ 43 Abs. 2 oder 44 kann eine „Niederlassungsbewilligung – ausgenommen Erwerbstätigkeit” erteilt werden, wenn
1. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
2. im Fall von Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen im Sinne des § 44 Abs. 1 ein Quotenplatz vorhanden ist.
Unter Familienangehöriger im Sinne der Begriffsbestimmungen des § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG ist zu verstehen, wer Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind ist.
Zusammenführender nach § 2 Abs. 1 Z. 10 NAG ist ein Drittstaatsangehöriger, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder von dem ein Recht im Sinne dieses Bundesgesetzes abgeleitet wird.
2. Zutreffend hat die Bf vorgebracht, dass nicht § 69 Abs. 1 NAG sondern § 46 NAG zur Anwendung gelangen hätte müssen.
2.1. Mit dieser Argumentation allein ist für die Bf nichts gewonnen, da sowohl § 69 als auch § 46 auf die Familienangehörigeneigenschaft abstellen.
Die Bf ist als volljährige Tochter der "Zusammenführenden" keine "Familienangehörige" im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG. Schon deshalb kommt die Erteilung einer „ROT-WEISS-ROT-KARTE PLUS“ nach § 46 NAG nicht in Betracht.
Diese Beurteilung spiegelt auch die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wider (vgl. VwGH vom 9. September 2010, Zl. 2008/22/0392 und vom 2. März 2011, Zl. 2008/21/0539).
Im Erkenntnis vom 9. September 2010, Zl. 2008/22/0392, in dem auch auf einschlägige Vorjudikatur (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. Juli 2010, 2010/22/0087) verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass die Beschwerdeausführungen (die Behörde hätte "in verfassungskonformer Interpretation der einschlägigen Bestimmungen der MRK-Konvention die Niederlassungsbewilligung für den Antragsteller erteilen müssen") ins Leere gehen, weil bei Fehlen einer besonderen Erteilungsvoraussetzung auf eine allfällige Verletzung im Recht nach Art. 8 EMRK nicht Bedacht zu nehmen ist.
2.2. In Anknüpfung an VfSlg. 17.013/2003 hielt der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27. Juni 2008, G 246, 247/07 ua. (VfSlg. 18.517), fest, dass Art. 8 EMRK zwar kein Recht von Fremden auf Entfaltung des Privat- und Familienlebens in einem bestimmten Aufenthaltsstaat ihrer Wahl enthalte, dass sich aber dennoch - in einem System, das die Erteilung von Aufenthaltstiteln vorsieht - aus Art. 8 EMRK unter besonderen Umständen eine Verpflichtung des Staates ergeben könne, den Aufenthalt eines Fremden zu ermöglichen, mit der Folge, dass die Verweigerung der Erteilung eines Aufenthaltstitels einen Eingriff in dieses Grundrecht bilde (siehe III.2.1.3.2. der Entscheidungsgründe). In diesem Zusammenhang verwarf der Verfassungsgerichtshof die Überlegung, der in § 73 Abs. 4 NAG (alt) vorgesehene Feststellungsantrag biete ausreichenden Rechtsschutz. § 73 Abs. 4 NAG sei nur auf einen eng begrenzten Personenkreis, nämlich "Ehegatte oder unverheiratetes minderjähriges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind", anwendbar. Über diesen genannten Personenkreis hinaus sei die Erteilung eines Aufenthaltstitels "aus humanitären Gründen" jedoch nur - vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erachtet - von Amts wegen vorgesehen.
Im Erkenntnis vom 17. November 2011, Zl. 2010/21/0494, hat der Verwaltungsgerichtshof darauf Bezug genommen und ausgeführt, dass die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes keinen Zweifel daran lassen, dass auch Personen, die nicht als Familienangehörige im Sinn der oben wiedergegebenen Legaldefinition nach § 2 Abs. 1 Z 9 NAG gelten, gegebenenfalls in den Genuss eines humanitären Aufenthaltsrechts kommen müssen, wenn dies aus Gründen des Art. 8 EMRK geboten ist. Das können auch solche Personen sein, die sich noch nicht im Inland befinden, denen aber ausnahmsweise der ebenfalls vom Verfassungsgerichtshof angesprochene, aus Art. 8 EMRK abzuleitende Anspruch auf Familiennachzug zukommt. Will man - unter der Annahme, der Bf komme ein aus Art. 8 EMRK ableitbarer Anspruch auf Familiennachzug zu - ein sich aus den Überlegungen des Verfassungsgerichtshofes resultierendes verfassungswidriges Ergebnis vermeiden, so muss daher eine andere Alternative gefunden werden, um der nicht im Bundesgebiet aufhältigen Beschwerdeführerin den allenfalls gebotenen Aufenthaltstitel zuzuerkennen. Dafür bleibt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nur die Möglichkeit offen, den Begriff "Familienangehöriger" in § 46 Abs. 4 NAG (nunmehr in der Fassung des FrÄG 2011 § 46 Abs. 1 NAG) von der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG abzukoppeln. Besteht ein aus Art. 8 EMRK ableitbarer Anspruch auf Familiennachzug, so ist als "Familienangehöriger" in § 46 NAG demnach aus verfassungsrechtlichen Gründen auch jener - nicht im Bundesgebiet aufhältige - Angehörige erfasst, dem ein derartiger Anspruch zukommt.
Abgesehen von einer allgemeinen Bezugnahme auf Art. 8 EMRK hat sich die Bf ausschließlich damit begnügt aufzuzeigen, dass das Abstellen auf das Alter der Antragstellerin zum Entscheidungszeitpunkt willkürlich erfolgt sei und somit ein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot vorliege. Um ihre Rechtsmeinung zu untermauern hat die Bf auszugsweise Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes wiedergegeben.
So hat die Bf auch Teile des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom
17. November 2011, Zl. 2010/21/0494, dargestellt und im Hinblick darauf abgeleitet, dass sie von der belangten Behörde in ihren Rechten verletzt worden sei.
Es trifft zwar zu, dass der Verwaltungsgerichtshof in der angeführten Entscheidung diese Ausführungen gemacht hat.
Im Anschluss daran hat dieser aber ausgeführt, dass das „hier gewonnene Ergebnis nicht in Widerspruch mit jenen Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes zu § 46 Abs. 4 NAG steht, in denen bislang ungeachtet eines Vorbringens in Richtung Art. 8 EMRK am Begriff `Familienangehöriger´ im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG festgehalten wurde. In dem dem Erkenntnis vom 9. September 2010, Zl. 2008/22/0392, zugrunde liegenden Fall war – [wie im vorliegenden Fall] von vornherein nicht zu erkennen, dass ein sich aus Art. 8 EMRK ergebender Anspruch auf Familiennachzug bestehen könnte“.
Da die Bf weder im Verfahren vor der belangten Behörde noch im Beschwerdeverfahren ein Vorbringen erstattet, das auch nur ansatzweise auf einen aus Art. 8 EMRK abzuleitenden Anspruch auf Familiennachzug schließen lassen würde, war im Sinne der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes am Begriff `Familienangehöriger´ im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG festzuhalten.
2.3. Die für die Beurteilung eines Bescheides maßgebende Sach- und Rechtslage richtet sich gemäß der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig nach dem Zeitpunkt seiner Erlassung, also der Zustellung an die Partei. Dieser Grundsatz wurde auch auf Fälle der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG angewendet (vgl. etwa die Erkenntnisse vom
26. Jänner 2010, Zl. 2008/22/0296, und vom 5. Oktober 2010,
Zl. 2010/22/0156 mwN). In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 47 Abs. 2 NAG das Vorliegen der Minderjährigkeit noch im Entscheidungszeitpunkt und nicht zur Zeit der Antragstellung maßgeblich ist (vgl. die Erkenntnisse vom 14. Dezember 2010, Zl. 2008/22/0882 und vom 18. April 2011,
Zl. 2008/21/0539).
Soweit die Beschwerde der belangten Behörde Willkür (Zuwarten mit der Entscheidung) vorwirft, kann sie hieraus nichts gewinnen. Aus der zwischen Antragstellung (am 28. Jänner 2013) und Eintritt der Volljährigkeit (13. Februar 2013) verstrichenen Zeit ist nämlich keine ungebührliche Verzögerung ableitbar (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 18. April 2011, Zl. 2008/21/0539).
Die begehrte Erteilung des Aufenthaltstitels „ROT-WEISS-ROT-Karte PLUS“ an die Bf gemäß § 46 NAG scheitert nach dem Gesagten am Fehlen von deren Minderjährigkeit im maßgebenden Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides, weil ihr im Hinblick darauf nicht mehr die Stellung eines Familienangehörigen iSd § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG zukommt.
Die Beschwerde war spruchgemäß als unbegründet abzuweisen war.
IV. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art.133 Abs.4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.
Landesverwaltungsgericht Oberösterreich
Mag. Stierschneider