LVwG-180004/2/AL – 180005/2

Linz, 25.10.2016

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seine Richterin Dr. Astrid Lukas über die Beschwerde 1. der A O und 2. des P O, beide wohnhaft in K, x, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in Form der „Nichtumsetzung eines rechtsgültigen LVwG-Erkenntnisses“ vom 08. September 2015, Z LVwG-150620/3/EW/FE – 150621/2, durch die Gemeinde St. Ulrich bei Steyr folgenden

B E S C H L U S S

gefasst:

 

 

I.            Die Beschwerde wird gemäß Art. 132 Abs. 2 B-VG iVm §§ 28 Abs. 1 und 31 Abs. 1 VwGVG mangels Beschwerdelegitimation als unzulässig zurückgewiesen.

 

II.         Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig.


 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Mit Eingabe vom 19. August 2016 erhoben die Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) Beschwerde an das Oö. Landesverwaltungsgericht wegen „Verhinderung der Umsetzung eines seit 11 Monaten rechtsgültigen LVwG-Urteils (LVwG 150620/3/EW/FE – 150621/2)“ betreffend das benachbarte Grundstück Nr. x, KG K. Mit dieser Entscheidung LVwG-150620/3/EW ua. wurde den Nachbarn der Bf aufgetragen, die Gartenmauer gem. § 40 Abs. 8 Oö. ROG zu beseitigen, was bis dato nach Auffassung der Bf nicht erfolgt sei. Diese Beschwerde ist als Maßnahmenbeschwerde iSd Art. 132 Abs. B-VG zu werten.

 

 

II. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweis erhoben durch die Ausführungen in der Beschwerde sowie die Entscheidung des Oö. Landesverwaltungsgerichts LVwG-150620/3/EW ua.

 

Folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt steht fest:

 

Es besteht ein, durch das Erkenntnis LVwG-150620/3/EW/FE – 150621/2 vom 08. September 2015 bestätigter, rechtsgültiger Abtragungsauftrag für die Gartenmauer auf dem Grundstück Nr. x KG K. Die Umsetzung dieses Abtragungsauftrages unterblieb allerdings laut Angaben der Bf bis dato, was die Bf nun veranlasst hat, eine Maßnahmenbeschwerde gem. Art. 132 Abs. 2 B‑VG an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zu richten. Ausschlaggebend für diesen Schritt war, dass die Gemeinde mit gemeindeeigenen Bauarbeitern Einbauten am Privatgrundstück Nr. x, KG K, der Bf in Anwesenheit zweier Polizisten abtrug.

 

Betreffend die Beschwerdepunkte hinsichtlich der Abrissarbeiten der „Einbauten“ der Bf und der Begleitung und Bewachung der Abrissarbeiten durch Polizeibeamte ergibt sich nach der anzuwendenden Geschäftsverteilung die Zuständigkeit eines anderen Richters in einem eigenständigen Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oö, protokolliert zu LVwG-680020 und 680021.

 

 

III.            Maßgebliche Rechtslage:

 

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, [...] die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt […] auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) […] zu überprüfen.

 

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

 

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen per Beschluss auszufolgen.

 

Die hier maßgeblichen Bestimmungen der österreichischen Bundesverfassung lauten auszugsweise wie folgt:

 

 

Art. 130

Abs. 1: Die Verwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden

1.

gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit;

2.

gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit;

 

[...]

 

Art. 132 Abs. 2

Gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt kann wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch sie in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

 

 

IV. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat über die Beschwerde durch seine zuständige Einzelrichterin erwogen:

 

1. Die Bf wenden sich in ihrer Beschwerde verfahrensgegenständlich gegen den Umstand, dass die Mauer auf dem benachbarten Grundstück Nr. x, KG K, trotz eines rechtskräftigen Erkenntnisses des LVwG Oberösterreich (LVwG-150620/3/EW/FE – 150621/2) nach wie vor besteht. Damit richtet sich die Beschwerde gegen eine behördliche Untätigkeit der Gemeinde, in concreto die „Nicht-Umsetzung“ des Abtragungsauftrages der Gartenmauer auf dem benachbarten Grundstück. 

 

2. Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt die unmittelbare Anwendung physischen Zwanges oder die Erteilung eines Befehles mit unverzüglichem Befolgungsanspruch voraus. Die bloße Untätigkeit einer Behörde erfüllt diesen Begriff nicht. Vielmehr ist für die Ausübung von Zwangsgewalt ein positives Tun begriffsnotwendig (MN aus der höchstgerichtlichen Rechtsprechung UVS Oö. vom 3.12.1997, VwSen-420141/19/Schi).

 

Grundsätzlich war es nicht die Intention des Verfassungsgesetzgebers, alle Rechtseingriffe mittels Maßnahmenbeschwerde bekämpfbar zu machen. Vor diesem Hintergrund unterscheidet die Judikatur zwischen bloßer/schlichter und qualifizierter Untätigkeit (vgl. Eisenberger/Ennöckl/Helm, Die Maßnahmenbeschwerde [2016], S 22 und S 24).

 

 

So kann nach ständiger Lehre und Rechtsprechung eine bloße oder schlichte Untätigkeit nicht Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde sein (vgl. VfSlg 4252/1962; 6993/1973; 7454/1974; 9025/1981; 9334/1982; 9348/1982; 9503/1982; 9813/1983). Schlichte Untätigkeit – und damit nicht bekämpfbares behördliches Untätigsein – ist nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung anzunehmen, wenn die Behörde eine Amtshandlung einfach unterlässt (vgl. VwGH 15.11.2000, 99/01/0427).

 

Da die verfahrensgegenständlich von den Bf bekämpfte „Nicht-Umsetzung“ des rechtskräftigen Abtragungsauftrages auf dem Nachbargrundstück damit eine bloße/schlichte behördliche Untätigkeit darstellt, kann diese nicht Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde sein. Auch hat der einfache Gesetzgeber von der Möglichkeit des Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG keinen Gebrauch gemacht und einen Rechtsschutz für nicht typengebundenes Verwaltungshandeln in diesem Zusammenhang eben nicht vorgesehen. Die vorliegende Maßnahmenbeschwerde ist somit schon aus diesem Grund nicht zulässig.

 

3. In der Lehre wird vereinzelt die Figur der sog. „Eingriffswirkung“ als Argumentation für ein extensiveres Begriffsverständnis von Akten unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt herangezogen. Demnach sei „jeder nicht bescheidförmige und unmittelbare Hoheitsakt der Verwaltung, der individuell und vorsätzlich in subjektive Rechte einer Person eingreift“, ein mittels Maßnahmenbeschwerde bekämpfbarer Akt. Es kommt daher darauf an, ob ein Eingriff in die Rechtssphäre der betroffenen Bf erfolgte (vgl. ausführlich mwN Eisenberger/Ennöckl/Helm, Die Maßnahmenbeschwerde [2016], S 23 f [Hervorhebung nicht im Original]).

 

Selbst unter Zugrundelegung dieses extensiven Ansatzes wäre aber die „Nicht-Umsetzung“ des rechtskräftigen Abtragungsauftrages im verfahrensgegenständlichen Fall nicht durch die Bf mittels Maßnahmenbeschwerde bekämpfbar. So setzt auch diese Lehrmeinung den Eingriff in ein „subjektives Recht“ und damit in die Rechtssphäre der Bf voraus. Da den Nachbarn in einem baupolizeilichen Auftragsverfahren wie dem vorliegenden zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber keine Parteistellung zukommt, sie also grundsätzlich keinen Rechtsanspruch auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages haben, ist ein Eingriff in ein subjektives Recht der Bf schon dem Grunde nach ausgeschlossen. Der Nachbar hat keinen Rechtsanspruch – und damit auch kein subjektives Recht – auf Beseitigung eines konsenslosen Baues (vgl mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung Neuhofer, Kommentar zur Oö. Bauordnung7 [2014], § 49 Oö. BauO 1994 Rz 11 sowie § 48 Rz 3).

 

Zumal aber die Verfahrensrechte der Parteien – ebenso wie ihr Beschwerderecht im Zusammenhang mit einer Maßnahmenbeschwerde – nicht weiter gehen können als ihre materiellen Rechte, kann eine Nachbarbeschwerde im Zusammenhang mit der gegenständlich als Akt verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt bekämpften „Nicht-Umsetzung“ des Abtragungsauftrages hinsichtlich der nachbarlichen Mauer nur dann erfolgreich sein, wenn im Ergebnis auch Nachbarrechte verletzt wären (vgl. VwGH 6.11.2013, 2010/05/0199; 24.2.2015, 2013/05/0054). Mangels eines solchen subjektiven Nachbarrechts im Abtragungsverfahren hinsichtlich der nachbarlichen Gartenmauer ist daher für das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich auch vor diesem Hintergrund die Beschwerdelegitimation der Bf im gegenständlichen Maßnahmenbeschwerde­verfahren ausgeschlossen.  

 

 

V.            Ergebnis:

 

Da es sich bei der von den Bf bekämpften „Nicht-Umsetzung“ eines rechtskräftigen Abtragungsauftrages hinsichtlich einer nachbarlichen Garten­mauer somit nicht um einen mittels Maßnahmenbeschwerde bekämpfbaren Akt handelt, war spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

VI.            Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Recht­sprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Recht­sprechung (siehe dazu insbesondere die in dieser Entscheidung zitierte höchstgerichtliche Judikatur). Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

H i n w e i s

Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision sind unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen.

 

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Dr. Astrid Lukas