LVwG-700095/9/ER
Linz, 26.11.2015
I M N A M E N D E R R E P U B L I K
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seine Richterin Dr. Elisabeth Reitter über die Beschwerde des Herrn B S, StA von Österreich, geb. x, x, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land vom 6. Mai 2015, Pol96-69-2015, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz
zu Recht e r k a n n t :
I. Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.
II. Gemäß § 52 Abs. 8 und 9 VwGVG hat der Beschwerdeführer weder einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens noch zu den Kosten des behördlichen Verwaltungsstrafverfahrens zu leisten.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I.1. Mit Straferkenntnis vom 6. Mai 2015, Pol96-69-2015, verhängte der Bezirkshauptmann des Bezirks Wels-Land (im Folgenden: belangte Behörde) über den Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) eine Geldstrafe in der Höhe von 1.000 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 168 Stunden) wegen einer Übertretung des § 77 Abs 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, weil der Bf eine Haftungserklärung abgegeben habe, obwohl er sich im Privatkonkurs befinde. Der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses lautet wie folgt:
„Sie haben im Zuge der Erstantragstellung auf Familienzusammenführung vom 13.08.2014 betreffend Ihres Sohnes M S eine Haftungserklärung vom 14.7.2014, eingelangt am 01.09.2014 bei der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land in 4600 Wels Herrengasse 8, trotz laufenden Privatkonkurses, der sich auf über 40.000 Euro Schulden beläuft, eingereicht.
Sie sind auf Grund des Privatkonkurses nicht im Stande Ihrer Verpflichtung aus der Haftungserklärung nachzukommen, obwohl, wer eine Haftungserklärung oder Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1. Z 15 oder 18 NAG) abgibt, obwohl er weiß oder wissen müsste, dass seine Leistungsfähigkeit zum Tragen der in Betracht kommenden Kosten nicht ausreicht und er daher seiner Verpflichtung aus der Haftungserklärung oder Patenschaftserklärung nicht nachkommen kann oder nicht nachkommen wird können, eine Verwaltungsübertretung begeht und mit Geldstrafe von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen ist.“
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Sohn des Bf, der am x geboren worden sei, am 13. August 2014 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gestellt habe. Nach Durchsicht der angeschlossenen Unterlagen sei der belangten Behörde klar gewesen, dass es sich um einen Erstantrag auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot-Karte – Plus“ gehandelt habe, weshalb dieser Antrag amtswegig geändert worden sei. Der Antrag des Sohnes habe sich aufgrund der beabsichtigten Erwerbstätigkeit auf das Assoziierungsabkommen EWG-Türkei, konkret auf die darin verankerte „Stillhalteklausel“ gestützt. Es seien daher die Normen des Fremdengesetzes 1997 anzuwenden.
Gemäß § 47 Abs 3 Z 2 Fremdengesetz 1997 seien Verwandte in absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus sofern ihnen Unterhalt gewährt wird, begünstigte Drittstaatsangehörige.
Der Sohn des Bf habe am x sein 21. Lebensjahr vollendet, daher sei im NAG Verfahren die Unterhaltsgewährung sowie die finanzielle Abhängigkeit des Sohnes an den zusammenführenden Bf nachzuweisen gewesen.
Der Bf habe anlässlich einer am 28. Oktober 2014 aufgenommenen Niederschrift angegeben, dass sein Sohn in der Türkei selbsterhaltungsfähig sei. Ferner habe der Bf im Rahmen dieser Niederschrift angegeben, sich in Privatkonkurs zu befinden. Im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Haftungserklärung, am 14. Juli 2014, hätte der Bf aufgrund seines Privatkonkurses wissen müssen, dass diese nicht tragfähig sein werde.
In ihren Erwägungen führte die belangte Behörde Folgendes aus:
„Auf Grund der Haftungserklärung vom 14.07.2014 und Ihren abgegebenen Unterlagen über den Privatkonkurs sowie über Ihr zu geringes Einkommen besteht für die Behörde kein Zweifel, dass die Tragfähigkeit der Haftungserklärung zur Tatzeit mit 01.09.2014 nicht gegeben ist.“
I.2. Mit Schreiben vom 26. Mai 2015 stellte der Bf einen Antrag auf Verfahrenshilfe, ohne gleichzeitig Beschwerde gegen das nunmehr angefochtene Straferkenntnis zu erheben. Mit Beschluss vom 16. Juni 2015 wies das Oö. Landesverwaltungsgericht den Antrag auf Verfahrenshilfe ab und teilte dem Bf mit, dass die Frist zur Erhebung einer allfälligen Beschwerde gegen das nunmehr bekämpfte Straferkenntnis mit der Zustellung dieses Beschlusses zu laufen beginne. Dem Bf wurde dieser Beschluss nachweislich am 3. Juli 2015 zugestellt.
Mit Schreiben vom 13. Juli 2015 erhob der Bf Beschwerde gegen das verfahrensgegenständliche Straferkenntnis, die er direkt beim Oö. Landesverwaltungsgericht einbrachte. Das Oö. Landesverwaltungsgericht leitete die Beschwerde an die belangte Behörde gemäß § 6 AVG weiter, wo sie nachweislich am 20. Juli 2015 einlangte. Die Beschwerde war daher rechtzeitig.
In der Beschwerde brachte der Bf im Wesentlichen vor, dass ihm von der belangten Behörde im Rahmen der Antragstellung seines Sohnes auf Erteilung eines Aufenthaltstitels lediglich „ein Antrag in die Hand gedrückt“ worden sei, mit dem Auftrag alles auszufüllen. Der Bf sei nicht darüber belehrt worden, unter welchen Bedingungen er eine Haftungserklärung ausfüllen dürfe, auch sei er nicht nach seiner finanziellen Situation gefragt worden – in diesem Fall hätte er wahrheitsgemäß ausgesagt. Erst später sei der Bf von der belangten Behörde nach seinen finanziellen Verhältnissen gefragt worden und sei – nach dem er wahrheitsgemäß ausgesagt habe – darüber informiert worden, dass ein Strafverfahren eingeleitet werde.
I.3. Mit Schreiben vom 7. August 2015 legte die belangte Behörde dem Oö. Landesverwaltungsgericht die Beschwerde samt dem bezughabenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor. Eine Beschwerdevorentscheidung wurde nicht erlassen.
Das Oö. Landesverwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch die Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt. Da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der Beschwerde stattzugeben und das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben ist, entfällt die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gemäß § 44 Abs 2 VwGVG.
I.4. Es steht folgender entscheidungsrelevanter S a c h v e r h a l t fest:
Der Bf ist seit 23. November 2006 österreichischer Staatsbürger. Der Sohn des Bf, ein türkischer Staatsbürger, geboren am x, stellte am 13. August 2014 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ bei der belangten Behörde. Die belangte Behörde änderte diesen Antrag amtswegig auf einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte – Plus“.
Der Sohn des Bf beabsichtigt eine Erwerbstätigkeit in Österreich aufzunehmen, er kann sich daher auf das Assoziierungsabkommen EWG-Türkei berufen.
Der Bf hat am 14. Juli 2014 eine Haftungserklärung bei einem Notar unterfertigt, welche er am 1. September 2014 der belangten Behörde vorlegte.
II. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich völlig widerspruchsfrei aus dem vorgelegten Verwaltungsakt – insbesondere dem angefochtenen Straferkenntnis. Dass der Bf seit 23. November 2006 österreichischer Staatsbürger ist, ergibt sich aus dem im Verwaltungsakt einliegenden Auszug aus dem Zentralen Melderegister, wonach ihm an diesem Tag von der Oö. Landesregierung die Urkunde über den Erwerb der Staatsbürgerschaft, GZ Gem(Stb)-426910/15-2006/Aui, verliehen wurde. Auch im angefochtenen Straferkenntnis geht die belangte Behörde davon aus, dass der Bf österreichischer Staatsbürger ist.
III. Gemäß § 2 Abs 1 Z 15 NAG ist eine Haftungserklärung die von einem österreichischen Notar oder einem inländischen Gericht beglaubigte Erklärung Dritter mit mindestens fünfjähriger Gültigkeitsdauer, dass sie für die Erfordernisse einer alle Risken abdeckenden Krankenversicherung, einer Unterkunft und entsprechender Unterhaltsmittel aufkommen und für den Ersatz jener Kosten haften, die einer Gebietskörperschaft bei der Durchsetzung einer Rückkehrentscheidung, eines Aufenthaltsverbotes, einer Ausweisung, einer Zurückschiebung, der Vollziehung der Schubhaft oder als Aufwendung für den Einsatz gelinderer Mittel, sowie aus dem Titel der Sozialhilfe oder eines Bundes- oder Landesgesetzes, das die Grundversorgungsvereinbarung nach Art 15a B-VG, BGBl I Nr 80/2004, umsetzt, entstehen, und die Leistungsfähigkeit des Dritten zum Tragen der Kosten zum Zeitpunkt der Erklärung nachgewiesen wird.
Gemäß § 11 Abs 6 Niederlassung- und Aufenthaltsgesetz in der zum vorgeworfenen Tatzeitpunkt geltenden Fassung BGBl I Nr 100/2005 – NAG muss die Zulässigkeit, den Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des Abs 2 Z 2 bis 4 mit einer Haftungserklärung (§ 2 Abs 1 Z 15) erbringen zu können, ausdrücklich beim jeweiligen Aufenthaltszweck angeführt sein.
Gemäß § 77 Abs 2 Z 2 NAG begeht, wer eine Haftungserklärung (§ 2 Abs 1 Z 15) abgibt, obwohl er weiß oder wissen müsste, dass seine Leistungsfähigkeit zum Tragen der in Betracht kommenden Kosten nicht ausreicht und er daher seiner Verpflichtung aus der Haftungserklärung nicht nachkommen kann oder nicht nachkommen wird können, eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen.
Gemäß Art 6 Abs 1 Assoziationsratsbeschlusses 1/1980 – ARB 1/80 hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung, in diesem Mitgliedstaat
- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
- nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
- nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.
Gemäß Art 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.
Gemäß Art 14 Abs 1 ARB 1/80 gilt dieser Abschnitt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.
Gemäß § 49 Abs 1 FrG 1997 genießen Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs 3, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, Niederlassungsfreiheit; für sie gelten, sofern im Folgenden nicht anderes gesagt wird, die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem 1. Abschnitt. Solche Fremde können Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen. Die Gültigkeitsdauer der ihnen die beiden ersten Male erteilten Niederlassungsbewilligung beträgt jeweils ein Jahr.
§ 47 FrG 1997 regelt die Aufenthaltsberechtigung begünstigter Drittstaats-angehöriger:
Gemäß Abs 2 genießen begünstigte Drittstaatsangehörige (Abs 3) Niederlassungsfreiheit, sofern die EWR-Bürger zur Niederlassung berechtigt sind; ihnen ist eine Niederlassungsbewilligung auszustellen, wenn ihr Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Solche Fremde können Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen, wenn sie an sich zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt sind. Die Niederlassungsbewilligung ist mit fünf Jahren, in den Fällen der beabsichtigten Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch den EWR-Bürger (§ 46 Abs. 2 Z 3) jedoch mit sechs Monaten ab dem Zeitpunkt seiner Einreise zu befristen.
Gemäß Abs 3 Z 2 sind begünstigte Drittstaatsangehörige folgende Angehörige eines EWR-Bürgers: Verwandte in absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus sofern ihnen Unterhalt gewährt wird.
Gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet.
IV. Das Oö. Landesverwaltungsgericht hat erwogen:
IV.1. Durch die Legaldefinition einer Haftungserklärung in § 11 Abs 1 Z 15 NAG hat der Gesetzgeber festgelegt, dass nur jene Haftungserklärungen im Regelungsgefüge des NAG Berücksichtigung finden, die von dieser Legaldefinition erfasst sind.
Des Weiteren legte der Gesetzgeber durch § 11 Abs 6 NAG fest, dass im jeweiligen Aufenthaltszweck ausdrücklich vorgesehen sein muss, dass ein Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des Abs 2 Z 2 bis 4 mit einer Haftungserklärung – nämlich einer gemäß § 2 Abs 2 Z 15 NAG – erbracht werden kann. In anderen als den gesetzlich vorgesehenen Fällen ist eine Haftungserklärung somit – mag sie auch dennoch abgegeben worden sein – nicht geeignet, den entsprechenden Nachweis zu erbringen und damit iSd §§ 2 Abs 1 Z 15 iVm 11 Abs 6 NAG nicht von Relevanz.
Aus dem Wortlaut des § 77 Abs 2 Z 2 NAG ergibt sich, dass Voraussetzung für die Strafbarkeit nach dieser Bestimmung einerseits die Abgabe einer Haftungserklärung gemäß § 2 Abs 1 Z 15 NAG ist, obwohl derjenige, der sie abgibt weiß oder wissen musste, dass seine Leistungsfähigkeit zum Tragen der in Betracht kommenden Kosten nicht ausreicht.
Andererseits ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, dass als weitere Voraussetzung für die Strafbarkeit derjenige, der eine Haftungserklärung abgegeben hat, einer Verpflichtung aus der Haftungserklärung nicht nachgekommen werden kann oder können wird.
§ 77 Abs 2 Z 2 NAG schützt somit ausschließlich Verpflichtungen aus Haftungserklärungen iSd NAG, nicht aber allfällige zivilrechtliche.
Eine – für ein Verfahren nach dem NAG relevante – Verpflichtung aus einer Haftungserklärung kann iSd §§ 2 Abs 2 Z 15 und 11 Abs 6 NAG nur dort entstehen, wo der Nachweis auf Unterkunft, Krankenversicherung und Nichtvorliegen einer finanziellen Belastung für eine Gebietskörperschaft gesetzlich mit einer Haftungserklärung vorgesehen ist. In jenen Fällen aber, in denen dieser Nachweis nicht durch eine Haftungserklärung vorgesehen ist, kann denklogisch aus einer dennoch abgegebenen (und damit allenfalls zivilrechtliche Ansprüche begründenden) Haftungserklärung keine Verpflichtung iSd NAG entstehen. Um den objektiven Tatbestand des § 77 Abs 2 Z 2 NAG zu erfüllen, muss somit einerseits eine (bewusst) nicht tragfähige Haftungserklärung vorliegen, andererseits muss daraus eine Verpflichtung iSd NAG abgeleitet werden, der nicht nachgekommen werden kann. Kann aus einer Haftungserklärung keine Verpflichtung iSd NAG abgeleitet werden, scheitert jedoch schon daran die Erfüllung des objektiven Tatbestands.
Im Folgenden ist zu prüfen, ob dem Bf die Erfüllung des objektiven Tatbestands des § 77 Abs 2 Z 2 NAG vorgeworfen werden kann.
IV.2.1. Die belangte Behörde änderte den vom Sohn des Bf eingebrachten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ aufgrund der Volljährigkeit und der Erwerbsabsicht des Sohnes amtswegig in einen (Erst)Antrag auf Erteilung einer Rot-Weiß-Rot – Karte plus. Ferner stellte die belangte Behörde fest, dass sich der Sohn des Bf aufgrund seiner erklärten Erwerbsabsicht auf die „Stillhalteklausel“ des Assoziierungsabkommens EWG-Türkei berufen könne. Dies entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs: Unter Hinweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9. Dezember 2010, C-300/09, C-301/09, Toprak und Oguz, RN 45, hielt der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13. Dezember 2011, 2008/22/0180, fest, dass es der Anwendung des Art 13 ARB 1/80 nicht entgegen stehe, dass der betreffende Arbeitnehmer nicht bereits (legal) in den Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates integriert ist, also die Voraussetzungen gemäß Art 6 Abs 1 ARB 1/80 nicht erfüllt; die Stillhalteklausel in Art 13 ARB 1/80 diene nämlich nicht dazu, die schon in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integrierten türkischen Staatsangehörigen zu schützen, sondern solle gerade für die türkischen Staatsangehörigen gelten, die noch keine Rechte in Bezug auf Beschäftigung und entsprechend auf Aufenthalt nach Art 6 Abs 1 ARB 1/80 genießen.
Der Sohn des Bf, der türkischer Staatsbürger ist, gab seine Erwerbsabsicht in Österreich bekannt. ISd zitierten Judikatur sind somit die Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nach den Bestimmungen des FrG 1997, die aufgrund der „Stillhalteklausel“ des Art 13 ARB 1/80 für Berechtigte nach dem ARB heranzuziehen sind, zu prüfen.
IV.2.2. Nachdem der Bf zum Zeitpunkt der Antragstellung des Sohnes auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bereits österreichischer Staatsbürger war, sind für den Sohn iSd Stillhalteklausel jene Vorschriften des FrG 1997 heranzuziehen, die Sonderbestimmungen für Einreise und Aufenthalt für Angehörige von EWR-Bürgern und Österreichern regeln.
Entsprechend § 49 Abs 1 FrG 1997 genießen Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs 3, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, Niederlassungsfreiheit. Für sie gelten die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Dementsprechend hat auch die belangte Behörde bereits im angefochtenen Straferkenntnis § 47 Abs 3 FrG 1997 herangezogen, der regelt, wer iS dieses Gesetzes begünstigter Drittstaatsangehöriger ist. Gemäß Abs 3 Z 2 par.cit. sind dies Verwandte in absteigender Linie bis zu Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus sofern ihnen Unterhalt gewährt wird.
Gemäß Abs 2 par.cit. ist begünstigten Drittstaatsangehörigen eine Niederlassungsbewilligung auszustellen, wenn ihr Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet.
Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dieser Bestimmung ist somit einerseits die Eigenschaft als begünstigter Drittstaatsangehöriger, andererseits das Nichtvorliegen einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Antragsteller.
IV.2.3. Der Sohn des Bf wurde am x geboren. Am 13. August 2014 stellte er einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Der Bf legte der belangten Behörde am 1. September 2014 eine Haftungserklärung für seinen Sohn vor. Die belangte Behörde verhängte über den Bf daraufhin eine Geldstrafe gemäß § 77 Abs 2 NAG, da er am 1. September 2014 eine Haftungserklärung für seinen Sohn vorlegte, obwohl er aufgrund seines Privatkonkurses wissen hätte müssen, dass diese nicht tragfähig sein würde.
Wie unter IV.1. festgehalten, ist die Voraussetzung für die Strafbarkeit gemäß § 77 Abs 2 NAG jedoch, dass überhaupt eine Verpflichtung aus der Haftungserklärung entstehen kann.
Zum vorgeworfenen Tatzeitpunkt, dem 1. September 2014, hatte der Sohn des Bf das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet. Zumal er sich auf die „Stillhalteklausel“ iSd Assoziierungsabkommens EWG – Türkei berufen konnte, war seine Eigenschaft als begünstigter Drittstaatsangehöriger gemäß § 47 Abs 3 FrG 1997 zu beurteilen. Gemäß § 47 Abs 3 Z 2 FrG 1997 sind – wie auch die belangte Behörde schon festgestellt hat – begünstigte Drittstaatsangehörige Verwandte in absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres. Nach Vollendung des 21. Lebensjahres sind Verwandte in absteigender Linie dann noch begünstigte Drittstaatsangehörige, wenn ihnen Unterhalt gewährt wird.
Der Sohn des Bf hatte zum vorgeworfenen Tatzeitpunkt das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet und erfüllte somit die Voraussetzung des § 47 Abs 3 Z 2 erster Fall FrG 1997. Für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 47 Abs 2 FrG wäre zum vorgeworfenen Tatzeitpunkt somit weiters nur zu prüfen gewesen, ob sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden könnte. Ein Nachweis über den Unterhalt des Sohnes wäre zum vorgeworfenen Tatzeitpunkt nicht zu erbringen gewesen, weshalb aus der abgegebenen Haftungserklärung keine Verpflichtung iSd NAG resultieren hätte können.
Dem Bf kann somit die Erfüllung des objektiven Tatbestands des § 77 Abs 2 Z 2 NAG nicht vorgeworfen werden.
V. Im Ergebnis war das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG einzustellen.
Bei diesem Ergebnis waren dem Bf weder ein Beitrag zu den Kosten des behördlichen Verwaltungsstrafverfahrens noch zu den Kosten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorzuschreiben.
VI. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.
H i n w e i s
Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision sind unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen.
Landesverwaltungsgericht Oberösterreich
Dr. Elisabeth Reitter