LVwG-650552/9/Kof/MSt
Linz, 22.01.2016
I M N A M E N D E R R E P U B L I K
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Mag. Josef Kofler über die Beschwerde des Herrn S Z, geb. 1994, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. W L, gegen den Bescheid
der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach vom 14. Oktober 2015, GZ: 14/006813 betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, nach der am 19. Jänner 2016 durchgeführten mündlichen Verhandlung einschließlich Verkündung des Erkenntnisses,
zu Recht e r k a n n t :
I.
Gemäß § 28 Abs.1 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und
der behördliche Bescheid aufgehoben.
II.
Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs.4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Der nunmehrige Beschwerdeführer (Bf) wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Linz vom 10. September 2015, 25 Hv 56/15w wegen dem Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs.2 und 84 Abs.1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten – bedingt nachgesehen auf eine Probezeit von drei Jahren – verurteilt.
Grund für diese Verurteilung war, dass der Bf am 18.02.2015 in R. Herrn BE
am Körper misshandelte und dadurch fahrlässig verletzt hat, indem er ihm einen Schlag gegen den Hinterkopf versetzte, wodurch dieser stürzte und sich dabei eine Gehirnerschütterung verbunden mit einer Schädelfraktur, sohin eine an sich eine schwere Verletzung zuzog.
Die belangte Behörde hat daraufhin mit dem in der Präambel zitierten Bescheid dem Bf gemäß näher bezeichneter Rechtsgrundlagen nach dem FSG wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit
· die Lenkberechtigung für die Klassen AM und B sowie eine allfällig bestehende ausländische von einem EWR-Staat ausgestellte Lenkberechtigung für die Dauer von drei Monaten – gerechnet ab Rechtskraft dieses Bescheides – entzogen,
· für die Dauer der Entziehung der Lenkberechtigung das Recht aberkannt,
von einer allfällig bestehenden von einem ausländischen Nicht-EWR-Staat ausgestellten Lenkberechtigung in Österreich Gebrauch zu machen und
· verpflichtet, den Führerschein unverzüglich nach Rechtskraft dieses Bescheides bei der belangten Behörde oder bei der Polizeiinspektion L. abzuliefern.
Gegen diesen Bescheid hat der Bf innerhalb offener Frist
eine begründete Beschwerde erhoben.
Hierüber hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich durch seinen nach der Geschäftsverteilung zuständigen Richter (Art. 135 Abs.1 1.Satz B-VG) erwogen:
Am 19. Jänner 2016 wurde beim LVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, an welcher der Bf, dessen Rechtsvertreter sowie die Zeugin
Frau SJA teilgenommen haben.
Stellungnahme des Beschwerdeführers:
Am 18. Februar 2015 um ca. 17:30 Uhr begab ich mich in das Lokal „K.“ in R.
Meine damalige Freundin, die nunmehrige Zeugin SJA war dort Kellnerin.
Ich traf mich dort mit einigen Freunden. Ich habe mich von 17:30 Uhr bis
01:00 Uhr früh durchgehend in diesem Cafe-Haus aufgehalten.
Um ca. 1:00 Uhr früh kam Herr BE in dieses Cafe-Haus.
Einer meiner anwesenden Freunde, Herr AZ hat sich mit Herrn BE unterhalten. Anschließend hat AZ mir berichtet, Herr BE hätte ihn beschimpft.
Anschließend kam Herr BE zu mir und zu Herrn AZ und beschimpfte uns beide.
Danach kam die Kellnerin – meine damalige Freundin – Frau SJA.
Sie sagte Herrn BE, er möge „Ruhe geben“ oder er werde aus dem Lokal verwiesen.
Daraufhin schüttete Herrn BE Frau SJA ein Getränk (glaublich: Cola-Whisky)
ins Gesicht und ließ das Glas fallen.
Ich „schubste“ ihn weg. Aufgrund seiner offenkundigen Alkoholisierung
kam er ins „Straucheln“ und fiel zu Boden.
Dabei zog er sich eine Gehirnerschütterung und eine Schädelfraktur zu.
Ich hatte keineswegs die Absicht, Herrn BE zu verletzen,
ich wollte ihn nur „wegschubsen“.
Unmittelbar nach diesem Vorfall habe ich das Lokal verlassen und
draußen gewartet. Ich wurde von einem Freund nach Hause gebracht.
Währenddessen kam die Rettung, die Polizei war zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor Ort.
Der „Schubser“, welchen ich Herrn BE versetzte, hatte einzig und allein
den Grund, um weitere Attacken gegen meine Freundin SJA zu verhindern.
Dieser „Schubser“ war nicht sonderlich intensiv, da Herr BE jedoch meines Erachtens stark alkoholisiert war, ist er auch deshalb zu Boden gefallen und hat sich verletzt. Der „Schubser“ alleine hätte keine Verletzung bewirkt.
Insgesamt habe ich an Herrn BE ein Schmerzensgeld von 4000 Euro bezahlt.
Seit diesem Vorfall trinke ich keinen Alkohol mehr und lebe in einer festen Beziehung (nicht mehr mit meiner damaligen Freundin SJA).
Zeugenaussage der Frau SJA:
Am 18. Februar 2015 war ich im Lokal „K.“ in R. als Kellnerin beschäftigt.
Herr BE war Gast in diesem Lokal, ich kannte ihn schon von früher.
Er ist „ständig lästig“, sozusagen ein unangenehmer Gast.
Herr BE hat „die gesamte Gruppe angesudert“.
Ich versetzte ihm einen Stoß.
Daraufhin hat er mir ein Getränk ins Gesicht geschüttet.
Kurzfristig habe ich nichts gesehen.
Welches Getränk Herr BE mir ins Gesicht geschüttet hat,
kann ich heute nicht mehr angeben, es hat jedoch „stark gebrannt“.
Ich musste mich daher anschließend im Gesicht waschen und habe dadurch
den Vorfall zwischen dem Bf und Herrn BE nicht beobachten können.
Herr BE war meiner Meinung nach bei diesem Vorfall bereits stark alkoholisiert.
Vor diesem Vorfall habe ich keinen Streit zwischen Herrn BE und
dem Bf beobachtet.
Ich habe betreffend den Streit zwischen dem Bf und Herrn BE lediglich einige Schreie wahrnehmen können.
Dies war unmittelbar, nachdem ich das Getränk ins Gesicht geschüttet bekam.
Der gesamte Streit wurde meines Erachtens von Herrn BE ausgelöst,
da er im Lokal anwesende Personen „angestänkert“ hat.
Anmerkung: Der Name des Bf wurde durch die Wendung „Bf“
– in der jeweils grammatikalisch richtigen Form – ersetzt.
Die Zeugin Frau SJA hat bei der mVh einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen und insbesondere nachvollziehbar geschildert, dass Herr BE den Streit mit dem Bf ausgelöst hat.
Gemäß § 24 Abs.1 Z1 FSG ist Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung nicht mehr gegeben sind, von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit die Lenkberechtigung zu entziehen.
Gemäß § 25 Abs.1 FSG ist bei der Entziehung auch auszusprechen,
für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird.
Dieser ist aufgrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.
Gemäß § 25 Abs.3 FSG ist bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrs-zuverlässigkeit (§ 7 leg.cit.) eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen.
Gemäß § 7 Abs.1 Z2 FSG gilt eine Person als verkehrszuverlässig, wenn nicht aufgrund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs.3) und ihrer Wertung (Abs.4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken
von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.
Gemäß § 7 Abs.3 Z9 FSG hat als bestimmte Tatsache zu gelten, wenn jemand eine strafbare Handlung gegen Leib und Leben gemäß § 84 StGB begangen hat.
Gemäß § 7 Abs.4 FSG sind für die Wertung der in Abs.3 leg.cit. beispielsweise angeführten Tatsachen deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bilden bei der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit (allfällige) berufliche, wirtschaftliche, persönliche und familiäre Nachteile, welche mit der (Dauer der) Entziehung der Lenkberechtigung verbunden sind, kein wie immer geartetes Beweisthema;
Erkenntnisse v. 30.5.2001, 2001/11/0081; vom 23.4.2002, 2000/11/0182;
vom 11.4.2002, 99/11/0328; vom 28.9.1993, 93/11/0142 mit Vorjudikatur;
vom 25.2.2003, 2003/11/0017; vom 4.10.2000, 2000/11/0176.
Bei der Entziehung der Lenkberechtigung handelt es sich um keine Strafe, sondern um eine administrative Maßnahme zum Schutz der anderen Verkehrsteilnehmer oder sonstiger Rechtsgüter vor verkehrsunzuverlässigen KFZ-Lenkern;
VfGH v. 14.3.2003, G203/02; v. 11.10.2003, B 1031/02; v. 26.2.1999, B 544/97
VwGH vom 18.03.2003, 2002/11/0062; vom 22.11.2002, 2001/11/0108; vom 23.04.2002, 2000/11/0184; vom 22.02.2000, 99/11/0341 mit Vorjudikatur; vom 19.07.2002, 2000/11/0171; vom 06.04.2006, 2005/11/0214; vom 27.04.2015, Ra 2015/11/0011 unter Verweis auf VfGH vom 11.10.2003, B 1031/02.
Gemäß § 25 Abs.3 FSG darf bei Entziehung wegen mangelnder Verkehrs-zuverlässigkeit eine Entziehungsdauer von weniger als drei Monaten nicht festgesetzt werden.
Die in § 25 Abs.3 FSG enthaltene "Mindestentziehungsdauer" sieht nicht vor, dass schon die Verwirklichung einer bestimmten Tatsache iSd § 7 Abs.3 (hier: Z9) FSG jedenfalls zu einer Entziehung der Lenkberechtigung für diese bestimmte (Mindestentziehungs-)Dauer führen müsse.
Trifft daher die Annahme, der Betreffende werde für einen Zeitraum von mindestens drei Monaten verkehrsunzuverlässig sein, nicht (mehr) zu, darf
eine Entziehung der Lenkberechtigung nicht (mehr) ausgesprochen werden.
VwGH vom 16.09.2008, 2007/11/0224.
Die Dauer der Verkehrsunzuverlässigkeit ist ab Tathandlung bzw.
ab Beendigung des strafbaren Verhaltens zu bemessen;
VwGH vom 17.10.2006, 2006/11/0120; vom 21.03.2006, 2005/11/0196; vom 22.02.2007, 2005/11/0190; vom 21.11.2006, 2005/11/0168; vom 21.03.2006, 2005/11/0153; vom 27.03.2007, 2005/11/0115; vom 18.12.2007, 2007/11/0194.
Der Bf hat die verfahrensgegenständliche Tat am 18. Februar 2015 –
somit vor ca. 11 Monaten – begangen.
Eine Entziehung der Lenkberechtigung wäre somit nur dann zulässig, wenn
beim Bf eine Dauer der Verkehrsunzuverlässigkeit von (zumindest) 14 Monaten angenommen werden könnte.
Von Kraftfahrzeuglenkern wird wegen der im Straßenverkehr häufig auftretenden Konfliktfälle eine nicht zu Gewalttätigkeiten neigende Sinnesart verlangt;
VwGH vom 22.01.2002, 2001/11/0196.
Zugunsten des Bf ist jedoch zu werten, dass er
· zu dieser Tat von Herrn BE provoziert wurde und
· „nur“ zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt wurde.
Der VwGH hat in vergleichbaren – und sogar schwerwiegenderen – Fällen eine Dauer der Verkehrsunzuverlässigkeit von z.B. 15 Monaten als zu lange empfunden; Erkenntnis vom 14.09.2004, 2004/11/0119 mit umfangreicher Vorjudikatur.
Da beim Bf somit die Verkehrszuverlässigkeit gegeben ist,
war der Beschwerde stattzugeben und der behördliche Bescheid aufzuheben.
II. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des
Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.
Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag
der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) und/oder einer außerordentlichen Revision
beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH).
Eine Beschwerde an den VfGH ist unmittelbar bei diesem einzubringen,
eine Revision an den VwGH beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich.
Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision
müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.
H i n w e i s
Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision sind unmittelbar beim VwGH einzubringen.
Landesverwaltungsgericht Oberösterreich
Mag. Josef Kofler