LVwG-480002/7/Wei
Linz, 21.09.2016
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Dr. Wolfgang Weiß über den Fristsetzungsantrag der M KFT, S, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. G S, L, gegen das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich in einer Beschwerdesache wegen Ausübung von verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch die Finanzpolizei Freistadt (Organe der Abgabenbehörde Freistadt Rohrbach Urfahr) bei Wahrnehmung von Überwachungs- und Kontrollaufgaben nach dem Glücksspielgesetz in Linz am 4. Dezember 2015 im Vorprüfungsverfahren gemäß § 30a Abs 1 iVm Abs 8 VwGG den
B E S C H L U S S
gefasst:
Der Fristsetzungsantrag wird als unzulässig zurückgewiesen.
B e g r ü n d u n g
I.1. Mit dem per Telefax am 12. Jänner 2016 außerhalb der Amtsstunden gesendeten Schriftsatz vom 11. Jänner 2016 (eingebracht daher am 13. Jänner 2016) brachte die Beschwerdeführerin (Bfin) durch ihren Rechtsvertreter eine wie folgt umschriebene Maßnahmenbeschwerde ein:
„gegen die Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt der Finanzpolizei Freistadt am 04.12.2015 ab ca. 17:30 Uhr im Lokal der Beschwerdeführerin im H 18, L, durch
1. Betreten des verschlossenen Lokales durch
das Aufbrechen von drei Türen
2 . Abkleben von acht Überwachungskameras
3. Entnahme von Strom
4. Aufbrechen von 18 Automaten“.
Die Bfin geht im Beschwerdeschriftsatz formal und nach dem Inhalt ihres Vorbringens davon aus, dass die Finanzpolizei Freistadt, F (=Adresse am Sitz der Abgabenbehörde Freistadt) als belangte Behörde anzusehen sei. Da es sich bei der Finanzpolizei aber nur um Organe der Abgabenbehörde handelt, ist damit wohl die zuständige Abgabenbehörde (Finanzamt Freistadt Rohrbach Urfahr) angesprochen.
I.2. Mit Schreiben vom 14. Jänner 2016 hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich diese Maßnahmenbeschwerde gemäß § 6 Abs 1 AVG iVm § 17 VwGVG an das Bundesfinanzgericht in Wien weitergeleitet und begründend wie folgt ausgeführt:
„...
In der Anlage übermittelt das Oö. Landesverwaltungsgericht dem Bundesfinanzgericht zuständigkeitshalber die ho. am 12. Jänner 2016 durch Rechtsanwalt Dr. G S per Telefax (außerhalb der Amtsstunden) übersendete Maßnahmenbeschwerde der M KFT vom 11. Jänner 2016 betreffend andere Zwangsakte als die vorläufige Beschlagnahme von Eingriffsgegenständen nach § 53 Abs 2 GSpG anlässlich einer Kontrolle nach dem GSpG durch die Finanzpolizei Freistadt am 4. Dezember 2015 im Lokal der Bfin in L, Im H 18.
§ 12 AVOG 2010 regelt Befugnisse der Organe der Abgabenbehörden (Finanzpolizei) nicht nur für Zwecke der Abgabenerhebung, sondern auch zur Wahrnehmung anderer durch Bundesgesetz übertragener Aufgaben (vgl etwa § 50 Abs 3 und 4 GSpG). Nach § 12 Abs 5 AVOG können die zur Überwachung der Einhaltung des Glücksspielgesetzes notwendigen Kontroll- und Beweissicherungsmaßnahmen von allen Finanzämtern vorgenommen werden. Als belangte Behörde ist danach das neben anderen auch zuständige Finanzamt Freistadt Rohrbach Urfahr anzusehen, dessen finanzpolizeilichen Organe tätig geworden sind. Es handelt sich um unmittelbare Vollziehung von Bundesrecht durch Organe der Abgabenbehörden des Bundes (Finanzpolizei).
Nach Art 131 Abs 3 B-VG bzw § 1 Bundesfinanzgerichtsgesetz (BGBl I Nr. 14/2013 idF BGBl I. Nr. 105/2014) entscheidet das Verwaltungsgericht des Bundes für Finanzen in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben sowie auch über Beschwerden in sonstigen gesetzlich festgelegten Angelegenheiten, die unmittelbar von den Abgaben- oder Finanzstrafbehörden des Bundes besorgt werden. Durch den § 1 Abs 3 Z 2 Bundesfinanzgerichtsgesetz ist nunmehr klargestellt, dass das Bundesfinanzgericht auch für Maßnahmenbeschwerden (Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG) wegen Ausübung finanzpolizeilicher Befugnisse in sonstigen gesetzlich festgelegten Angelegenheiten der Abgabenbehörden (bspw AuslBG, AVRAG oder GSpG) zuständig ist (vgl dazu Erl RV zu BGBl I Nr. 105/2014, 360 BlgNR 25. GP, 24).
Die Beschwerde wurde beim unzuständigen Landesverwaltungsgericht Oberösterreich eingebracht. Dieses Gericht hat nach § 17 VwGVG iVm § 6 Abs 1 AVG vorzugehen und die Beschwerde ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters formlos an die zuständige Stelle, nämlich das zur Behandlung und Entscheidung zuständige Bundesfinanzgericht, weiterzuleiten.
Anlage: Beschwerde im Original samt Beilage
Ergeht per Telefax zur Kenntnisnahme an Herrn RA Dr. G S, L.
...“
I.3. Mit dem am 19. Jänner 2016 per Telefax außerhalb der Amtsstunden gesendeten Schriftsatz (eingebracht daher am 20.01.2016) hat die Bfin einen sog. Beharrungsantrag (ohne ausdrückliche Antragstellung) eingebracht und die insbesondere auf das Bundesfinanzgerichtsgesetz (idF BGBl I Nr. 105/2014) und die Gesetzesmaterialien gestützte hg. Rechtsansicht als schlichtweg falsch bezeichnet. Zur Begründung wird auf den § 10b Abs 2 Z 2 lit c der Durchführungsverordnung des BMF zum AVOG 2010 verwiesen, aus dem klar hervorgehe, dass die Finanzpolizei nicht als Behörde, sondern als Unterstützungsorgan tätig werde. Dann wird der gesamte § 50 GSpG - teilweise mit Hervorhebungen - wiedergegeben um danach abermals festzuhalten, dass die Finanzpolizei als Hilfsorgan des Finanzamtes tätig werde. Behörde könne nur die BVB oder LPD sein. Die in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu BGBl I Nr. 105/2014 (360 BlgNR 25.GP, 24) vertretene Rechtsansicht entbehre jeder Grundlage und sei schlichtweg falsch.
I.4. Das Bundesfinanzgericht hat seine Zuständigkeit akzeptiert. Der zuständige Richter wurde jüngst noch einmal telefonisch kontaktiert und gab den Stand des Verfahrens bekannt (vgl Aktenvermerk vom 14.09.2016).
Eine gesonderte Zurückweisung der Beschwerde bzw der als Beharrungsantrag bezeichneten Eingabe hat das Oö. Landesverwaltungsgericht nicht vorgenommen.
II. Mit Schriftsatz vom 22. Juli 2016 hat die Bfin einen Fristsetzungsantrag samt 2 Beilagen elektronisch per ERV beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht, begründend darauf hingewiesen, dass über den Beharrungsantrag nicht innerhalb der sechsmonatigen Frist gemäß § 34 VwGVG entschieden wurde. Sie beantragt, der Verwaltungsgerichtshof möge dem Landessverwaltungsgericht Oberösterreich die Entscheidung über den Beharrungsantrag binnen zwei Wochen auftragen.
Mit verfahrensleitender Anordnung vom 26. Juli 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof den Fristsetzungsantrag dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich – offenbar im Hinblick auf die Einbringungspflicht beim Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs 1 Satz 1 VwGG - zuständigkeitshalber übermittelt.
III. Das Oö. Landesverwaltungsgericht hat erwogen:
III.1. Vorprüfungsverfahren
Gemäß § 30a Abs 8 VwGG sind auf Fristsetzungsanträge die Abs 1 und 2 sinngemäß anzuwenden. Demnach gilt das für Revisionen vorgesehene Vorprüfungsverfahren durch das Verwaltungsgericht auch für Fristsetzungsanträge. In den im § 30a Abs 1 VwGG genannten Fällen hat das Verwaltungsgericht die Revision oder den Fristsetzungsantrag ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen vgl Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte [2013], 220 K 2).
Dem gegenständlichen Fristsetzungsantrag steht - ungeachtet des Ablaufs der Sechsmonatefrist - der Mangel der Berechtigung zu seiner Erhebung entgegen, weil eine Entscheidungspflicht des Landesverwaltungsgerichts durch den im Ergebnis unerheblichen Beharrungsantrag der Bfin nicht entstanden ist und damit von vornherein die behauptete Säumnis nicht vorliegen kann. Dies aus den folgenden Gründen:
III.2. Zur Weiterleitung nach § 6 AVG und Relevanz eines Beharrungsantrags
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (vgl mwN VwGH 17.02.2015, Zl. Ra 2015/01/0022) erfolgt die Weiterleitung eines Anbringens nach § 6 AVG durch formlose Verfügung (bloße Verfahrensanordnung). Mit der im Gesetz vorgesehenen Verfügung über den Antrag (Weiterleitung) wird das Erlöschen der Entscheidungspflicht der abtretenden Behörde und mit dem Einlangen des abgetretenen Antrags die Entscheidungspflicht der (vermeintlich) zuständigen Behörde bewirkt, unabhängig davon, ob die Weiterleitung zu Recht erfolgte oder nicht. Gemäß dem § 17 VwGVG ist im Verfahren der Verwaltungsgerichte u.A. auch die Bestimmung des § 6 AVG sinngemäß anzuwenden, was bedeutet, dass die Weiterleitung auch nur als verfahrensleitende Anordnung (verfahrensleitende Verfügung mit Beschluss) zu qualifizieren ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senats vom 30. Mai 1996, Zl. 94/05/0370 (=VwSlg 14475 A/1996) in ständiger Judikatur die Rechtsansicht vertreten, dass die Zurückweisung einer Berufung durch die unzuständige Behörde erledigende Wirkung habe und deshalb eine neuerliche Entscheidung der zuständigen Behörde verhindere. Die Zurückweisung sei daher auch dann unzulässig, wenn die Partei auf einer Entscheidung beharrt. Vielmehr habe die unzuständige Berufungsbehörde die Berufung gemäß § 6 AVG an die zuständige Berufungsbehörde zu übermitteln (weiterzuleiten). Diese Rechtsprechung wurde zunächst auf Anträge an die Berufungsbehörde übertragen, für die die erstinstanzliche Behörde zuständig war (VwGH 04.12.1996, Zl. 96/21/0041). In weiterer Folge hat der Verwaltungsgerichtshof allgemein ausgesprochen, dass nichts anderes für Anträge gelten könne, die an eine unzuständige erstinstanzliche Behörde gerichtet sind (vgl insb VwGH 19.01.2001, Zl. 2000/19/0131; ferner VwGH 15.10.2003, Zl. 2002/12/0268). Daran anknüpfend wird in weiteren Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs (vgl etwa VwGH 22.06.2006, Zl. 2004/21/0259 und VwGH 25.09.2007, Zl. 2004/18/0223) betont, dass ein Beharren des Antragstellers auf eine Entscheidung durch eine bestimmte Behörde nicht zu einer Entscheidungsberechtigung der unzuständigen Behörde führen könne. Ein Beharren ist damit im Ergebnis unerheblich.
III.3. Verfahrensgang
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch die entsprechend dem § 6 AVG (iVm § 17 VwGVG) vorgenommene Weiterleitung der gegenständlichen Maßnahmenbeschwerde an das für zuständig erachtete Bundesfinanzgericht eine gesetzlich vorgesehene verfahrensleitende Verfügung getroffen, mit der seine Entscheidungspflicht über den verfahrenseinleitenden Antrag der Bfin erloschen und jene des Bundesfinanzgerichts entstanden ist (vgl oben VwGH 17.02.2015, Zl. Ra 2015/01/0022). Dieses Gericht hat seine Zuständigkeit auch akzeptiert und ein Verfahren über die - von der Bfin offenbar zur Sicherheit ohnehin „doppelt“ (nämlich auch beim Bundesfinanzgericht) eingebrachte - Maßnahmenbeschwerde unter Beteiligung der Abgabenbehörde (Finanzamt) durchgeführt, für die die Organe der Finanzpolizei im Rahmen der Kontrolltätigkeit gehandelt haben.
Nach Auskunft des zuständigen Richters des Bundesfinanzgerichts über den Stand des Verfahrens, konnte eine Entscheidung dieses Gerichts nur im Hinblick auf die Prüfung präjudizieller Normen des Glücksspielgesetzes durch den Verfassungsgerichtshof bisher noch nicht ergehen. Derzeit sind bekanntlich zahlreiche Beschwerdeverfahren betreffend unionsrechtliche und verfassungsrechtliche Bedenken gegen die §§ 52 bis 54 GSpG beim Verfassungsgerichtshof anhängig und es wurde dazu der Beschluss des Verfassungsgerichtshofs gemäß § 86a VfGG vom 2. Juli 2016, E 945/2016 ua Zlen., im BGBl I Nr. 57/2016 am 12. Juli 2016 kundgemacht. Dies hat gemäß § 86 Abs 3 VfGG mit Ablauf des Tages der Kundmachung im Wesentlichen ex lege die Wirkung, dass in anhängigen Rechtssachen nur solche Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden dürfen, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs nicht beeinflusst werden können. Deshalb wurde ein von der Bfin auch gegen das Bundesfinanzgericht eingebrachter Fristsetzungsantrag im Vorprüfungsverfahren zurückgewiesen.
Die Bfin kann die Zuständigkeitsfrage im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht relevieren und in einer Revision gegen die dort noch zu erlassende Sachentscheidung geltend machen. Sie will aber offenbar zweigleisig vorgehen.
III.4. Unzuständigkeit des Oö. Landesverwaltungsgerichts im Anlassfall
III.4.1. Ordnungspolitische Aufgabe der Abgabenbehörden und ihrer Organe
Im Beharrungsantrag wird kühn behauptet, dass die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu BGBl I Nr. 105/2014 (2. Abgabenänderungsgesetz 2014), 360 BlgNR 25. GP, 24 (vgl zu Art 11: Änderung des Bundesfinanz-gerichtsgesetzes), schlichtweg falsch wären und die dort vertretene Rechtsansicht, dass für Maßnahmenbeschwerden wegen Amtshandlungen nach dem GSpG das Bundesfinanzgericht zuständig sei, jeglicher Grundlage entbehre. Begründend wird undifferenziert auf § 50 GSpG hingewiesen, aus dem hervorgehe, dass Finanzämter für die Strafbehörden (BVB und LPD) tätig werden und die Finanzpolizei als Hilfsorgan des Finanzamtes einschreite.
Dem ist zu entgegnen, dass § 50 Abs 5 GSpG der Abgabenbehörde, von der die Anzeige stammt, offensichtlich auch die Rolle einer Verfolgungsbehörde im Verwaltungsstrafverfahren (Verwaltungsverfahren nach §§ 52, 53 und 54 GSpG) mit eigener Parteistellung und Rechtsmittellegitimation zuweist. Nach § 50 Abs 6 GSpG ist unverzüglich eine Stellungnahme der anzeigenden Abgabenbehörde zu einer von der Strafbehörde beabsichtigten Aufhebung einer Beschlagnahme oder Einstellung eines Strafverfahrens einzuholen. Gemäß § 50 Abs 8 GSpG hat selbst die Staatsanwaltschaft im Fall der Einstellung eines Ermittlungsverfahrens die anzeigende Abgabenbehörde davon unmittelbar unter Darlegung der Gründe (!) zu verständigen. Die Stellung der Abgabenbehörde als Behörde zur Wahrnehmung der im Glücksspielgesetz geschützten öffentlichen Interessen wird damit gestärkt und einer Anklagebehörde angenähert. Es kann schon deshalb keine Rede davon sein, dass die Abgabenbehörden (Finanzämter) für die Strafbehörden tätig werden. Vielmehr erfüllen sie mit Unterstützung der besonderen Organisationseinheit „Finanzpolizei“ eigenständige Überwachungs- und Kontrollaufgaben nach dem Glücksspielgesetz, das ihnen zudem eine starke Amtsparteistellung einräumt, die einen maßgeblichen Einfluss auf das Verwaltungsstrafverfahren nach dem GSpG gewährleisten soll.
Für diese Deutung spricht insbesondere auch das Abgabenverwaltungsorganisationsgesetz 2010 – AVOG 2010 (BGBl I Nr. 9/2010 idF BGBl I Nr. 105/2014). § 12 AVOG 2010 regelt Befugnisse der Finanzpolizei, die als Organe der Abgabenbehörden bezeichnet werden, nicht nur für Zwecke der Abgabenerhebung, sondern auch zur Wahrnehmung anderer durch Unionsrecht oder Bundesgesetz übertragener (ordnungspolitischer) Aufgaben (vgl § 12 Abs 1 leg.cit.). Aus der grundsätzlichen Zuständigkeit aller Finanzämter für die zur Überwachung der Einhaltung des Glücksspielgesetzes notwendigen Kontroll- und Beweissicherungsmaßnahmen im § 12 Abs 5 AVOG 2010 folgt weiter, dass die Überwachung der Einhaltung des Glücksspielgesetzes behördliche Aufgabe der Abgabenbehörden sein muss (vgl auch § 13 Abs 1 Z 3 AVOG 2010, nach dem den Finanzämtern mit allgemeinem Aufgabenkreis u.A. die „Vollziehung der den Abgabenbehörden ... mit ... dem Glücksspielgesetz zugewiesenen Aufgaben“ obliegt). Parteistellung im Verwaltungsstrafverfahren hat aber nur das Finanzamt, das durch seine Organe tätig geworden und die Kontroll- und Beweissicherungsmaßnahmen durchgeführt hat, also seine Zuständigkeit tatsächlich wahrgenommen hat.
Gemäß § 10b Abs 1 der Verordnung des BMF zur Durchführung des Abgabenverwaltungsorganisationsgesetzes 2010 (AVOG 2010-DV) wird die Finanzpolizei als besondere Organisationseinheit gemäß § 9 Abs 3 AVOG 2010 mit Sitz und zentraler Leitung in organisatorischer, personeller, wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht (vgl Abs 4) in Wien und mit Dienststellen bei allen Finanzämtern eingerichtet. § 10b Abs 2 AVOG 2010-DV listet die besonderen Aufgabenbereiche der Finanzpolizei im Rahmen ihrer Unterstützungstätigkeit für die Finanzämter als Abgabenbehörden auf und bringt dabei zum Ausdruck (vgl „Der Finanzpolizei obliegt ... wie diesen die Wahrnehmung ...“) dass die Aufgaben dieser selbständigen Organisationseinheit mit denen der Abgabenbehörden in den aufgelisteten Bereichen deckungsgleich sind. Nach dem gegenständlich relevanten § 10b Abs 2 Z 2 lit c) AVOG 2010-DV obliegt der Finanzpolizei die Wahrnehmung der den Abgabenbehörden in der Vollziehung des Glücksspielgesetzes übertragenen Aufgaben sowie die Vornahme von Überprüfungen nach § 89 Abs 3 EStG 1988 (Einhaltung von Melde- und Anzeigepflichten nach ASVG und AlVG und Erhebung unbefugter Gewerbeausübung nach § 366 Abs 1 Z 1 und § 367 Z 54 GewO).
Im Ergebnis entsprechen also die der Finanzpolizei als Unterstützungstätigkeit für die Abgabenbehörden zugewiesenen Aufgabenbereiche genau denen der Abgabenbehörde. Vor dem Hintergrund der umfassenden glücksspielrechtlichen Überwachungsaufgaben der Abgabenbehörden sind die Aufgaben und Befugnisse der Organe der Abgabenbehörden (Finanzpolizei) „aus eigenem Antrieb“ im § 50 Abs 3 und 4 GSpG samt der Ermächtigung zur Durchsetzung dieser Überwachungsaufgaben mit unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu beurteilen und einzuordnen. Diese Aufgaben und Befugnisse im Zusammenhang mit der Überwachung der Einhaltung des Glücksspielgesetzes üben jeweils Organe der Finanzpolizei einer Dienststelle aus, die organisatorisch einer bestimmten Abgabenbehörde zugeordnet ist. Die Organe der Finanzpolizei werden im gesetzlich übertragenen Aufgabenbereich der zugeordneten Abgabenbehörde und nicht für die Strafbehörde tätig, die üblicher Weise erst bei konkreter Verdachtslage (nach Anzeigen der Finanzämter) Verfolgungshandlungen gegen bestimmte Personen als Beschuldigte vornimmt (vgl § 32 VStG). Davor hat die Strafbehörde keine mit den Abgabenbehörden vergleichbare Erkundungs- und Kontrollaufgabe wie sie etwa aus deren besonders geregelter Überwachungsaufgabe der Einhaltung des Glücksspielgesetzes abzuleiten ist. Sie kann insofern daher auch fachlich auf die Organe der Finanzpolizei keinen Einfluss durch Weisungen nehmen.
Im systematischen Zusammenhang von § 50 GSpG und dem § 12 AVOG 2010 ergibt sich, dass die Regelung im § 50 Abs 4 GSpG mit den besonderen Überwachungsaufgaben der Finanzämter korrespondiert, die schon im Vorfeld von konkreten Strafverfahren, dh noch bevor bestimmte Personen wegen Verwaltungsübertretungen verfolgt werden, mit besonderen Befugnissen der Organe der Abgabenbehörden zur Aufklärung und Beweissicherung ansetzen (vgl neben § 50 Abs 4 GSpG auch § 12 Abs 1 bis 3 AVOG 2010), um effiziente - auch doppelfunktionale - Kontrollen zur Einhaltung des Glücksspielgesetzes und zur Gewinnung der für Zwecke der Abgabenerhebung maßgebenden Daten (vgl § 12 Abs 4 AVOG 2010 mit Verweis auf allgemeine Aufsichtsmaßnahmen nach §§ 143, 144 BAO) durchführen zu können. Glücksspielgeräte sind als Kassensystem zu betrachten und es gelten die Bestimmungen für Registrierkassen (§§ 131 ff BAO). Solche doppelfunktionalen Amtshandlungen der Finanzpolizei sind auch sonst etwa im Zusammenhang mit der Kontrolle von Beschäftigungsverhältnissen durchaus üblich (vgl W. Lehner, Die Anwendung von Befehls- und Zwangsgewalt im Glücksspielrecht, SWK 25/2015, 1088 ff, 1095).
Wirksame Kontrollen der Finanzpolizei sind für die Abgabenerhebung ebenso wie für die ordnungspolitischen Aufgaben der Finanzämter von großer Bedeutung. Sie dienen nicht nur der Aufklärung und Datensammlung, sondern erzielen vor allem auch generalpräventive Wirkungen. Mit der Aufgabe aller Finanzämter, die notwendigen Kontroll- und Beweissicherungsmaßnahmen zur Überwachung der Einhaltung des Glücksspielgesetzes vorzunehmen (§ 12 Abs 5 AVOG 2010), wird den besonderen Gefahren des illegalen und unkontrollierten Glücksspiels und seiner Begleitkriminalität schon in einem frühen Stadium wirksam entgegen getreten. Die im § 12 Abs 1 bis 3 AVOG 2010 geregelten Befugnisse der Organe der Abgabenbehörden gelten daher ausdrücklich nicht nur für Zwecke der Abgabenerhebung, sondern auch für mit Bundesgesetz übertragene ordnungspolitische Aufgaben (vgl dazu auch die Auflistung im § 10b Abs 2 Z 2 lit a bis e AVOG 2010-DV: AuslBG, AVRAG, GSpG, AÜG, LAG).
Wie der Verfassungsgerichtshof schon festgestellt hat, stellt die Bestimmung über die umfassende Auskunfts- und Mitwirkungspflicht nach dem § 50 Abs 4 GSpG nicht auf das Vorliegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung nach dem § 52 GSpG oder § 168 StGB ab (vgl VfGH 18.06.2015, G 55/2015 ua Zlen). Die Duldungs- und Mitwirkungspflichten bestehen unabhängig vom Vorliegen eines Verdachts der Übertretung von Strafbestimmungen. Dieser Umstand bestätigt gleichzeitig, dass die Überwachungsaufgaben und Befugnisse der Organe der Abgabenbehörde nach § 50 Abs 4 GSpG ebenso ganz unabhängig von einem Verwaltungsstrafverfahren gelten. Auch wenn das Einschreiten der Finanzpolizei im Rahmen ihrer Kontrolltätigkeit regelmäßig auch der Vorbereitung von künftig einzuleitenden Verwaltungsstrafverfahren dienen wird, handelt es sich noch nicht um ein konkretes Strafverfahren, sondern um die Wahrnehmung der den Abgabenbehörden bundesgesetzlich übertragenen besonderen Aufgabe der Überwachung der Einhaltung des Glücksspielgesetzes.
Soweit typischer Weise dem Verwaltungsstrafverfahren zuzurechnende Zwangsmittel - wie etwa eine vorläufige Beschlagnahme nach § 53 Abs 2 GSpG (vgl auch § 39 Abs 2 VStG) oder eine Festnahme nach § 35 VStG (etwa durch gemäß § 50 Abs 3 GSpG von der Finanzpolizei beigezogene Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes) zur Anwendung kommen, wäre von einer Zurechnung zur Strafbehörde auszugehen.
III.4.2. Ausübung von finanzpolizeilicher Befehls- und Zwangsgewalt im Aufgabenbereich der Abgabenbehörden ist diesen zuzurechnen:
Die im Beschwerdeschriftsatz angeführten Zwangsmaßnahmen der Finanzpolizei Freistadt stehen im Zusammenhang mit der Verletzung von Duldungs- und Mitwirkungspflichten nach § 50 Abs 4 GSpG. Die Organe der Finanzpolizei können unabhängig von einem Strafverfahren bzw einem konkreten Verdacht einer strafbaren Handlung allein auf Grund einer beabsichtigten glücksspielrechtlichen Kontrolle in Wahrnehmung der den Abgabenbehörden in Vollziehung des Glücksspielgesetzes übertragenen Aufgaben Maßnahmen der unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt vornehmen (vgl auch W. Lehner, Die Anwendung von Befehls- und Zwangsgewalt im Glücksspielrecht, SWK 25/2015, 1088 ff, 1090).
Aus diesen Gründen scheidet eine Zurechnung der auf Grundlage des § 50 Abs 4 GSpG ausgeübten Befugnisse der Organe der Abgabenbehörden (Finanzpolizei) zur Strafbehörde aus. Diese beruhen auf der den Abgabenbehörden übertragenen besonderen Aufgabe zur Überwachung der Einhaltung des Glücksspielgesetzes. Es handelt sich um unmittelbare Vollziehung von Bundesrecht durch Organe der Abgabenbehörden des Bundes.
Gemäß Art 131 Abs 3 B-VG kann eine Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 bis 3 B-VG auch in sonstigen gesetzlich festgelegten Angelegenheiten, die unmittelbar von den Abgaben- oder Finanzstrafbehörden des Bundes besorgt werden, vorgesehen werden. Dementsprechend wurde mit dem 2. Abgabenänderungsgesetz 2014 der § 1 Abs 3 Z 2 Bundesfinanzgerichtsgesetz (BGBl I Nr. 14/2013 idF BGBl I. Nr. 105/2014) neu geschaffen und damit nunmehr klargestellt, dass das Bundesfinanzgericht auch für Maßnahmenbeschwerden (Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG) wegen Ausübung finanzpolizeilicher Befugnisse in sonstigen gesetzlich festgelegten Angelegenheiten der Abgabenbehörden (bspw AuslBG, AVRAG oder GSpG) zuständig ist (vgl Erl zur RV zu BGBl I Nr. 105/2014, 360 BlgNR 25. GP, 24).
Entgegen der Ansicht der Bfin erweist sich die Rechtsansicht in den zitierten Erläuterungen zur Regierungsvorlage weder als falsch, noch entbehrt sie jeglicher Grundlage. Es ist vielmehr umgekehrt so, dass die nicht näher begründete Behauptung, im § 50 Abs 4 GSpG käme als Behörde nur die Strafbehörde (BVB oder LPD) in Betracht, substanzlos geblieben ist. Die Bfin verkennt damit die Unabhängigkeit des § 50 Abs 4 GSpG von einem Strafverfahren und den systematischen Zusammenhang mit dem § 12 AVOG 2010. Nach diesem können auch die im § 50 Abs 4 GSpG angesprochenen Befugnisse der Organe der Abgabenbehörden (Finanzpolizei) nur Ausfluss der den Abgabenbehörden übertragenen Überwachungsaufgaben sein, zumal diese Organe im Rahmen ihrer Unterstützungstätigkeit für die Finanzämter als Abgabenbehörden die diesen übertragenen Aufgaben in Bundesgesetzen für die Abgabenbehörde und wie diese wahrnehmen (vgl § 10b Abs 2 Z 2 lit c AVOG 2010-DV).
IV. Ergebnis
Bei der in der Maßnahmenbeschwerde als belangte Behörde bezeichneten „Finanzpolizei Freistadt“ handelt es sich um Organe der Dienststelle beim Finanzamt Freistadt Rohrbach Urfahr mit dem Sitz (neben L und R) in F (vgl § 4 AVOG 2010-DV). Die Organe der besonderen Organisationseinheit „Finanzpolizei“ werden im Rahmen ihrer Unterstützungstätigkeit für die zugeordneten Finanzämter als Abgabenbehörden im gleichen Umfang der Aufgaben wie diese tätig (§ 10b Abs 2 AVOG 2010-DV).
Ihr Einschreiten im bundesgesetzlich neben der Abgabenerhebung den Abgabenbehörden übertragenen Aufgabenbereich ist diesen Abgabenbehörden zuzurechnen. Die Ausübung von finanzpolizeilicher Befehls- und Zwangsgewalt im Rahmen der Überwachungsaufgabe des § 50 Abs 4 GSpG geht konform mit den Kontroll- und Beweissicherungsmaßnahmen der Überwachungsaufgabe der Finanzämter nach § 12 Abs 5 AVOG 2010. In diesem Zusammenhang hat die neue Z 2 im § 1 Abs 3 des Bundesfinanzgerichtsgesetzes (BGBl I Nr. 14/2013 idFd BGBl I. Nr. 105/2014) iVm Art 131 Abs 3 B-VG (bei unmittelbarer Vollziehung von Bundesrecht durch Abgaben- oder Finanzstrafbehörden des Bundes) klargestellt, dass das Bundesfinanzgericht auch für Maßnahmenbeschwerden (Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG) wegen Ausübung finanzpolizeilicher Befugnisse in sonstigen gesetzlich festgelegten Angelegenheiten der Abgabenbehörden (und nicht das Bundesverwaltungsgericht nach Art 131 Abs 2 B-VG im Grunde von unmittelbarer Vollziehung von Bundesrecht durch Bundesbehörden; vgl idS noch vor der Novelle den Zurückweisungsbeschluss des LVwG NÖ v 29.09.2015, Zl. LVwG-MB-12-0059) zuständig ist.
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich ist daher sachlich zur Behandlung der gegenständlichen Maßnahmenbeschwerde nicht zuständig. Das Beharren des Antragstellers auf einer Entscheidung durch das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich kann nicht zu einer Entscheidungsberechtigung dieses unzuständigen Gerichts führen. Wie unter Punkt III.2. zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dargelegt, kann der Beharrungsantrag keine Entscheidungspflicht begründen. Er war somit unerheblich und unbeachtlich (vgl VwGH 22.06.2006, Zl. 2004/21/0259).
Der Bfin mangelt es an der Berechtigung zur Erhebung eines Fristsetzungsantrages, weil mangels Bestehens einer Entscheidungspflicht des Oö. Landesverwaltungsgerichts auch keine Entscheidungsfrist abgelaufen sein kann. Der Fristsetzungsantrag war daher im Ergebnis wegen fehlender Rechtsmittellegitimation der Bfin als unzulässig zurückzuweisen.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gemäß § 25a Abs 1 Z 2 VwGG ist gegen diesen Beschluss eine Revision nicht zulässig.
Hinweis
Gemäß § 30b Abs 1 VwGG kann jede Partei binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses beim Verwaltungsgericht den Antrag stellen, dass der Fristsetzungsantrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag).
Landesverwaltungsgericht Oberösterreich
Dr. W e i ß