LVwG-750026/3/MB/JO
Linz, 17.03.2014
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Dr. Markus Brandstetter über die Beschwerde des A.G. vertreten durch RA AM, gegen den Bescheid der Bezirkshauptfrau des Bezirks Steyr-Land zur GZ: Sich30-6-25-2013, vom 8. Oktober 2013, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines österreichischen Reisepasses abgewiesen wurde, den
B E S C H L U S S
gefasst:
I. Der Beschwerde wird stattgegeben. Der Bescheid der Bezirkshauptfrau des Bezirks Steyr-Land vom 8. Oktober 2013 zur GZ: Sich30-6-25-2013, wird aufgehoben und die Angelegenheit wird zur Erlassung eines neuen Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG zurückverwiesen.
II. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I.
1. Mit Bescheid der Bezirkshauptfrau des Bezirks Steyr-Land zur GZ: Sich30-6-25-2013, vom 8. Oktober 2013, wurde der Antrag des Beschwerdeführers (im Folgenden: Bf) vom 14. August 2013 auf Ausstellung eines österreichischen Reisepasses gemäß § 14 Abs. 1 Ziffer 3 lit. a Passgesetz 1992 (BGBl 1992/839 idgF) abgewiesen.
Begründend führt die belangte Behörde nach Wiedergabe der einschlägigen Bestimmungen im Wesentlichen aus: Der Beschwerdeführer habe am 14. August 2013 bei der Bezirkshauptmannschaft Steyr Land – im Wege der Justizanstalt Garsten – einen Antrag auf Ausstellung eines österreichischen Personalausweises gestellt. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12. März 1992 nach den §§ 75, 142 Abs. 1, 143, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 und Abs. 2 Strafgesetzbuch zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden sei, weil ihm ein zweifacher Mord, der schwere Raub sowie eine schwere Nötigung zur Last gelegt wurden. Zudem ergebe sich nach Auskunft der Justizanstalt, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf bedingte Entlassung aus der lebenslangen Freiheitsstrafe abgelehnt wurden sei und im Entscheidungszeitpunkt auch nicht in Aussicht gestellt wurde. Nach Meinung des Oberlandesgerichtes Linz, als zuständiges Beschwerdegericht, bedürfe es noch einer längeren und intensiveren Erprobung um die von § 46 Abs. 6 Strafprozessordnung (gemeint wohl: Strafgesetzbuch) geforderte positive Prognose stellen zu können.
In rechtlicher Hinsicht folgert die belangte Behörde, dass bei der Anwendung des § 14 Abs. 1 Z 3 lit a Passgesetz Tatsachen im Sinne dieser Bestimmung vorlägen, wenn eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung zu Grunde liege und ein Zeitraum von drei Jahren gemessen ab der Tat nicht verstrichen sei. In diese Fristberechnung seien Haftzeiten nicht mit einzubeziehen.
2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 15. Oktober 2013 rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung unter einem mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend sein Recht auf Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme.
Der Beschwerdeführer begründet die hier verfahrensrelevante Berufung im Wesentlichen damit, dass die Entscheidung der belangten Behörde gegen die Judikatur des EGMR sowie des Verwaltungsgerichtshofs stehe. Zudem greife die Entscheidung der belangten Behörde unzulässig in sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK ein, da sich seine gesamte Familie im sozialen Empfangsraum (Ägypten) befinde. Zudem sei er in seinem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt. Die belangte Behörde habe willkürlich gehandelt. Dies sei auch dadurch belegt, dass der entscheidungsrelevante Sachverhalt teilweise durch eine antizipierte Beweiswürdigung zu Stande gekommen sei.
Implizit stellt der Beschwerdeführer daher den Antrag, dass der Bescheid der belangten Behörde behoben und seinem Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses entsprochen werde.
3. Mit Bescheid vom 25. November 2013 wies die belangte Behörde den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab und erließ eine Berufungsvorentscheidung.
4. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2013 (gefaxt am: 5. Dezember 2013) stellte der Beschwerdeführer den begründeten und rechtzeitigen Vorlageantrag betreffend die Berufungsvorentscheidung der belangten Behörde.
5. Mit Einlangen des Vorlageantrages am 5. Dezember 2013 trat sohin zu diesem Zeitpunkt die Berufungsvorentscheidung der belangten Behörde bereits außer Kraft. Betreffend die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde vom Beschwerdeführer kein Rechtsmittel erhoben. Sohin kann als Verfahrensgegenstand im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die als Beschwerde geltende Berufung des Beschwerdeführers vom 15. Oktober 2013 betreffend den Bescheid der belangten Behörde vom 8. Oktober 2013 erkannt werden.
II.
1. Die belangte Behörde legte die Berufung zunächst dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vor. Dieser leitete die verfahrensgegenständliche Angelegenheit mit Verfügung vom 30. Dezember 2013 zu VwSen-590369 an die Landespolizeidirektion Oberösterreich weiter. Diese legte wiederum den verfahrensgegenständlichen Akt dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit Schreiben vom 15. Jänner 2014 zur Entscheidung vor.
2. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt und das Beschwerdevorbringen. Gem. § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte zudem von einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid zu beheben war.
3. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten I. 1. und I. 2. dieser Entscheidung dargestellten relevanten Sachverhalt aus.
III.
1. Gemäß § 22 Passgesetz 1992, BGBl 839/1992 idF BGBl I 161/2013 (idF: Passgesetz), entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz das Landesverwaltungsgericht.
§ 14 Passgesetz normiert, dass die Ausstellung, die Erweiterung des Geltungsbereiches und die Änderung eines Reisepasses sind zu versagen, wenn
1. der Passwerber seine Identität nicht zweifelsfrei nachzuweisen vermag oder die erforderliche Mitwirkung verweigert,
2. die Freizügigkeit des Passwerbers auf Grund gesetzlicher Bestimmungen beschränkt ist und die Versagung zur Erreichung des Ziels dieser Beschränkung erforderlich ist,
3. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Passwerber den Reisepass benützen will, um
a) sich einer wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung, die mit mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, eingeleiteten Strafverfolgung oder Strafvollstreckung im Inland zu entziehen,
b) gerichtlich strafbare Zollzuwiderhandlungen zu begehen,
c) die rechtswidrige Ein- oder Durchreise eines Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen Nachbarstaat Österreichs zu fördern,
d) illegalen Handel mit Waffen, Kriegsmaterial, radioaktiven Stoffen oder mit Gegenständen zu betreiben, die der Sicherheitskontrolle nach dem Sicherheitskontrollgesetz 1991, BGBl. Nr. 415/1992, unterliegen,
e) Personen der gewerbsmäßigen Unzucht in einem anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, zuzuführen oder sie hierfür anzuwerben, oder
f) entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen, oder
4. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch den Aufenthalt des Passwerbers im Ausland die innere oder äußere Sicherheit der Republik Österreich gefährdet würde, oder
5. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Passwerber könnte als Mitglied einer kriminellen Organisation oder kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Sinne der §§ 278 bis 278b StGB durch den Aufenthalt im Ausland die innere oder äußere Sicherheit der Republik Österreich gefährden.
Von den Bestimmungen des Abs. 1 ist gem. § 14 Abs. 2 Passgesetz eine Ausnahme nur gemäß § 4a Abs. 1 Z 3 zulässig.
Liegen gem. § 14 Abs. 3 Passgesetz den in Abs. 1 Z 3 lit. b bis f und Z 4 und 5 angeführten Tatsachen gerichtlich strafbare Handlungen zugrunde, ist bis zum Ablauf von drei Jahren nach der Tat jedenfalls von einem Versagungsgrund auszugehen, wobei Haftzeiten und Zeiten einer Unterbringung nach den §§ 21 bis 23 StGB außer Betracht zu bleiben haben.
2. Insofern ist der Bescheid der belangten Behörde mit Rechtswidrigkeit behaftet, da sich die in § 14 Abs. 3 Passgesetz angelegte gesetzliche Vermutung nur auf Tatsachen nach Abs. 1 Z 3 lit b bis f bezieht. § 14 Abs. 1 Z 3 lit. a Passgesetz ist in dieser Aufzählung nicht enthalten. Insofern sind dieser Tatsache zu Grunde liegende strafbare Handlungen nicht anhand § 14 Abs. 3 Passgesetz zu beurteilen.
Weiters gilt es zu bemerken, dass § 14 Abs. 1 Z 3 lit. a Passgesetz erfordert, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Passwerber den Reisepass dazu benützen will, um sich einer eingeleiteten Strafverfolgung oder Strafvollstreckung zu entziehen.
Diese Umstände hat die belangte Behörde jeweils eigenständig zu beurteilen und ist insofern nicht an die Beurteilung der Gerichtsbarkeit oder der Strafvollzugsbehörden gebunden (vgl. VwSlg 15808 A/2002).
Es wäre in diesem Sinne eine Prognoseentscheidung ähnlich der Beurteilung der Fluchtgefahr im Rahmen der Verhängung der Untersuchungshaft (vgl. § 173 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 3 StPO) von der belangten Behörde durchzuführen gewesen (s dazu VwGH vom 5. April 2002, Zl. 99/18/0164). Diese Entscheidung bedarf aber wiederum der Erhebung von Sachverhaltselementen, die eine derartige Entscheidung ermöglichen. Da nun die belangte Behörde von der Anwendbarkeit des § 14 Abs. 3 Passgesetz ausgegangen ist, fehlen dazu jegliche Feststellungen.
Die belangte Behörde hat entsprechend den gesetzlichen Anforderungen in diesem Zusammenhang einerseits Feststellungen im tatsächlichen Bereich zu treffen und andererseits zu beurteilen, ob aufgrund dieser Tatsachen der Schluss gezogen werden kann, dass sich der Beschwerdeführer der Vollziehung seiner Strafhaft entziehen wird (z.B.: es müssen Tatsachen vorliegen, die den Schluss nahelegen, dass der Beschwerdeführer bspw. einen unbegleiteten Ausgang im Rahmen der Verbüßung seiner Strafhaft in Besitz des Reisepassens dazu nutzen wird, um nach Ägypten zu seiner Familie etc. zu gelangen). Auch gilt es hierbei zu beachten, dass die Prognoseentscheidung nach § 46 Abs. 6 StGB eine andere Zielrichtung aufweist, als jene in § 14 Abs. 1 Z 3 lit a Passgesetz. § 46 Abs. 6 StGB verlangt ausschließlich die Annahme der effektiven negativen spezialpräventiven Wirkung des bisherigen Vollzuges der Strafe. Diese Entscheidung ist rechtlich nicht mit der Entscheidung nach § 14 Abs. 1 Z 3 lit a Passgesetz verknüpft, zumal mit der bedingten Entlassung aus der Strafhaft das Prognoseziel (Entziehung aus der Strafvollstreckung) entfällt. Im Umkehrschluss hat auch die Beurteilung nach § 46 Abs. 6 StGB keine „geographische Grenze“. Insofern sind die verschiedenen Prognoseentscheidungen gedanklich und dogmatisch getrennt vorzunehmen.
§ 14 Abs. 1 Z 2 Passgesetz findet keine Anwendung, zumal in § 14 Abs. 1 Z 3 Passgesetz spezielle Regelungen betreffend die Passversagung aufgrund gerichtlich strafbarer Handlungen gegeben sind. Zudem wird die persönliche Freiheit des Beschwerdeführers auf Grund eines gerichtlichen Urteils beschränkt (arg. „...Freizügigkeit...“ und „...aufgrund gesetzlicher Bestimmungen...“).
3. Gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde die notwendigen Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
4. Aus den oben dargelegten Umständen ergibt sich, dass Seitens der Behörde aufgrund der Anwendung des § 14 Abs. 3 Passgesetz keine Feststellungen zu den in § 14 Abs. 1 Z 3 lit a Passgesetz geforderten Tatbestandselementen getroffen wurden (Feststellungsmangel aufgrund Rechtsfehler; s Ratz in WK-StPO § 281 Rz 605).
Daher war gem. § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG vorzugehen und der Bescheid der Behörde mit Beschluss zu beheben und zur Ermittlung des (oben umrissenen) Sachverhaltes zurückzuverweisen.
IV.
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diesen Beschluss besteht die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Die Beschwerde bzw. Revision ist innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung des Beschlusses durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.
Landesverwaltungsgericht Oberösterreich
Dr. Markus Brandstetter