LVwG-400038/2/MS/HUE/SH
Linz, 04.06.2014
I M N A M E N D E R R E P U B L I K
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seine Richterin Mag. Dr. Monika Süß über die Beschwerde von Frau x, x, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Schärding vom 30. April 2014, GZ: VerkR96-1830-2014,
zu Recht e r k a n n t :
I. Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Ziffer 1 VStG eingestellt. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Mit Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Schärding vom
30. April 2014, VerkR96-1830-2014, wurde gegen Frau x (im Folgenden: Bf), wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 6 Abs. 1 lit. a
Oö. Parkgebührengesetz iVm. der Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Schärding vom 22.3.2011, Zl. Verk-5-317-11-Si, eine Geldstrafe in Höhe von 36 Euro sowie im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatz-freiheitsstrafe von 12 Stunden verhängt. Als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens wurden 10 Euro vorgeschrieben.
In der Begründung führt die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der PKW mit dem amtlichen Kennzeichen x am 6. Februar 2013 um
16.46 Uhr im Stadtgebiet Schärding am Oberen Stadtplatz vor dem x in der Kurzparkzone abgestellt und ein Parkschein als Nachweis der bezahlten Parkgebühr im Kfz nicht aufgelegt gewesen sei. Durch die "letzte" Beantwortung der Lenkererhebung sei die Verwaltungsübertretung der Bf jedenfalls zuzurechnen.
Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Beschwerde vom 16. Mai 2014, in welcher die Behebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens beantragt wird. Begründend wird auf die Judikatur des Unabhängigen Verwaltungssenates Oberösterreich hingewiesen, wonach die im Wege der Lenkeranfrage unter Strafdrohung erzwungene Lenkerauskunft unzulässig sei, da zu diesem Zeitpunkt bereits ein Verwaltungsstrafverfahren gegen die Bf eingeleitet gewesen sei.
II. Beweis erhoben wurde durch die Einsichtnahme in den von der Bezirkshauptmannschaft Schärding mit Schreiben vom 20. Mai 2014 vorgelegten verfahrensgegenständlichen Akt. Von der Möglichkeit der Beschwerde-vorentscheidung wurde kein Gebrauch gemacht.
Da durch das Oö. Parkgebührengesetz nicht die Entscheidung durch einen Senat vorgesehen ist, erfolgte die Entscheidung durch einen Einzelrichter.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gem. § 24 Abs. 2 Ziffer 1 VwGVG abgesehen werden, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist und zudem von keiner Partei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt wurde.
III. Das Oö. Landesverwaltungsgericht geht von folgendem Sachverhalt aus:
Am 6. Februar 2013 um 16.46 Uhr war der PKW mit dem amtlichen Kennzeichen x im Stadtgebiet Schärding am Oberen Stadtplatz vor dem Haus x in der Kurzparkzone abgestellt, ohne dass im Kfz ein Parkschein als Nachweis der bezahlten Parkgebühr aufgelegt war.
Gegen die daraufhin an die Zulassungsbesitzerin dieses Kfz (=Bf) ergangene Strafverfügung vom 20. März 2014, Zl. VerkR96-1830-2014, wurde (zunächst ohne nähere Ausführungen) Einspruch erhoben. Im ordentlichen Ermittlungs-verfahren führte die Bf aus, dass sie die vorgeworfene Verwaltungsübertretung nicht begangen hat.
In weiterer Folge wurde die Bf als Zulassungsbesitzerin mit Schreiben vom
22. April 2014 zur Bekanntgabe des Fahrzeuglenkers unter Strafdrohung aufgefordert. Die Bf kam dieser Aufforderung mit E-Mail vom 29. April 2014 nach und benannte sich selbst als jene Person, welche den PKW am Tattag in der gegenständlichen Kurzparkzone abgestellt hat.
IV. Gemäß § 6 Abs. 1 Oö. Parkgebührengesetz (OöParkGebG) begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu 220 Euro zu bestrafen, wer durch Handlungen oder Unterlassungen die Parkgebühr hinterzieht oder verkürzt bzw. zu hinterziehen oder zu verkürzen versucht oder den Geboten des § 2 Abs. 2 oder den Geboten oder Verboten der aufgrund dieses Landesgesetzes erlassenen Verordnungen zuwiderhandelt.
V. Das Oö. Landesverwaltungsgericht hat erwogen:
V.1. Im gegenständlichen Fall ist unbestritten, dass die Bf das Kfz am Tattag auf der näher bezeichneten Kurzparkzone abgestellt hat, ohne dass ein Parkschein als Nachweis der bezahlten Parkgebühr im Kfz aufgelegt war. Es liegt somit objektiv gesehen ein tatbestandsmäßiges Handeln iSd § 6 Abs. 1 OöParkGebG iVm der Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Schärding vom 22.3.2001, Zl. Verk-5-317-11-Si, vor. Als essentiellen Verfahrensfehler rügt die Bf in ihrer Beschwerde unter Hinweis auf die Judikatur des Unabhängigen Verwaltungssenates Oberösterreich jedoch, dass das Vorgehen der belangten Behörde nicht rechtmäßig sei, weil gegen sie zuerst eine Strafverfügung erlassen und sie erst im Nachhinein aufgefordert worden ist, den Fahrzeuglenker bekannt zu geben. Die Verwertung dieser unter Strafdrohung erteilten Lenkerauskunft widerspreche dem Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten.
V.2. Wie bereits im Erkenntnis des Oö. UVS v. 15.12.2010, Zl. VwSen-130629/2/Wei/Sta, festgehalten wurde, zählt zu den Rechten, die aus Art. 6 EMRK abgeleitet werden, auch das Recht, zu schweigen und sich nicht selbst beschuldigen zu müssen ("nemo tenetur"). Danach ist es Aufgabe der Strafverfolgungsbehörde, den Beschuldigten zu überführen, ohne hierfür auf Beweismittel zurückzugreifen, die durch Zwang oder Druckmittel gegen den Willen des Beschuldigten erlangt wurden.
Das Instrument der Lenkerauskunft nach § 2 Abs 2 OöParkGebG und nach dem § 103 Abs 2 KFG steht im Spannungsfeld zur Rechtsposition des Beschuldigten nach Art 6 EMRK, ist aber unter bestimmten Voraussetzungen damit vereinbar, solange nicht der Wesensgehalt der Garantie ausgehöhlt wird. Das Recht zu schweigen und sich nicht selbst zu beschuldigen, ist kein absolutes Recht und kann auf Grund von Verhältnismäßigkeitserwägungen eingeschränkt werden. Die Verletzung des Grundsatzes "nemo tenetur se ipsum accusare" ist in der Rechtsprechung des EGMR nach Art eines beweglichen Systems beurteilt worden, wobei Kriterien wie Art und Schwere des Zwangs zur Beweiserlangung, das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Verfolgung der Straftat und Bestrafung des Täters, die Existenz angemessener Verfahrensgarantien (Rechtsschutzeinrichtungen) und die Art der Verwertung des Beweismittels maßgeblich waren (vgl mit Nachw. zur EMRK-Judikatur Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008], 367 f, Rz 119; Reiter, Das Recht zu schweigen und sich nicht selbst beschuldigen zu müssen gemäß Art 6 EMRK, RZ 2010, 103 ff).
Die im Zusammenhang mit Art 6 EMRK bestehende verfassungsrechtliche Problematik zur Lenkerauskunft nach § 2 Abs 2 Oö. ParkGebG hatte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26. April 1999, Zl 97/17/0334, noch mit dem Formalargument abgetan, dass er im Hinblick auf die derogatorische Kraft der Verfassungsbestimmung des Art II der FAG-Novelle BGBl Nr. 384/1986 keine Bedenken unter dem Gesichtspunkt des verbotenen Zwangs zur Selbstbezichtigung habe. Ob sich Österreich durch die erwähnte Verfassungsbestimmung in Art II des Bundesgesetzes vom 26. Juni 1986, mit dem das Finanzausgleichsgesetz 1985 geändert wurde, konventionswidrig verhält, entziehe sich der Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichtshofs (so VwGH vom 26.04.1999, Zl. 97/17/0334).
Dieser formale Standpunkt erscheint heute aber überholt. Wie die ständige Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zeigt, ist es für seine autonome Auslegung des Art 6 EMRK unbeachtlich, ob in Österreich eine formale Verfassungsbestimmung als lex specialis einen Eingriff in die Grundrechtsgarantie zulässt oder nicht. Die Auslegung der in Österreich im Verfassungsrang stehenden Europäischen Menschenrechtskonvention durch den EGMR ist für Österreich verbindlich und daher wohl auch von der Vollziehung zu beachten, um Verurteilungen Österreichs zu vermeiden. So gesehen muss innerstaatlich zumindest hinsichtlich des Wesensgehalts zentraler Garantien der EMRK von übergeordneten, den Grundprinzipien oder Baugesetzen der Verfassung gleichgestellten Gewährleistungen ausgegangen werden: Der Grundsatz des "nemo tenetur" ist vor diesem Hintergrund (zwar nicht formal, aber materiell betrachtet) als quasi höherrangiges Verfassungsrecht anzusehen. Denn im Fall einer systemischen Nichtbeachtung der EMRK drohen jedem Konventionsstaat gravierende Konsequenzen, wobei die möglichen Sanktionen bis zum Ausschluss aus dem Europarat gehen können (vgl z.B. Meyer-Ladewig, Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Handkommentar [2003], 311, Rz 20 zu Art 46 EMRK). Das jüngst ergangene Urteil des EGMR vom 2. September 2010, Beschw Nr. 46344/06, im Fall Rumpf gg. BRD (vgl Newsletter Menschenrechte 5/2010, 275 ff) hat solche Konsequenzen deutlich vor Augen geführt. In diesem sog. "Piloturteilsverfahren" stellte der Gerichtshof auf Grund von zahlreichen Individualbeschwerden fest, dass das Fehlen eines wirksamen Rechtsbehelfs (Art 13 EMRK) gegen überlange Verfahrensdauer ein strukturelles bzw. systemisches Problem infolge von Unzulänglichkeiten in Deutschland sei. Dieser Konventionsstaat habe bisher keine Bereitschaft gezeigt, das schon länger bekannte Problem zeitgerecht zu lösen. Deshalb sei Deutschland nach Art 46 EMRK nunmehr zu verpflichten, unverzüglich, jedenfalls aber binnen Jahresfrist ab Rechtskraft des Urteils einen Rechtsbehelf oder eine Kombination von Rechtsbehelfen in das nationale Recht einzuführen, die nach den Schlussfolgerungen des Urteils auszugestalten sind und den genannten Schlüsselkriterien zu entsprechen haben (vgl Urteil des EGMR vom 2.09.2010, RN 73).
Nach Ansicht der erkennenden Richterin des Oö. Landesverwaltungsgerichtes könnte auch Österreich ein solches Vorgehen des EGMR drohen, wenn mit formalen Verfassungsbestimmungen wie dem § 103 Abs 2 KFG oder dem Art II FAG Novelle Nr. 384/1986 systematisch versucht wird, die rechtsstaatlichen Grundsätze der EMRK zu unterlaufen. Die Lösung des Normkonfliktes liegt bei materieller Betrachtung in der Anerkennung eines quasi übergeordneten Rechts der EMRK, das effektiv den Rahmen der Anwendbarkeit von problematischen Verfassungsbestimmungen einschränkt, wenn und soweit diese den in der Judikatur des EGMR entwickelten Wesensgehalt der Grundrechte der EMRK verletzen: Österreich ist in diesem Sinne zu einer konventionskonformen Interpretation verpflichtet.
Mittlerweile gibt es zur Grundrechtsproblematik im Zusammenhang mit Lenkerauskünften eine Judikaturlinie des EGMR, die den Wesensgehalt des
Art 6 EMRK konkreter festlegt. Im Fall Weh gg Österreich (vgl MRK 2004/24 in ÖJZ 2004, 853 ff) hatte der EGMR mit Urteil vom 8. April 2004, Beschw Nr. 38544/97, eine Verletzung des Art 6 Abs 1 EMRK nur knapp (4:3 Stimmen) mit der Begründung verneint, dass nach den konkreten Umständen des Falles nur ein entfernter und hypothetischer Zusammenhang zwischen der Verpflichtung des Beschwerdeführers, über den Lenker seines Fahrzeuges Auskunft zu geben, und einem möglichen Strafverfahren gegen ihn bestanden habe. Ohne ausreichend konkrete Verbindung zu einem Strafverfahren sei der Zwang zur Erlangung von Informationen kein Problem. In der Begründung wies der Gerichtshof auf seine Judikatur hin, wonach das Recht, sich nicht selbst bezichtigen zu müssen, nicht per se die Anwendung von Zwang außerhalb eines Strafverfahrens verbiete.
Im Fall Weh wurde zu keiner Zeit ein Strafverfahren wegen Fahrens mit überhöhter Geschwindigkeit gegen den Beschwerdeführer geführt. Dieses Verfahren sei gegen unbekannte Täter geführt worden, als der Beschwerdeführer zur Lenkerauskunft nach § 103 Abs 2 KFG aufgefordert wurde. Somit habe der Fall nicht die Verwendung von unter Zwang erlangten Informationen in einem nachfolgenden Strafverfahren betroffen. Nichts weise darauf hin, dass der Beschwerdeführer "wesentlich berührt" war, sodass er als der Straftat beschuldigt iSd Art 6 Abs 1 EMRK angesehen hätte werden können. Er sollte nur als Zulassungsinhaber Auskunft erteilen, wer sein Fahrzeug gelenkt hatte. Er sei auch nur deshalb nach dem § 103 Abs 2 KFG bestraft worden, weil seine Informationen wegen der fehlenden Adresse des Lenkers unzureichend waren.
Diese Begründungslinie setzte der EGMR im Fall Rieg gg Österreich mit Urteil vom 24. März 2005, Beschw Nr. 63207/00 (vgl MRK 2006/7 in ÖJZ 2006, 342), unter Bezugnahme auf den Fall Weh fort und verneinte mit 5:2 Stimmen eine Verletzung des Art 6 Abs 1 EMRK. Wieder ging es um eine Lenkerauskunft nach dem § 103 Abs 2 KFG, die eine Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit einem Strafverfahren wegen Fahrens mit überhöhter Geschwindigkeit belasten hätte können. Abermals war dem Gerichtshof die Feststellung wichtig, dass ein solches Strafverfahren weder zur Zeit der Aufforderung zur Bekanntgabe des Lenkers noch danach gegen die Beschwerdeführerin geführt worden sei. Nichts weise daher darauf hin, dass die Bf als auskunftspflichtige Zulassungsbesitzerin "wesentlich berührt" und als der Straftat iSd Art 6 Abs 1 EMRK angeklagt anzusehen war. Der Fall unterscheide sich nicht vom Fall Weh.
Im Fall Mavromatis gg Österreich (MRK 2006/2 in ÖJZ 2006, 39) wies der EGMR die Beschwerde als offensichtlich unbegründet zurück und verwies dabei auf den Fall Weh. Da gegen die Bf kein Strafverfahren wegen überhöhter Geschwindigkeit geführt worden war, sei sie nicht "wesentlich berührt" und als einer Straftat angeklagt anzusehen gewesen.
Aus den oben dargestellten Entscheidungen des EGMR ist aber nach Ansicht des Oö. Landesverwaltungsgerichtes als - positiv formulierter - gemeinsamer Tenor abzuleiten, dass die Verwendung von unter Zwang erlangten Informationen gegen den Auskunftspflichtigen in einem anhängigen Strafverfahren unzulässig ist, weil der Betroffene unter diesen Umständen als iSd Art 6 Abs 1 EMRK angeklagt angesehen werden muss und damit "wesentlich berührt" wird.
Die Entscheidung Lückhof und Spanner gg. Österreich (vgl U EGMR vom 10.01.2008, Beschw Nr. 58.452/00 und 61.920/00, = Newsletter Menschenrechte 2008/1, 8 f) spricht nicht gegen den dargelegten Tenor, weil sich in diesen Fällen die Frage der Verwertung einer Lenkerauskunft im Strafverfahren wegen einer Geschwindigkeitsübertretung bzw. wegen unerlaubten Parkens nicht stellte. Die Beschwerdeführer wurden in beiden Fällen nur wegen Verletzung der Auskunftspflicht bestraft. Der EGMR hat im Fall Spanner nur scheinbar die Auskunft über die Lenkereigenschaft während des anhängigen Strafverfahrens nach dem Wiener Parkometergesetz wegen unerlaubten Parkens zugelassen. Dieses Strafverfahren wurde nämlich zumindest nachträglich eingestellt. Wie der Gerichtshof als Ergebnis im Wesentlichen festhielt, erteilte keiner der Beschwerdeführer die begehrte Auskunft. Es liege daher kein Problem bezüglich des Gebrauchs ihrer Angaben in den zugrundeliegenden Strafverfahren vor. Diese Verfahren wurden nämlich nicht fortgesetzt.
Der Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel nach § 46 AVG ermöglicht manchmal auch die Verwertung rechtswidrig erlangter Beweise. Dies gilt aber nicht allgemein, sondern nur mit wesentlichen Einschränkungen. So hat der Verfassungsgerichtshof die Blutabnahme an einem Bewusstlosen zwecks Blutalkoholbestimmung als nach § 5 Abs 6 StVO unzulässig und mit dem Anklageprinzip des Art 90 B-VG in seiner materiellen Bedeutung (Verbot des Zwangs zur Selbstbeschuldigung bzw. von medizinischen Eingriffen in den Körper als Beweis gegen sich selbst) unvereinbar angesehen (vgl VfSlg 11923/1988 unter Hinweis auf VfSlg 10976/1986). Schon im Jahr 1979 hatte ein verstärkter Senat des Verwaltungsgerichtshofs (vgl VwSlg 9975 A/1979) ausgesprochen, dass die verfassungsrechtliche Ausnahmebestimmung des § 5 Abs 6 StVO einschränkend zu interpretieren sei und eine zwangsweise Blutabnahme nicht zulasse. Verbotenerweise ohne Verlangen oder Zustimmung des Beschuldigten erlangte Blutproben dürften daher nicht zur Herstellung des Schuldbeweises verwendet werden. Dabei sei auch zu bedenken, dass der Beschuldigte kein den Beweiszielen dienstbares Untersuchungsobjekt sei, sondern die Stellung als Partei gemäß § 32 VStG und Rechtssubjekt im Verwaltungsstrafverfahren habe. Er könne gemäß § 33 Abs 2 VStG zur Beantwortung der an ihn gestellten Fragen nicht gezwungen werden. Im Ergebnis nahm der verstärkte Senat ein Beweisverwertungsverbot an. Erfolgte die Blutabnahme aber nur zum rechtmäßigen Zweck der Heilbehandlung im Krankenhaus oder hinterließ der Lenker Blut am Unfallort, so liege kein verbotener Zwang zur Selbstbeschuldigung vor, wenn das Untersuchungsergebnis in einem Strafverfahren nach § 5 Abs 1 StVO verwertet wird (vgl VwSlg 15594 A/2001).
Im Allgemeinen hat der Verwaltungsgerichthof angenommen, dass auf gesetzwidrige Weise gewonnene Beweisergebnisse zur Ermittlung der materiellen Wahrheit unzulässig sind, wenn das Gesetz dies anordnet oder wenn die Verwendung des betreffenden Beweisergebnisses dem Zweck des durch seine Gewinnung verletzten Verbotes widerspräche (vgl VwGH 05.06.1993, Zl. 91/10/0130 = JBl 1994, 196; VwSlg 11540 A/1984).
Die belangte Behörde hat im vorliegenden Fall allein auf Grund der internen "Organmandat-Auskunft", wonach das auf die Bf zugelassene Kraftfahrzeug mit dem Kennzeichen x am 6. Februar 2014 um 16.46 Uhr in einer gebührenpflichtigen Zone in der Stadtgemeinde Schärding, Oberer Stadtplatz vor dem Haus x, ohne Parkschein abgestellt und das Organmandat nicht bezahlt worden war, gegen die Bf die Strafverfügung vom 20. März 2014 erlassen und darin (ohne konkrete Anhaltspunkte) behauptet, dass sie selbst das Kraftfahrzeug abgestellt und der Verpflichtung zur Entrichtung der Parkgebühr nicht nachgekommen sei. Die Bf erhob dagegen mit E-Mail vom 4. April 2014 rechtzeitig Einspruch, ohne dafür eine Begründung zu geben.
In weiterer Folge hat die belangte Strafbehörde die Bf im ordentlichen Ermittlungsverfahren mit Schreiben vom 22. April 2014 zur Bekanntgabe des Fahrzeuglenkers gemäß § 2 Abs 2 Oö. Parkgebührengesetz aufgefordert und bei der Bf unter Strafandrohung Auskunft darüber verlangt, wer das Fahrzeug zuletzt vor dem Tatzeitpunkt am Tatort gelenkt und in der gebührenpflichtigen Kurzparkzone abgestellt hatte. Die Bf erteilte daraufhin mit E-Mail vom
29. April 2014 die Auskunft, selbst das Fahrzeug gelenkt und abgestellt zu haben.
Die belangte Behörde hat im anhängigen Strafverfahren gegen die Bf wegen des unerlaubten Parkens ohne Entrichtung der Parkgebühr das Instrument der strafbewehrten Lenkerauskunft als Beweismittel gegen die Bf, die keine Angaben in ihrem Einspruch gemacht hatte, eingesetzt.
In einem vergleichbaren Fall, in dem die belangte Behörde ebenfalls zunächst eine Strafverfügung erlassen hatte und erst im Nachhinein den Beschuldigten zur Bekanntgabe des Fahrzeuglenkers aufforderte, führte der Oö. Verwaltungssenat mit Erkenntnis vom 25. Februar 2008, VwSen-130583/2/Gf/Mu/Se, unter Hinweis auf Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention (2008) Rz 119 und die dort zitierte Rechtsprechung aus, dass der Beschuldigte nicht zur Lenkerauskunft verhalten werden dürfe, um sich dabei unter Zwang selbst beschuldigen zu müssen. Diesen Effekt habe nämlich die Beantwortung einer Lenkeranfrage dadurch, dass der Beschuldigte entweder keinen Dritten benennt, oder explizit angibt, selbst gefahren zu sein.
Nach Ansicht der erkennenden Richterin des Oö. Landesverwaltungsgerichtes verletzt die Vorgangsweise der belangten Behörde den Wesensgehalt des aus Art 6 Abs 1 EMRK abzuleitenden Rechts zu schweigen und sich nicht selbst belasten zu müssen. Dadurch, dass die Strafbehörde während eines konkret gegen die Bf geführten Strafverfahrens wegen Hinterziehung von Parkgebühren auf das Instrument der Lenkerauskunft zurückgriff, um die Bf zu einer bestimmten Äußerung zu zwingen, hat sie gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des "nemo tenetur" verstoßen und das Verbot des Zwangs zu Selbstbelastung nach § 33 Abs 2 VStG iVm Art 6 Abs 1 EMRK verletzt. Die Verwendung des dadurch erzwungenen Tatsachengeständnisses der Bf als Schuldbeweis im anhängigen Strafverfahren und die Erlassung eines Straferkenntnisses allein auf dieser Beweisgrundlage widerspricht eindeutig der oben dargestellten Judikatur des EGMR und berührt die Bf in ihrer Rechtsposition als Partei des Strafverfahrens wesentlich. Auch die Beweislast im Strafverfahren wird dadurch auf die Bf verlagert. Diese Verwendung der Auskunft widerspricht selbstredend dem Zweck des Verbots zur Selbstbelastung, weshalb in solcher Art gewonnene Beweise auch nach der Judikatur des Verwaltungsgerichthofs zur Ermittlung der materiellen Wahrheit unzulässig erscheinen.
Der belangten Behörde ist schließlich auch der mit Urteil des EGMR vom 18. März 2010, Beschw Nr. 13201/05, entschiedene Fall Krumpholz gg. Österreich (vgl MRK 2010/7 in ÖJZ 2010, 782) entgegen zu halten, in dem der Gerichtshof einstimmig eine Verletzung von Art 6 Abs 1 und Abs 2 EMRK angenommen hatte. Auch in diesem Fall gab es keinen Beweis oder auch nur Hinweis auf die Identität des Fahrers. Dadurch dass der Beschwerdeführer zur Auskunftserteilung (spezifisches Vorbringen über seinen Aufenthalt) verpflichtet wurde, obwohl kein überzeugender Anscheinsbeweis gegen ihn erbracht werden konnte, sah der EGMR die Beweislast von der Anklage auf die Verteidigung verlagert. Ein Ziehen von Rückschlüssen aus einer solchen Situation hätte zumindest eine Befragung des Beschwerdeführers erfordert, um einen direkten Eindruck von seiner Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Der EGMR erachtete das Recht zu schweigen und die Unschuldsvermutung als verletzt.
Im Hinblick auf den relativen Charakter des Rechts, zu schweigen und sich nicht selbst belasten zu müssen, könnte man noch weitere Verhältnis-mäßigkeitserwägungen nach den oben angeführten Kriterien anstellen wollen. Zur Art und dem Ausmaß des Zwangs bei Erlangung des Beweismittels hat der EGMR im Fall Lückhof und Spanner klargestellt, dass der Grad des Zwanges auch bei geringen Geldstrafen ausreichend ist, weil im österreichischen Verwaltungsstrafrecht Geldstrafen mit Ersatzfreiheitsstrafen einhergehen und daher unterschiedliche Geldstrafen nicht ausschlaggebend sind. Das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Verfolgung der Straftat und Bestrafung des Täters und die Existenz angemessener Verfahrensgarantien (Rechtsschutzeinrichtungen) sind weitere Gesichtspunkte.
Das erkennende Landesverwaltungsgericht ist der Ansicht, dass es beim unerlaubten Parken ohne Entrichtung von Parkgebühren um ein Bagatelldelikt geht, bei dem das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Verfolgung nur gering erscheint. Die Verwertung einer erzwungenen Lenkerauskunft als Schuldbeweis im Strafverfahren widerspricht nicht nur offenkundig dem gemäß Art 6 Abs 1 EMRK gewährleisteten Recht, zu schweigen und sich nicht selbst belasten zu müssen, sondern steht auch außer Verhältnis zur geringen Bedeutung der verfolgten Bagatellstraftat (vgl bereits VwSen-130583/2/Gf/Mu/Se vom 25.02.2008). Verfahrensgarantien gegen die Verwendung der Lenkerauskunft als Schuldbeweis hat die belangte Behörde nicht eingeräumt. Sie hat vielmehr ohne Bedenken die Auskunft der Bf als Zugeständnis gewertet, dass sie zur Tatzeit selbst das Fahrzeug verwendet und in einer gebührenpflichtigen Parkzone ohne Parkschein abgestellt hatte.
Wie der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich schon im oben zitierten Erkenntnis zum Ausdruck brachte, hätte die belangte Behörde noch vor Einleitung eines konkreten Strafverfahrens ermitteln müssen, wer das Kraftfahrzeug vor dem Abstellen gelenkt hat. Solange noch kein Strafverfahren gegen eine bestimmte Person geführt wird, besteht nach der Judikatur des EGMR nur ein entfernter und hypothetischer Zusammenhang zwischen der Verpflichtung des Zulassungsbesitzers, über den Lenker seines Fahrzeuges Auskunft zu geben, und einem möglichen Strafverfahren gegen ihn. In diesem Stadium gilt der Auskunftspflichtige noch nicht als angeklagt iSd Art 6 EMRK und damit "wesentlich berührt". Deswegen steht der Grundsatz des "nemo tenetur" der Auskunftspflicht zu dieser Zeit noch nicht entgegen (vgl auch mwN Grabenwarter, Europäische Menschrechtskonvention, 368, Rz 119).
Nach Einleitung des Strafverfahrens darf kein Zwang zur Selbstbeschuldigung mehr ausgeübt werden und es dürfen rechtswidrig entgegen dem Verbot des § 32 Abs 2 AVG iVm Art 6 Abs 1 EMRK gewonnene Beweisergebnisse nicht verwertet werden. Denn die Verwendung des betreffenden Beweisergebnisses würde dem Zweck des durch seine Gewinnung verletzten Verbotes widersprechen (vgl dazu VwGH 05.06.1993, Zl. 91/10/0130 = JBl 1994, 196; VwSlg 11540 A/1984).
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die unter Androhung einer Verwaltungsstrafe erzwungene Lenkerauskunft während des gegen die Bf geführten Strafverfahrens hinsichtlich des der Lenkerauskunft zugrunde liegenden Delikts und die Verwertung des Ergebnisses der Lenkerauskunft als Schuldbeweis in diesem Strafverfahren unzulässig waren, weil mit Art 6 Abs 1 und Abs 2 EMRK unvereinbar. Durch diese Vorgangsweise der belangten Behörde wurde nicht nur verbotener Zwang zur Selbstbelastung ausgeübt, sondern auch entgegen der Unschuldsvermutung die Beweislast auf die Bf verlagert, zumal kein Anscheinsbeweis für die Lenkereigenschaft der Bf vorlag.
VI. Im Ergebnis war daher der Beschwerde Folge zu geben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG mangels eines gesetzlichen Schuldbeweises iSd Art 6 EMRK einzustellen. Bei diesem Verfahrensergebnis entfiel gemäß § 66 Abs 1 VStG auch die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens.
VII. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des
Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.
Landesverwaltungsgericht Oberösterreich
Mag. Dr. Süß
Beachte:
Das angefochtene Erkenntnis wurde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
VwGH vom 13. Juli 2017, Zl.: Ra 2014/17/0018-6