LVwG-000188/6/Gf/Mu

Linz, 19.12.2016

I M  N A M E N  D E R  R E P U B L I K

 

 

 

Das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich hat durch seinen Einzelrichter Dr. Grof über die Beschwerden des R S gegen zwei Straferkenntnisse des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 6. Oktober 2016, Zln. SanRB96-456 und 458-2015, wegen Übertretungen des Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes

 

 

 

z u  R e c h t  e r k a n n t :

 

 

 

I. Den Beschwerden wird gemäß § 50 VwGVG stattgegeben; die angefochtenen Straferkenntnisse werden aufgehoben und die Verwaltungsstrafverfahren nach § 38 VwGVG i.V.m. § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG eingestellt.

 

II. Der Beschwerdeführer hat gemäß 52 Abs. 9 VStG weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Kostenbeitrag für das Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich zu leisten; zugleich entfällt die Grundlage für ein Kostenersatzbegehren der AGES i.S.d. § 71 Abs. 3 LMSVG.

 

III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 25a VwGG nicht zulässig.

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

 

 

I.

 

Ablauf des Behördenverfahrens

 

 

1. Mit Schreiben des Amtes der Oberösterreichischen Landesregierung vom 16. Juli 2015, Zl. ESV-530826-2015/Hn, wurde gegen den Rechtsmittelwerber wegen des Verdachtes einer Übertretung des Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes eine Anzeige an die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck erstattet.

 

Dieser zufolge hätten zwei Lebensmittelaufsichtsorgane anlässlich einer am 10. März 2015 um 8:00 Uhr in den Betriebsräumlichkeiten des Beschwerdeführers durchgeführten Kontrolle drei Proben eines von ihm produzierten Lebensmittels (nämlich: Butter) entnommen und diese der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH – Institut für Lebensmittelsicherheit Wien (im Folgenden kurz: AGES) zur Begutachtung übersandt.

 

Der Anzeige waren die Amtlichen Untersuchungszeugnisse der AGES vom 30. Juni 2015, Zl. 15026331, und vom 7. Juli 2015, Zl. 15026330, sowie zwei Kostennoten beigelegt.

 

Aus den Untersuchungszeugnissen ergebe sich, dass eine Packung des von der AGES als „BIO-Sauerrahm-Butter Stange aus Rohrahm, gesalzen“ (bzw. vom Beschwerdeführer als „[Rohmilch-]Butter mit Fleur de Sel aus Sauerrahm“) bezeichneten Produktes nach dessen Lagerung bis zum angegebenen Mindesthaltbarkeitsdatum in einem Ausmaß von 2,1 Mio KBE (= Kolonien bildende Einheiten) pro Gramm und eine Packung des von der AGES als „BIO Sauerrahm-Butter aus Rohrahm“ (bzw. vom Rechtsmittelwerber als „Rohmilch-Butter Heu-Rohmilch-Bio“) bezeichneten Produktes nach dessen Lagerung bis zum angegebenen Mindesthaltbarkeitsdatum in einem Ausmaß von 2,2 Mio KBE pro Gramm durch Hefen verunreinigt gewesen sei. Dem gegenüber sei in der mit Erlass des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen vom 20. November 2006, Zl. BMGF-75220/0045/-IV/7/2006, veröffentlichten Leitlinie über mikrobiologische Kriterien für Milch und Milchprodukte ein Höchstgrenzwert von 100.000 KBE pro Gramm vorgesehen, sodass die begutachteten Proben nicht den Anforderungen des Anhanges II Kap. IX Z. 3 zur VO (EG) 852/2004 entsprochen hätten.

 

2. Aufgrund dieser Anzeige hat der Bezirkshauptmann von Vöcklabruck hinsichtlich beider Produkte am 29. Juli 2015 eine Strafverfügung erlassen.

 

3. Gegen diese Strafverfügungen wurde vom Beschwerdeführer jeweils rechtzeitig Einspruch erhoben, und zwar im Wesentlichen mit der Begründung, dass eine von der Untersuchungsanstalt AGROLAB vorgenommene Begutachtung von späteren Proben der in Rede stehenden Produkte keinerlei Auffälligkeiten im Hinblick auf eine Grenzwertüberschreitung (allerdings in Bezug auf eine Kontaminierung mit „escherichia coli“) ergeben hätte. Die seitens der AGES festgestellten hohen Hefen-Werte ließen sich – wie aus einer nachfolgenden Stellungnahme hervorgeht – unschwer daraus erklären, dass der Rechtsmittelwerber zur Herstellung seiner Butter nicht pasteurisierte, sondern rohe Milch verwende.

 

4. Hierzu hat die AGES in einem ergänzenden Gutachten vom 1. August 2016, Zl. 16080649, festgestellt, dass Bakterien und Hefen hauptsächlich in der wässrigen Phase der Milch überleben würden, diese jedoch im Zuge der Herstellung von Butter vom Fettanteil abgetrennt werde; daher könne unter Anwendung einer guten Hygienepraxis und Festsetzung eines plausiblen Mindesthaltbarkeitsdatums auch bei aus nicht pasteurisierter Milch hergestellter Butter unschwer ein Hefen-Grenzwert von 100.000 KBE pro Gramm eingehalten werden.

 

5. Davon ausgehend hat der Bezirkshauptmann von Vöcklabruck mit Straferkenntnissen vom 6. Oktober 2016, Zln. SanRB-456 u. 458-2015, über den Rechtsmittelwerber jeweils eine Geldstrafe in Höhe von 300 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: insgesamt 4 Tage; Verfahrenskostenbeitrag insgesamt: 60 Euro; Untersuchungskosten insgesamt: 126,40 Euro) verhängt, weil er am 10. März 2015 einerseits das Lebensmittel „BIO Sauerrahm-Butter Stange aus Rohrahm, gesalzen“ und andererseits das Lebensmittel „BIO Sauerrahm-Butter aus Rohrahm“ im Tiefkühlraum bzw. Kühlraum seines Unternehmens (d.h. seines „Natur-Bauernhofs“) feilgehalten und somit in Verkehr gebracht habe, obwohl dieses durch 2,1 Mio KBE Hefen pro Gramm bzw. durch 2,2 Mio KBE Hefen pro Gramm verunreinigt gewesen sei. Dadurch habe er jeweils eine Übertretung des § 90 Abs. 3 Z. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 des Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes, BGBl I 13/2006 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl I 67/2014 (im Folgenden: LMSVG), und i.V.m. Art. 4 Abs. 2 und Anh. II Kap. IX Z. 3 zur VO (EG) 852/2004 sowie i.V.m. Art. 3 Z. 3 und Z. 8 der VO (EG) 178/2002 begangen, weshalb er jeweils nach der erstgenannten Bestimmung zu bestrafen gewesen sei.

 

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass die dem Rechtsmittelwerber angelasteten Übertretungen auf Grund der Untersuchungszeugnisse der AGES vom 30. Juni 2015 bzw. vom 7. Juli 2015 sowie deren Gutachten vom 1. August 2016 als erwiesen anzusehen sei.

 

Im Zuge der Strafbemessung seien mehrere einschlägige Verwaltungsübertretungen als erschwerend und die ungünstigen Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschwerdeführers (jährliches Durchschnittseinkommen: minus 5.582 Euro; Sorgepflicht für ein minderjähriges Kind; Verbindlichkeiten in Höhe von 300.000 Euro; kein Vermögen) entsprechend berücksichtigt worden.

 

6. Gegen diese ihm jeweils am 21. Oktober 2016 zugestellten Straferkenntnisse richten sich die gegenständlichen, am 27. Oktober 2016 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebenen Beschwerden an das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich.

 

Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass dem Rechtsmittelwerber weder jene wissenschaftlichen Untersuchungen, auf die sich der erlassmäßig festgelegte Grenzwert von 100.000 KBE für Hefen stützt, noch andere Produzenten bekannt seien, die diesen über mehrere Jahre hinweg problemlos einhalten könnten.

 

Sollte ihm die Behörde nicht binnen 8 Tagen entsprechende Nachweise übermitteln, gehe er davon aus, dass solche Untersuchungen nicht existieren würden.

 

Aus diesen Gründen wird – erschließbar – die Aufhebung der angefochtenen Straferkenntnisse und die Einstellung der Verwaltungsstrafverfahren beantragt.

 

7. Mit Schreiben vom 4. November 2016 hat die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck die Bezug habenden Akten – ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung – dem Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich vorgelegt.

 

 

II.

 

Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes des Landes Oberösterreich

und Zulässigkeit der Beschwerde

 

 

1. Die vorliegenden, auf Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG gegründeten Beschwerden richten sich gegen Straferkenntnisse einer Verwaltungsbehörde und wurden innerhalb der Vier-Wochen-Frist des § 7 Abs. 4 VwGVG bei der belangten Behörde eingebracht; da der Inhalt dieser Beschwerden den Anforderungen des § 9 VwGVG entspricht und auch sonstige Prozesshindernisse nicht vorliegen, sind sie insgesamt als zulässig anzusehen.

 

2. Weil diesbezüglich weder im LMSVG noch im VwGVG Abweichendes angeordnet ist, hatte das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich im vorliegenden Fall gemäß Art. 135 Abs. 1 B‑VG durch (seinen nach der Geschäftsverteilung zuständigen) Einzelrichter zu entscheiden.

 

 

III.

 

Sachverhaltsermittlung und Beweiswürdigung

durch das Verwaltungsgericht

 

 

Das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die Akten der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck zu Zln. SanRB-456 u. 458-2015 sowie im Wege der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung am 15. Dezember 2016, zu der als Partei H N als Vertreterin der belangten Behörde erschienen ist.

 

Im Zuge dieser Beweisaufnahme wurde der bereits oben unter I. dargestellte Sachverhalt festgestellt.

 

 

IV.

 

Rechtliche Beurteilung

 

 

In der Sache selbst hat das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich über die vorliegenden Beschwerden erwogen:

 

1.1. Gemäß § 90 Abs. 3 Z. 1 LMSVG beging derjenige eine Verwaltungsübertretung und war hierfür mit einer Geldstrafe bis zu 50.000 Euro zu bestrafen, der den in der Anlage zum LMSVG genannten unmittelbar anwendbaren Rechtsakten der Europäischen Union zuwiderhandelte.

 

Nach Teil 2 Z. 1 der Anlage zum LMSVG stellt die Verordnung (EG) 852/2004 über Lebensmittelhygiene (im Folgenden kurz: LMHV) eine solche Verordnung dar, die gemäß § 4 Abs. 1 LMSVG zu vollziehen und damit von § 90 Abs. 3 Z. 1 LMSVG erfasst ist.

 

Gemäß Art. 4 Abs. 2 LMHV haben Lebensmittelunternehmer (dies sind nach dem Ersten Erwägungsgrund der Präambel zur LMHV i.V.m. Art. 3 Z. 3 der Verordnung [EG] 178/2002 jene natürlichen oder juristischen Personen, die dafür verantwortlich sind, dass die Anforderungen des Lebensmittelrechts in dem ihrer Kontrolle unterstehenden Lebensmittelunternehmen erfüllt werden), die auf Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen von Lebensmitteln tätig sind, die den Arbeitsgängen der Primärproduktion nachgeordnet sind, u.a. die allgemeinen Hygienevorschriften gemäß Anhang II zur LMHV zu erfüllen.

 

Nach Anhang II Kapitel IX Z. 3 zur LMHV sind Lebensmittel auf allen Stufen der Erzeugung, der Verarbeitung und des Vertriebs vor Kontaminationen zu schützen, die sie für den menschlichen Verzehr ungeeignet oder gesundheitsschädlich machen bzw. derart kontaminieren, dass ein Verzehr in diesem Zustand nicht zu erwarten wäre.

 

1.2. Auf S. 13 des Erlasses des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen vom 20. November 2006, Zl. 75220/0045-IV/7/2006 („Leitlinie über mikrobiologische Kriterien für Milch und Milchprodukte“)[1], ist u.a. in Bezug auf Sauerrahmbutter aus Rohmilch für Hefen ein Grenzwert von 100.000 Kolonien bildenden Einheiten (KBE) festgelegt.

 

Diesem Erlass bzw. dieser Leitlinie kommt jedoch mangels entsprechender Kundmachung nicht die rechtliche Qualität einer Verordnung und damit auch keine Außenwirkung zu.  

 

1.3. Zusammengefasst resultiert daher aus allen diesen Rechtsvorschriften folgende Gebotsnorm:

 

Ein Lebensmittelunternehmer, der entweder auf der Produktions-, der Verarbeitungs- oder der Vertriebsstufe von Lebensmitteln tätig ist, muss sicherstellen, dass seine Lebensmittel auf allen Stufen der Erzeugung, der Verarbeitung und des Vertriebs vor solchen Kontaminationen geschützt sind, die sie für den menschlichen Verzehr ungeeignet oder gesundheitsschädlich machen bzw. sicherstellen, dass diese nicht derart kontaminiert werden, dass ein Verzehr in diesem Zustand nicht zu erwarten wäre (darüber hinaus soll insbesondere Sauerrahmbutter zum Ende des angegebenen Mindesthaltbarkeitsdatums in Bezug auf Hefen einen Wert von 100.000 KBE nicht überschreiten).

 

Verletzt ein Lebensmittelunternehmer diese Gebotsnorm, so verwirklicht er den Tatbestand einer Verwaltungsübertretung; dieses deliktische Verhalten ist mit einer Geldstrafe bis zu 50.000 Euro bedroht.

 

1.4. Rechtssystematisch besehen normieren daher die Bestimmungen des § 90 Abs. 3 Z. 3 LMSVG, des § 4 Abs. 1 LMSVG, der Z. 1 des Teiles 2 der Anlage zum LMSVG, des Art. 4 Abs. 2 der LMHV i.V.m. des Ersten Erwägungsgrundes der Präambel zur LMHV und i.V.m. Art. 3 Z. 3 der VO (EG) 178/2002, und der Z. 3 des Kapitels IX der Anlage II zur LMHV in ihrer Gesamtheit drei unterschiedliche Tatbestände, die hinsichtlich ihres Unrechtsgehalts wesentlich divergieren, nämlich (jeweils auf das Wesentliche reduziert) eine faktische Kontamination des Lebensmittels derart,

 

− dass dieses für den menschlichen Verzehr gesundheitsschädlich ist oder

 

− dass dieses für den menschlichen Verzehr (bloß) ungeeignet ist oder

 

− dass (lediglich) ein Verzehr in diesem Zustand nicht zu erwarten ist.

 

2. Im gegenständlichen Fall steht allseits unbestritten fest, dass die vom Beschwerdeführer zum Vorfallszeitpunkt in seinem Betrieb vorrätige, aus rohem (= nicht pasteurisiertem) Rahm erzeugte und in der Folge von der AGES begutachtete Butter zum Ablauf des angegebenen Mindesthaltbarkeitsdatums eine Hefekontamination von 2,1 bzw. 2,2 Mio KBE pro Gramm aufwies.

 

Allerdings lässt sich weder dem Gutachten der AGES vom 30. Juni 2015, Zl. 15026331, noch jenem vom 7. Juli 2015, Zl. 15026330, entnehmen, ob bzw. dass die festgestellte (einundzwanzig- bzw. zweiundzwanzigfache) Überschreitung des im Erlass des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen (BMGF) vom 20. November 2006, Zl. 75220/0045-IV/7/2006 („Leitlinie über mikrobiologische Kriterien für Milch und Milchprodukte“), auf S. 13 in Bezug auf Hefen mit 100.000 Kolonien bildenden Einheiten festgelegten Grenzwertes die verfahrensgegenständlichen Lebensmittel auch entweder für den menschlichen Verzehr ungeeignet oder gesundheitsschädlich machten bzw. derart kontaminierten, dass ein Verzehr in diesem Zustand nicht zu erwarten gewesen wäre.

 

Darüber hinaus wurden – abgesehen davon, dass dem Erlass des BMGF im Außenverhältnis keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt – seitens der belangten Behörde auch sonst keine in diese Richtung führenden Ermittlungsergebnisse vorgelegt.

 

Würde ein derartiger, (nicht bloß erlassmäßig, sondern) in außenwirksamer Form rechtlich verbindlich normierter Grenzwert existieren, dann würde es im Hinblick auf das gemäß § 44a Z. 1 VStG festgelegte Konkretisierungsgebot hinreichen, wenn im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses zum einen bloß festgestellt wird, dass dieser überschritten wurde; in Ermangelung eines solcherart bindenden Grenzwertes ist es hingegen erforderlich, dem Beschuldigten anzulasten, durch welche konkret-kausale verbotene, ihm zurechenbare Tätigkeit bzw. durch welche Unterlassung er die Kontamination schuldhaft verursacht hat, weil dem Strafrecht im Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 EMRK, wonach der Beschuldigte bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld als unschuldig anzusehen ist, eine bloße sog. „Erfolgshaftung“ fremd ist.

 

Zum anderen ist es bei hinsichtlich ihres Unwertgehaltes erheblich divergierenden Deliktstatbeständen (wie hier: „Gesundheitsschädlichkeit“ – [bloße] „Ungeeignetheit zum Verzehr“ – „Verzehr [lediglich] nicht zu erwarten“) darüber hinaus – und zwar schon im Hinblick auf das strafrechtliche Legalitätsprinzip (vgl. Art. 7 Abs. 1 EMRK) und die Beurteilung der Frage der Verhältnismäßigkeit der Strafbemessung – auch erforderlich, den Spruch des Straferkenntnisses dahin zu konkretisieren, welches dieser Tatbilder die Behörde als erfüllt angenommen hat.

 

4. Im gegenständlichen Fall bestehen weder Ermittlungsergebnisse bzw. faktenmäßige Grundlagen dahin, welcher der in Frage kommenden Deliktstatbestände dem Rechtsmittelwerber konkret angelastet werden sollte, noch, durch welche spezifische Handlung bzw. Unterlassung der Beschwerdeführer diesen verwaltungsstrafrechtlich verpönten Erfolg herbeigeführt haben soll.

 

Aus den vorgenannten Gründen geht dieses „non liquet“ zu Lasten der Behörde (vgl. insbesondere jüngst EGMR vom 20. September 2016, 926/08 [„Karelin“], RN 55 und 56, wonach eine Vermischung von richterlicher und anklagender Funktion jedenfalls dem Prinzip der Unparteilichkeit i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK widerspricht), sodass vor dem Hintergrund der gegebenen Faktenlage gemäß Art. 6 Abs. 2 EMRK im Zweifel zu Gunsten des Beschwerdeführers davon auszugehen war, dass er den ihm zur Last gelegten Übertretungstatbestand nicht erfüllt hat.

 

5. Den vorliegenden Beschwerden war daher gemäß § 50 VwGVG stattzugeben und die angefochtenen Straferkenntnisse aufzuheben.

 

Im Hinblick auf die bereits seit langem abgelaufene einjährige Verfolgungsverjährungsfrist des § 31 Abs. 1 VStG waren darüber hinaus die Verwaltungsstrafverfahren nach § 38 VwGVG i.V.m. § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG einzustellen.

 

6. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Beschwerdeführer nach § 52 Abs. 9 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Kostenbeitrag für das Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich vorzuschreiben; zugleich entfällt damit auch die Grundlage für ein Kostenersatzbegehren der AGES i.S.d. § 71 Abs. 3 LMSVG.

 

 

V.

 

Revision an den Verwaltungsgerichtshof

 

 

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsge-richtshof unzulässig, weil im Zuge des vorliegenden Verfahrens keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

 

Weder weicht nämlich die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer solchen Judikatur; zudem ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

 

Schließlich liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der verfahrensgegenständlich zu lösenden Rechtsfragen vor.

 

 

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

 

 

Gegen dieses Erkenntnis kann eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Eine solche Beschwerde ist innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung des Erkenntnisses – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt abzufassen und einzubringen. Für die Beschwerde ist eine Eingabegebühr von 240 Euro zu entrichten.

 

Gegen dieses Erkenntnis kann innerhalb derselben Frist auch eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden, die durch einen bevollmächtigen Rechtsanwalt abzufassen und beim Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich einzubringen ist; die Eingabegebühr von 240 Euro ist hingegen unmittelbar an den Verwaltungsgerichtshof zu entrichten.

 

 

 

 

 

Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich

 

 

Dr.  G r o f

 

 

 

 

 

Rechtssatz:

 

LVwG-000188/6/Gf/Mu vom 19. Dezember 2016

 

Erkenntnis

 

Normen:

 

Art. 6 EMRK

Art. 7 EMRK

Art. 4 VO (EG) 852/2004 (= LMHV)

Präambel zur LMHV

Anlage zur LMHV

Art. 3 VO (EG) 178/2002

§ 90 LMSVG

Anlage zum LMSVG

§ 31 VStG

§ 44a VStG

§ 45 VStG

Erlass bzw. Leitlinie des BMGF über mikrobiologische Kriterien für Milch und Milchprodukte

 

 

Rechtssätze:

 

* Rechtssystematisch besehen normieren die Bestimmungen des § 90 Abs. 3 Z. 3 LMSVG, des § 4 Abs. 1 LMSVG, der Z. 1 des Teiles 2 der Anlage zum LMSVG, des Art. 4 Abs. 2 der LMHV i.V.m. des Ersten Erwägungsgrundes der Präambel zur LMHV und i.V.m. Art. 3 Z. 3 der VO (EG) 178/2002, und der Z. 3 des Kapitels IX der Anlage II zur LMHV in ihrer Gesamtheit drei unterschiedliche Tatbestände, die hinsichtlich ihres Unrechtsgehalts wesentlich divergieren, nämlich (jeweils auf das Wesentliche reduziert) eine faktische Kontamination des Lebensmittels derart,

− dass dieses für den menschlichen Verzehr gesundheitsschädlich ist  oder

− dass dieses für den menschlichen Verzehr (bloß) ungeeignet ist    oder

− dass (lediglich) ein Verzehr in diesem Zustand nicht zu erwarten ist;

 

* Im gegenständlichen Fall steht allseits unbestritten fest, dass die vom Bf. zum Vorfallszeitpunkt in seinem Betrieb vorrätige, aus rohem (= nicht pasteurisiertem) Rahm erzeugte und in der Folge von der AGES begutachtete Butter zum Ablauf des angegebenen Mindesthaltbarkeitsdatums eine Hefekontamination von 2,1 bzw. 2,2 Mio KBE pro Gramm aufwies. Allerdings lässt sich den Gutachten der AGES nicht entnehmen, ob bzw. dass die festgestellte (einundzwanzig- bzw. zweiundzwanzigfache) Überschreitung des im Erlass des BMGF vom 20.11.2006, Zl. 75220/0045-IV/7/2006 („Leitlinie über mikrobiologische Kriterien für Milch und Milchprodukte“), auf S. 13 in Bezug auf Hefen mit 100.000 KBE festgelegten Grenzwertes die verfahrensgegenständlichen Lebensmittel auch entweder für den menschlichen Verzehr ungeeignet oder gesundheitsschädlich machten bzw. derart kontaminierten, dass ein Verzehr in diesem Zustand nicht zu erwarten gewesen wäre. Darüber hinaus wurden – abgesehen davon, dass dem Erlass des BMGF im Außenverhältnis keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt – seitens der belangten Behörde auch sonst keine in diese Richtung führenden Ermittlungsergebnisse vorgelegt;

 

* Würde ein derartiger, (nicht bloß erlassmäßig, sondern) in außenwirksamer Form rechtlich verbindlich normierter Grenzwert existieren, dann würde es im Hinblick auf das gemäß § 44a Z. 1 VStG festgelegte Konkretisierungsgebot hinreichen, wenn im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses zum einen bloß festgestellt wird, dass dieser überschritten wurde; in Ermangelung eines solcherart bindenden Grenzwertes ist es hingegen erforderlich, dem Beschuldigten anzulasten, durch welche konkret-kausale verbotene, ihm zurechenbare Tätigkeit bzw. durch welche Unterlassung er die Kontamination schuldhaft verursacht hat, weil dem Strafrecht im Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 EMRK, wonach der Beschuldigte bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld als unschuldig anzusehen ist, eine bloße sog. „Erfolgshaftung“ fremd ist. Zum anderen ist es bei hinsichtlich ihres Unwertgehaltes erheblich divergierenden Deliktstatbeständen (wie hier: „Gesundheitsschädlichkeit“ – [bloße] „Ungeeignetheit“ zum Verzehr“ – Verzehr [lediglich] nicht zu erwarten) darüber hinaus – und zwar schon im Hinblick auf das strafrechtliche Legalitätsprinzip (Art. 7 Abs. 1 EMRK) und die Beurteilung der Frage der Verhältnismäßigkeit der Strafbemessung – auch erforderlich, den Spruch des Straferkenntnisses dahin zu konkretisieren, welches dieser Tatbilder die Behörde als erfüllt angenommen hat;

 

* Im gegenständlichen Fall bestehen weder Ermittlungsergebnisse bzw. faktenmäßige Grundlagen dahin, welcher der in Frage kommenden Deliktstatbestände dem Rechtsmittelwerber konkret angelastet werden sollte, noch, durch welche spezifische Handlung bzw. Unterlassung der Beschwerdeführer diesen verwaltungsstrafrechtlich verpönten Erfolg herbeigeführt haben soll. Aus den vorgenannten Gründen geht dieses „non liquet“ zu Lasten der Behörde (vgl. insbesondere jüngst EGMR vom 20.9.2016, 926/08 [„Karelin“], RN 55 und 56, wonach eine Vermischung von richterlicher und anklagender Funktion jedenfalls dem Prinzip der Unparteilichkeit i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK widerspricht), sodass vor dem Hintergrund der gegebenen Faktenlage gemäß Art. 6 Abs. 2 EMRK im Zweifel zu Gunsten des Bf. davon auszugehen war, dass er den ihm zur Last gelegten Übertretungstatbestand nicht erfüllt hat.

 

 

Schlagworte:

 

Lebensmittelkontamination; Gesundheitsschädlichkeit; Ungeeignetheit zum Verzehr; Nichterwartbarkeit des Verzehrs; Konkretisierungsgebot; Erfolgshaftung; Kausalität; Zurechenbarkeit; Deliktstatbestand; Legalitätsprinzip; non liquet; Unschuldsvermutung

 

 

 



[1] Vgl. www.ronge-partner.at/downloads/Leitlinie mikrobiologische Kriterien fuer Milch und Milchprodukte.pdf.