LVwG-650559/2/ZO/CG

Linz, 02.02.2016

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Mag. Gottfried Zöbl über die Beschwerde des Herrn S M, geb. 1957, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. J P, vom 8.1.2016, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirkes Braunau am Inn vom 7.1.2016, Zl. VerkR21-666-2015, wegen Entziehung der Lenkberechtigung,   

zu Recht    e r k a n n t :

I.         Die Beschwerde wird abgewiesen und der angefochtene Bescheid vollinhaltlich bestätigt.

 

II.      Gegen diese Entscheidung ist die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.

 

 


 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Zu I.:

1.           Die Bezirkshauptmannschaft Braunau hat mit dem angefochtenen Bescheid dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung für die Klassen AM, A und B für die Dauer von drei Monaten, gerechnet ab 04.01.2016, demnach bis 04.04.2016, entzogen. Weiters wurde dem Beschwerdeführer für die Dauer der Entziehung eine allfällige weitere ausländische Nicht-EWR-Lenkberechtigung sowie ein allfälliger ausländischer EWR-Führerschein entzogen. Es wurde ausgesprochen, dass dem Beschwerdeführer bis einschließlich 04.04.2016 keine neue Lenkberechtigung erteilt werden darf und der Beschwerdeführer wurde verpflichtet, seinen Führerschein, sofern er nicht bereits abgenommen wurde, unverzüglich der Behörde bzw. der Polizeiinspektion abzuliefern. Einer allenfalls eingebrachten Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt.

 

Dieser Bescheid wurde zusammengefasst damit begründet, dass der Beschwerdeführer am 10.12.2015 um 11.30 Uhr einen näher angeführten PKW in Mattighofen auf der B 141 gelenkt habe, obwohl ihm die Lenkberechtigung zu diesem Zeitpunkt mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Braunau vom 10.09.2015, Zl. VerkR21-315-2015 entzogen gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei deswegen bis einschließlich 04.04.2016 nicht verkehrszuverlässig.

 

2.           In der dagegen rechtzeitig eingebrachten Beschwerde führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass die Behörde den Grundsatz der Einheitlichkeit des Entzugsverfahrens nicht beachtet habe. Ein derartiges Verfahren beginne mit der Erlassung des (Mandats)Bescheides und ende mit der Wiederausfolgung des Führerscheines. Dies ergebe sich aus § 28 FSG, wonach der Führerschein nach Ablauf der Entziehungsdauer auf Antrag wieder auszufolgen ist, wenn keine weitere Entziehung der Lenkberechtigung angeordnet wird. Der Beschwerdeführer verwies dazu auch auf die Materialien der 5. FSG-Novelle, in welchem es zu dieser Bestimmung zusammengefasst heißt, dass die Voraussetzungen für die Wiederausfolgung des Führerscheines neu, klarer und übersichtlicher dargestellt werden. In Z.2 werde die klarere Wortfolge „keine weitere Entziehung der Lenkberechtigung angeordnet wird“ eingeführt. Durch diese Formulierung solle insbesondere klar gestellt werden, dass die Einbehaltung des Führerscheines nach Ablauf der Entziehungsdauer aus Gründen mangelnder gesundheitlicher Eignung unzulässig sei, sofern dies nicht bescheidmäßig festgehalten werde.

 

Zum Sachverhalt gab der Beschwerdeführer an, dass er am 10. Dezember der irrigen Meinung gewesen sei, dass die Entzugszeit an diesem Tag bereits abgelaufen sei. Dies sei leider knapp nicht der Fall gewesen und es sei ihm als Fahrlässigkeit anzulasten, dass er sich diesbezüglich nicht bei seinem Anwalt oder bei der Behörde erkundigt habe. Bei der Verkehrskontrolle sei der vorangegangene Entzug wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung klar, vorerst aber der Ablauf der Entzugsdauer offen gewesen. Die Polizisten hätten dies vor Ort geprüft und ihm bekannt gegeben, dass die Entzugsdauer erst in wenigen Tagen ablaufe. In Anbetracht dieses Kenntnisstandes hätte die PI Mattighofen die Behörde ohne Aufwand darüber informieren können, dass er bei einer Schwarzfahrt betreten worden sei. Dies habe der Polizist aber unterlassen und die Behörde erst 7 Tage später informiert, weshalb ihm von der Behörde in die Zwischenzeit sein Führerschein wieder ausgefolgt worden sei. Die Polizei sei als Organ der Führerscheinbehörde zuzurechnen, weshalb die unnötige Verzögerung der Weiterleitung der Information betreffend seiner Schwarzfahrt der Behörde zugerechnet werden müsse.

 

Der Führerschein dürfe gemäß § 28 Abs.1 Z.2 nur dann auf Antrag nach Ablauf der Entzugsdauer wieder ausgefolgt werden, wenn keine weitere Entziehung der Lenkberechtigung angeordnet wird. Die Behörde habe deshalb mit der Wiederausfolgung seines Führerscheines unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass kein weiterer Entzug angeordnet wird. Daran sei sie gebunden. Die Ausfolgung des Führerscheines nach dem Entzug der Lenkberechtigung sei nur dann zulässig, wenn kein weiterer Entzug erfolgt. Daraus ergebe sich die behördliche Verpflichtung, vor Ausfolgung des Führerscheines zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Wiederausfolgung alle Erteilungsvoraussetzungen (§ 3 Abs.1 Z.2 und 3 FSG) vorliegen würden. Sei dies der Fall, so sei der Führerschein dem Antragsteller wegen der abgelaufenen Entzugszeit auszufolgen. Sei dies nicht der Fall, so sei die Wiederausfolgung zu verweigern und ein neuer Entzug der Berechtigung auszusprechen.

 

Aufgrund des klaren Wortlautes des § 28 FSG verbiete sich eine Auslegung dieser Bestimmung dahin, dass die Wiederausfolgung der darin genannten Urkunde ohne jede Auswirkung auf die Zulässigkeit einer weiteren Entzugsmaßnahme wegen Verkehrsunzuverlässigkeit (nicht wegen gesundheitlicher Nichteignung) sei. Eine Ausnahme vom Grundsatz der Einheitlichkeit des Verfahrens betreffend den Entzug der Lenkberechtigung anerkenne die Rechtsprechung nur im Fall der gesundheitlichen Nichteignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen nach Ablauf des Entzuges nach § 26 FSG wegen Verkehrsunzuverlässigkeit. Es gebe in der VwGH-Judikatur keinen einzigen Fall, der den neuerlichen Entzug der Lenkberechtigung wegen abermaliger Verkehrsunzuverlässigkeit nach Wiederausfolgung des Führerscheines behandle oder bestätige.

 

Im gegenständlichen Fall stehe der Grundsatz der Einheitlichkeit des Entzugsverfahrens und die Bestimmung des § 28 FSG einem neuerlichen Entzug seiner Lenkberechtigung entgegen, weshalb der Beschwerdeführer beantragte, seiner Beschwerde Folge zu geben, den bekämpften Bescheid aufzuheben und das Verfahren einzustellen.

 

3. Die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn hat den Verwaltungsakt mit Schreiben vom 11. Jänner 2016 dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich ohne Beschwerdevorentscheidung vorgelegt. Damit ergibt sich die Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich, welches durch den nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichter entscheidet.

 

4.           Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt. Aus diesem ergibt sich der für die Entscheidung wesentliche Sachverhalt zur Gänze und eine öffentliche mündliche Verhandlung wurde nicht beantragt. Eine solche war auch nicht erforderlich, weil lediglich Rechtsfragen zu klären waren.

 

4.1.      Folgender Sachverhalt steht fest:

 

Die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn hat dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 10.09.2015, Zl. VerkR21-315-2015 die Lenkberechtigung für die Dauer von sechs Wochen, gerechnet ab 02.11.2015, bis einschließlich 14.12.2015, entzogen. Dieser Bescheid ist letztlich in Rechtskraft erwachsen, nachdem der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers die dagegen ursprünglich eingebrachte Beschwerde mit Schreiben vom 06.11.2015 zurückgezogen hat.

 

Der Beschwerdeführer lenkte am 10.12.2015 um 11:30 Uhr den PKW mit dem Kennzeichen x in Mattighofen auf der Unterlochnerstraße in Richtung Kreisverkehr mit der B147. Er gab bei der Verkehrskontrolle an, der Meinung gewesen zu sein, dass sein Führerscheinentzug bereits abgelaufen gewesen wäre.

 

5.           Darüber hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich in rechtlicher Hinsicht folgendes erwogen:

 

5.1.      Gemäß § 24 Abs.1 FSG ist Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung nicht mehr gegeben sind, von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1.    die Lenkberechtigung zu entziehen oder

2.    die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken.

Diesfalls ist gemäß § 13 Abs. 5 ein neuer Führerschein auszustellen. Für den Zeitraum einer Entziehung der Lenkberechtigung für die Klassen A, B oder F ist auch das Lenken von vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen unzulässig, es sei denn es handelt sich

1. um eine Entziehung gemäß § 24 Abs. 3 achter Satz oder

2. um eine Entziehung der Klasse A wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung, die ausschließlich mit dem Lenken von einspurigen Kraftfahrzeugen zusammenhängt.

Bei besonders berücksichtigungswürdigen Gründen kann von der Entziehung der Klasse AM hinsichtlich der Berechtigung zum Lenken von Motorfahrrädern abgesehen werden. Dies ist auch dann möglich, wenn der Betreffende die Lenkberechtigung für die Klasse AM nur im Wege des § 2 Abs. 3 Z 7 besitzt.

 

Eine wesentliche Voraussetzung für die Erteilung der Lenkberechtigung bildet gemäß § 3 Abs.1 Z2 FSG die Verkehrszuverlässigkeit.

 

Gemäß § 7 Abs.1 FSG gilt eine Person als verkehrszuverlässig, wenn nicht aufgrund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs.3) und ihrer Wertung (Abs.4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1.      die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

2.      sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.

 

Gemäß § 7 Abs.3 Z.6 FSG hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs.1 insbesondere zu gelten, wenn jemand ein Kraftfahrzeug lenkt

a)   trotz entzogener Lenkberechtigung oder Lenkverbotes oder trotz vorläufig abgenommenen Führerscheines oder

b)   wiederholt ohne entsprechende Lenkberechtigung für die betreffende Klasse.

 

Gemäß § 7 Abs.4 FSG sind für die Wertung der in Abs.1 genannten und in Abs.3 beispielsweise angeführten Tatsachen deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend, wobei in den in Abs. 3 Z. 14 und 15 genannten bestimmten Tatsachen die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit nicht zu berücksichtigen sind.

 

Gemäß § 25 Abs.3 FSG ist bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. Sind für die Person, der die Lenkberechtigung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit zu entziehen ist, zum Zeitpunkt der Entziehung im Vormerksystem Delikte vorgemerkt, so ist für jede dieser im Zeitpunkt der Entziehung bereits eingetragenen Vormerkungen die Entziehungsdauer um zwei Wochen zu verlängern; davon ausgenommen sind Entziehungen aufgrund des § 7 Abs.3 Z14 und 15.

Gemäß § 28 Abs. 1 FSG ist der Führerschein nach Ablauf der Entziehungsdauer wieder auszufolgen, wenn

1. die Entziehungsdauer nicht länger als 18 Monate war und

2. keine weitere Entziehung der Lenkberechtigung angeordnet wird.

 

5.2.      Der Beschwerdeführer hat am 10.12.2015 einen PKW gelenkt, obwohl ihm die Lenkberechtigung bis einschließlich 14.12.2015 entzogen war. Er hat damit eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs.3 Z.6 lit.a FSG begangen. Dennoch hat ihm die Behörde am 15.12.2015 seinen Führerschein wieder ausgefolgt.

 

5.3. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die Behörde bei der Wiederausfolgung des Führerscheines die Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens hätte beachten müssen. Durch die Wiederausfolgung des Führerscheines habe die Behörde zum Ausdruck gebracht, dass der Beschwerdeführer am 15.12.2015 verkehrszuverlässig gewesen sei. Sie dürfe daher Vorfälle, welche sich vorher ereignet haben, nicht neuerlich beurteilen. Dazu ist Folgendes auszuführen:

 

5.3.1. Das Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insofern ein einheitliches, als die Behörde das Vorliegen aller Erteilungsvoraussetzungen zu beurteilen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung zu entziehen sowie auszusprechen hat, wie lange der Betroffene nicht im Besitz seiner Lenkberechtigung sein soll. Diese Prognoseentscheidung hat sie aufgrund aller bis zur Erlassung des Entziehungsbescheides verwirklichten Tatsachen zu treffen. Mit dem Eintritt der Rechtskraft eines Entziehungsbescheides wegen Verkehrsunzuverlässigkeit steht fest, dass der betreffende Lenker bis zu diesem Zeitpunkt nicht verkehrszuverlässig ist und zu welchem Zeitpunkt frühestens mit der Wiederherstellung der Verkehrszuverlässigkeit gerechnet werden kann. Eine neuerliche Entziehung der Lenkberechtigung wegen des Vorliegens von Tatsachen, die vor der Zustellung des in Rechtskraft erwachsenen Entziehungsbescheides verwirklicht worden sind, ist nicht zulässig (siehe z.B. VwGH 12.01.1993, 92/11/0205; 23.05.2006, 2003/11/0205 ua.).

 

5.3.2. Zu diesem vom Verwaltungsgerichtshof geprägten Prinzip der „Einheitlichkeit des Entziehungsverfahren“ ist anzuführen, dass sich dieses nicht unmittelbar aus positivrechtlichen Bestimmungen des FSG bzw. der entsprechenden Vorgängerbestimmungen des KFG ergibt. Dies ergibt sich deutlich aus der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 29.10.1991, 91/11/0054: In der Begründung dieser Entscheidung heißt es, dass „in einem behördlichen Entziehungsbescheid zum Ausdruck kommt, dass die Behörde aufgrund der im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides bestehenden Sach- und Rechtslage von der Annahme ausgeht, dass nach Ablauf der festgesetzten Zeit die Eignungsvoraussetzungen wieder gegeben sind“. Daraus ist ersichtlich, dass sich der Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens nicht aus spezifischen führerscheinrechtlichen Überlegungen ableitet sondern Ausfluss des allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsatzes ist, wonach die Behörde bei der Erlassung eines Bescheides die Sachlage zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung heranzuziehen und alle bis zu diesem Zeitpunkt verwirklichten Sachverhaltselemente zu berücksichtigen hat (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 39 Rz 42 und die dort angeführte Judikatur). Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens bezieht sich daher nur auf die Erlassung des Entziehungsbescheides durch die Behörde. Mit der Erlassung des rechtskräftigen Entziehungsbescheides wird das Entziehungsverfahren abgeschlossen.

 

Die Wiederausfolgung des Führerscheines nach Ablauf der Entzugsdauer ist nicht mehr Teil des Entziehungsverfahrens sondern eine bloße manipulative Tätigkeit der Behörde. Es handelt sich um die Ausfolgung eines Dokumentes, nicht um den bescheidmäßigen Abspruch über das Bestehen oder Nichtbestehen bzw. die Entziehung eines Rechtes. Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens ergibt sich hingegen daraus, dass die Behörde zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung den gesamten bis zu diesem Zeitpunkt vorgefallenen Sachverhalt berücksichtigen muss und steht daher in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erlassung eines Bescheides. Auf die bloß faktische Tätigkeit der Ausfolgung eines Dokumentes ist dieser Grundsatz nicht anzuwenden.

 

5.3.3. Daran ändert auch § 28 Abs.1 Z.2 FSG nichts. Aus dieser Bestimmung ergibt sich lediglich, dass der Führerschein nach Ablauf der (vorher mittels Bescheid festgesetzten) Entziehungsdauer auf Antrag wieder auszufolgen ist, wenn keine weitere Entziehung der Lenkberechtigung angeordnet wird. Eine Verpflichtung der Behörde, die Verkehrszuverlässigkeit des Betroffenen vor Wiederausfolgung des Führerscheines in jedem Fall von Amts wegen zu überprüfen, kann daraus nicht abgeleitet werden. Wenn der Behörde zum Zeitpunkt des Antrages auf Wiederausfolgung des Führerscheines Umstände bekannt sind, welche die Verkehrszuverlässigkeit des Antragstellers in Zweifel ziehen können, so mag es zweckmäßig sein, vor Erledigung des Wiederausfolgungsantrages dies zu überprüfen und gegebenenfalls einen neuerlichen Entzugsbescheid zu erlassen. Unterlässt sie dies jedoch und folgt den Führerschein wieder aus, so können an das bloße Aushändigen eines Dokumentes nicht dieselben Rechtsfolgen geknüpft werden wie an einen bescheidmäßigen Abspruch über die Entziehung eines Rechtes.

 

5.4. Zusammengefasst ergibt sich, dass der Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens nur auf bescheidmäßige Erledigungen der Behörde anzuwenden ist, weil sich dieser Grundsatz aus dem im AVG verankerten Prinzip ableitet, dass die Behörde bei der Erlassung eines Bescheides die Sachlage zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung zu berücksichtigen hat. Auf bloß manipulative Tätigkeiten wie die Ausfolgung des Führerscheines ist dieser Grundsatz nicht anzuwenden. Dies bedeutet im Ergebnis, dass die Wiederausfolgung des Führerscheines am 15. Dezember 2015 die Behörde nicht daran hindert, die Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers wegen seiner Schwarzfahrt vom 10.Dezember.2015 zu einem späteren Zeitpunkt zu beurteilen.

 

5.5. Bei dieser Schwarzfahrt handelt es sich um eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs.3 Z.6 FSG. Derartige Übertretungen sind verwerflich und stehen im klaren Widerspruch zum Zweck des Entziehungsverfahrens, nämlich verkehrsunzuverlässige Personen von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen. Der Einwand des Beschwerdeführers, dass er sich bezüglich des Endes der Entziehungsdauer geirrt habe, ist nur schwer nachvollziehbar, weil im entsprechenden Entzugsbescheid das Ende der Entzugsdauer datumsmäßig bestimmt ist. Sollte der Beschwerdeführer trotz der eindeutigen Anordnung, dass ihm die Lenkberechtigung bis einschließlich 14. Dezember 2015, 24:00 Uhr, entzogen wird, am 10. Dezember 2015 tatsächlich der Meinung gewesen sein, dass die Entzugsdauer bereits geendet hätte, so wäre dieser Irrtum wohl auf eine auffallende Sorglosigkeit zurückzuführen, weil er ihn durch einfache Nachschau in den Entzugsbescheid hätte vermeiden können. Zwischen der Schwarzfahrt und der Zustellung des nunmehr bekämpften Entzugsbescheides sind auch lediglich ca. drei Wochen vergangen, sodass das Wohlverhalten des Beschwerdeführers in dieser Zeit keinen relevanten Einfluss auf die Beurteilung seiner Verkehrszuverlässigkeit hat. Unter Berücksichtigung dieser Umstände kann der Wertung der Behörde, wonach der Beschwerdeführer aufgrund der Schwarzfahrt vom 10.Dezember.2015 bis einschließlich 4. April 2016 nicht verkehrszuverlässig ist, nicht entgegengetreten werden. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

 

 

Zu II.:

 

Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Frage, ob der Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens auch bei bloßer Wiederausfolgung des Führerscheines ohne bescheidmäßigen Abspruch über das Bestehen der Lenkberechtigung anzuwenden ist, wurde – soweit ersichtlich – bisher vom VwGH nicht entschieden. Ihr kommt auch eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu.

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer ordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Mag. Gottfried Zöbl

 

 

 

 

LVwG-650559/2/ZO/CG vom 2. Februar 2016

 

Erkenntnis

 

Normen:

§ 24 Abs. 1 FSG

§ 28 Abs. 1 FSG

 

Das Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insofern ein einheitliches, als die Behörde das Vorliegen aller Erteilungsvoraussetzungen zu beurteilen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung zu entziehen sowie auszusprechen hat, wie lange der Betroffene nicht im Besitz seiner Lenkberechtigung sein soll. Diese Prognoseentscheidung hat sie aufgrund aller bis zur Erlassung des Entziehungsbescheides verwirklichten Tatsachen zu treffen. Eine neuerliche Entziehung der Lenkberechtigung wegen des Vorliegens von Tatsachen, die vor der Zustellung des in Rechtskraft erwachsenen Entziehungsbescheides verwirklicht worden sind, ist nicht zulässig.

 

Dieses Prinzip der „Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens“ ergibt sich nicht unmittelbar aus positivrechtlichen Bestimmungen des FSG bzw. der entsprechenden Vorgängerbestimmungen des KFG. Der Verwaltungsgerichtshof führt in seiner Entscheidung vom 29.10.1991, 91/11/0054 aus, dass „in einem behördlichen Entziehungsbescheid zum Ausdruck kommt, dass die Behörde aufgrund der im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides bestehenden Sach- und Rechtslage von der Annahme ausgeht, dass nach Ablauf der festgesetzten Zeit die Eignungsvoraussetzungen wieder gegeben sind“. Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens ist also Ausfluss des allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsatzes, wonach die Behörde bei der Erlassung eines Bescheides die Sachlage zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung heranzuziehen und alle bis zu diesem Zeitpunkt verwirklichten Sachverhaltselemente zu berücksichtigen hat (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 39 RZ 42 und die dort angeführte Judikatur). Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens bezieht sich daher nur auf die Erlassung des Entziehungsbescheides durch die Behörde. Mit diesem (rechtskräftigen) Bescheid wird das Entziehungsverfahren abgeschlossen.

 

Die Wiederausfolgung des Führerscheines nach Ablauf der Entzugsdauer ist nicht mehr Teil des Entziehungsverfahrens sondern eine bloße manipulative Tätigkeit der Behörde. Es handelt sich um die Ausfolgung eines Dokumentes, nicht um den bescheidmäßigen Abspruch über die Erteilung bzw. Entziehung eines Rechtes. Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens ist auf die bloß faktische Tätigkeit der Ausfolgung eines Dokumentes nicht anzuwenden.

 

Daran ändert auch § 28 Abs.1 Z.2 FSG nichts. Aus dieser Bestimmung ergibt sich lediglich, dass der Führerschein nach Ablauf der (vorher mittels Bescheid festgesetzten) Entziehungsdauer auf Antrag wieder auszufolgen ist, wenn keine weitere Entziehung der Lenkberechtigung angeordnet wird.

 

 

Beschlagwortung:

 

Führerschein; Entziehungsverfahren – Wiederausfolgung - Abgrenzung